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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

ein Palladium gegen unerlaubte Wünsche erhielten, das verdanke ich Deiner Helene –“

„Helenen?“ rief Cécil überrascht. Ein flüchtiges Roth zeigte, daß er sich sehr deutlich der Erzählung von den geraubten Brezeln erinnere. Auch Onkel Fabian dachte daran, ließ es jedoch für den Moment nicht merken.

„Sie mußte fort,“ schloß er mit erhobener Stimme, „und sie ist wohl aufgehoben in den Armen ihrer Mutter, welche ihr Kind ungeachtet ihres Fehlens liebt. Wir wollen sie als todt betrachten, Cécil! Ob sie lebt und wie lange sie lebt – ich will nichts davon wissen. Ihr Herz ist ruhiger, als das meine. Sie liebte ihre Kinder mit der Natur eines Vogels, der seine Jungen verläßt, wenn sie flügge sind – lassen wir ihr diese trostvolle Ruhe und suchen wir sie zu vergessen. Sie ist todt für mich, todt für meine Kinder und todt für Jedermann, der es wagt, darnach zu fragen. Und ich will den sehen, der es riskirt, mich, den Fabian von Sieveringk, zum zweiten Male zu fragen, wenn ich die erste Frage zu ignoriren für gut finde.“

„Aber Olga? Du fehlst ihr – wer wird sie vor indiscreten Fragen schützen?“

„Der Volksaberglaube ihres Heimathlandes,“ tröstete ihn der Regierungsrath. „Man betrachtet sie dort mit scheuer Ehrfurcht, denn „die Wassernixe hat neben ihrem Taufsteine gestanden, und ihr den Salamandergeist zum Pathengeschenk eingebunden,“ flüstert sich das Fischervolk in die Ohren.“

Es entstand wieder eine jener unerquicklichen Pausen, wo sich der Geist willenlos in dem Chaos von Gedanken und Gefühlen verliert.

„Genug nun der wüsten Träumerei, mon cher Cécil,“ begann Herr Fabian, sich aufrüttelnd und zu seinem gewöhnlichen Tone übergehend, „genug der traurigen Reminiscenz, laß uns begraben, was todt ist, und Gras auf dem wachsen lassen, was begraben ist. Du bist hinlänglich von dem unterrichtet, was zu wissen Dir noth thut. Jetzt bitte ich Dich um dreierlei: bedaure nichts – frage nichts und halte keine moralischen Reden. Ich huldige nun einmal den Lehren des Epikur, der das Laster haßte, weil es sein Wohlbefinden störte, und der die Tugend liebte um des ruhigen und süßen Wohlbehagens willen. Mein Wohlsein war gefährdet, das mußt Du einräumen, deshalb unterwarf ich mich dem Seelenschmerze und verbannte meine Frau von meiner Seite. Man könnte dies einen Beweis der raffinirtesten und ausgeprägtesten Selbstsucht nennen, ich gebe es zu, allein vernünftig betrachtet, ist es nur die richtigste Lebensphilosophie. Komm, mon neveu – ich bin sehr hungrig!“

Das Essen wurde servirt und so lange der Bediente im Zimmer war, unterhielten sich die beiden Herren von gleichgültigen Reiseerlebnissen. Kaum aber schloß sich die Thür hinter demselben, so rief der Regierungsrath in ganz wiederhergestellter Laune:

„Apropos, mon cher Cécil! Ich bin Dir Jahreszahl und Datum der Geschichte schuldig geblieben, die ich Dir vor Deiner Abreise von Helene Kursen erzählte –“

„Bitte, bemühe Dich nicht,“ fiel Cécil lachend in seine Rede.

„Es war justement vor zehn Jahren, als sich die Deutschen auf’s Revolutionsspielen einüben wollten.“

Ein zürnender Blick war Cécil’s ganze Antwort. So boshaft angelegt hatte er sich den Spott seines Onkels doch nicht gedacht. Eine Kindergeschichte? Eine Kindernäscherei? Und deshalb hatte er sechs Wochen des reinsten Liebesglückes geopfert?

Wenn Onkel Fabian die geringste Anlage dazu gehabt, hätte, verlegen werden zu können, so wäre er es jetzt geworden, wo sein eigener Neffe mit Fug und Recht durch sein Stillschweigen eine Art Verachtung auszudrücken beliebte.

„Du bist mir viel Dank schuldig,“ sprach er, aber statt jeder Spur von Verlegenheit, mit unverwüstlichem Humor, „denn Du findest Fräulein von Kursen unendlich verschönt durch das fromme Lächeln der Ergebung in einen hohem Willen. Die stille Duldung kleidet das Mädchen vortrefflich, mon cher Cécil! Was hast Du ihr denn heut Abend in aller Eile zugeflüstert? Doch nicht etwa, daß Du sie liebst? Das wäre fatal! Du machtest mich dadurch gerades Weges zum Lügner, denn ich habe der rechtschaffenen Tante Starkloff erzählt, daß Du Dich mit Schön-Bella Hanstein verlobt hättest.“

Cécil lächelte. „Sie wird Dir nimmermehr geglaubt haben.“

„Doch, doch!“ betheuerte Onkel Fabian eifrig. „Sie hat’s geglaubt! Woher sonst der verklärende Schmerz?“

Er betonte die beiden letzten Worte so durchaus komisch, daß Cécil nichts Besseres thun konnte, als laut auf zu lachen.

