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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 13. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Babeli.
Ein Bild aus Pestalozzi’s Knabenzeit von L. R.


Durch alle Länder deutscher Sprache geht in dankbarer Erinnerung der Name „Pestalozzi“. Millionen sind es, welche Pestalozzi’s Größe erkennen, und wenn sie auch nicht alle in die Tiefen seines Geistes und seines Werkes blickten, so wissen sie doch, daß er der Schöpfer einer neuen, naturgemäßen Bildungsbahn wurde.

Der ideale Mittelpunkt aller gedeihlichen Jugenbildung war für Pestalozzi die Wohnstube.

Wüßten wir auch sonst nichts von dem Manne, lieb würde er uns schon durch die Aussprüche werden, welche er in dieser Beziehung that. Nur einige davon wollen wir hören. Das ist um so nöthiger, da wir heute in seine eigene Wohnstube einen Einblick halten, ihn als Knaben im Hause seiner Eltern sehen werden.

„Wie die Krippe,“ so sagt Pestalozzi in seinen späteren Schriften, „wie die Krippe, in welcher der arme Heiland lag, erschien mir die Wohnstube des Volkes als die Krippe, von der aus das Göttliche und Heilige sich entfalten, keimen und reifen soll.“

„Im Heiligthume der Wohnstube wird das Gleichgewicht der menschlichen Kräfte in ihrer Entfaltung gleichsam von der Natur selbst eingelenkt, gehandhabt und gesichert.“

„In der Wohnstube des Menschen vereinigt sich Alles, was ich für das Volk und den Armen als das Höchste und Heiligste achte. Das Heil der Wohnstube ist es, was dem Volke allein zu helfen vermag, und das Erste, dessen Besorgung für dasselbe noththut. Von ihr allein geht die Wahrheit, die Kraft und der Segen der Volkscultur aus. Auf sie muß die Menschenfreundlichkeit unseres Geschlechtes einwirken, wenn sie nicht den Schein seines Wohles, sondern sein wirkliches Wesen bezweckt, wenn sie der Armuth in ihren Quellen vorbeugen und die Masse der Armen zur sittlichen, geistigen und häuslichen Selbstkraft erheben will, ohne die eine allgemeine Rettung von Volksarmuth, Volkselend und Volksverderben eben so wenig denkbar ist, als eine wahre National- und Volkscultur selbst.“

„Der einzig sichere Boden, auf dem wir der Volksbildung und Armenhülfe halber zu stehen suchen müssen, ist das Vater- und Mutterherz, das durch die Unschuld, Kraft und Wahrheit seiner Liebe Glauben und Liebe in den Kindern entzündet und so alle Leibes- und Seelenkräfte derselben zum Gehorsam in der Liebe und zur Thätigkeit im Gehorsam vereinigt.“

„Dem Herzen der Mutter muß es durch die helfende Kunst möglich gemacht werden, das, was sie beim Unmündigen durch Naturtrieb genöthigt thut, beim Anwachsenden mit weiser Freiheit fortzusetzen.“

„Wie wohl wird es mir in meinem Grabe sein, wenn ich es dahin gebracht, Natur und Kunst im Volksunterrichte so innig zu vereinigen, als sie jetzt in demselben gewaltsam getrennt, ja entzweit sind!“

Dies Wenige nur von dem Vielen, was er in dieser Beziehung sagt und wo er fast immer an die Wohnstube anknüpft. Wer sein Volk liebt, muß ja auch die Wohnstube kennen.

Und Pestalozzi liebte sein Volk. Gerade in der Wohnstube, gerade durch die ersten Jugendeindrücke war diese Liebe in ihm genährt worden, so gesund und frisch genährt, daß dieselbe späterhin ein unwiderruflicher Trieb, eine gewaltige Willen straft in ihm wurde. Sein armes, verachtetes Volk wollte er retten, retten durch die Erziehung, durch Bildung zu einer freien, wahrhaften Menschlichkeit.

Wo anders sollte er da auch lernen, als in der Wohnstube? Wo