„Onkel, Du bist unverbesserlich!“ rief er dann. „Aber laß es Dir gesagt sein, von jetzt an bin ich den Einwirkungen Deines Spottes vollständig entwachsen!“

„Das freut mich! Wahrhaftig, bist Du so weit? Nein, das freut mich! Wozu willst Du aber dann noch Kammerrath in Ballberg’schen Diensten werden? Wenn Du keine Furcht mehr vor meinem Spotte hast, kannst Du ja immerhin hier bleiben. Ueberlege Dir das Weitere, mon cher Cécil!“




VI.

Es wäre thöricht, zu erzählen, welche Seligkeiten der nächste Morgen mit seinen Erklärungen keimen und gedeihen ließ. Wer jung gewesen ist, kennt die brennenden Worte der Liebe, die so schnell verlodern, und weiß, daß jedes Menschenherz seine Liebe für die stärkste, treueste und edelste hält. Was sich Helene und Cécil anvertrauten, klang ungefähr so und wurde für den Augenblick mit so hingebender Leidenschaft betheuert und geglaubt, daß jeder Zweifel eine Sünde gewesen wäre.

Interessanter würde es sein, das Gesicht und die gelegentlichen Ausrufungen der Justizamtmännin Starkloff belauschen zu können, die diesem ungeahnten Ausgange der Liebestragödie mit Kopfschütteln ihre Billigung zusagte. Um ihre Nichte mit ihren gescheiterten Liebeshoffnungen einigermaßen zu rächen, hatte sie den Pfeil gegen den Regierungsrath von der längst gespannten Sehne schlüpfen lassen und siehe da – die Rache war ganz unnöthig gewesen.

Im Stillen verwunderte sie sich über das unaussprechlich große Glück, das aus den Blicken der beiden jungen Leute leuchtete, weil sie hinter der Ruhe Helenens gar keine so große Liebe vermuthet hatte, allein sie war so gescheidt, von ihren geringen Beurtheilungstalenten nichts zu verrathen.

Daß Cécil sich anderweitig placirt hatte und fest darauf bestand, mit Helene nach Ballberg zu ziehen, machte sie erst verdrießlich, obwohl sie die ihr mitgetheilten Gründe für diesen Entschluß gelten lassen mußte. Sie blieb aber darnach einsam in ihrem comfortabel eingerichteten Elternhause zurück, das sie in Gemeinschaft mit Helene ererbt hatte. Nach und nach ergab sie sich indeß in dies Mißgeschick und als endlich der Regierungsrath zu der improvisirten Verlobung hinzukam, und ihr den Vorschlag machte, „sich gegenseitig in ihrer Einsamkeit zu ergänzen,“ da war sie vollkommen damit zufrieden, und schlug willig in seine dargebotene Rechte.

Onkel Fabian hatte sich ihre Achtung durch die kräftige Entschlossenheit erzwungen, womit er ohne Rücksicht auf sich selbst seiner Ehre und seinen Kindern die Gattin zum Opfer gebracht und sie zartsinnig dem Schutze ihrer Mutter überantwortet hatte. Sie erkannte sehr wohl aus seiner verfallenen Gestalt und aus seiner oftmals wehmüthig ernsten Stimmung, wie viel er dabei gelitten hatte und noch immer litt, und sie ehrte seinen Schmerz nicht allein durch die respektvollste Discretion, sondern auch durch schlagende Beweise einer tiefen herzinnigen Theilnahme.

Sie wurden einig, sogleich nach Helenens Verheirathung mit einander Haus zu halten, wozu der Raum in dem Hause der Amtmännin vollkommen hinreichend war. Aber bevor sie den Contract dieses neuen Lebensplanes vollgültig machte, erklärte sie dem Regierungsrathe ganz offenherzig ihre Betheiligung an der Entlarvung seiner Gattin, um spätern Zerwürfnissen zuvorzukommen. Zu ihrem Erstaunen gewahrte sie, daß sie demselben nichts Neues sagte. Er wußte Alles, was in dieser Angelegenheit von ihrer Seite geschehen war, und er hatte ihr nicht darüber gezürnt, daß sie sein Lebensschiff etwas schonungslos in die brandenden Wellen des Zufalles geleitet und es dem Sturme preisgegeben hatte. Sie blieben gute Freunde, und es erwuchs gewiß dem schwer heimgesuchten Manne aus dieser Freundschaft das Gute, daß die ehrenwerthe Bevölkerung der Stadt mit großer Schonung und Milde Alles beurtheilte, was er zur Rettung seines Lebensfriedens für gut befunden hatte.

Jetzt regieren sie sich Beide mit den Kräften ihrer Eigenthümlichkeiten. Wenn Onkel Fabian gutmüthig spottet, so gibt sie ihm eine Zurechtweisung voll gelinder Grobheit. Dabei überwacht

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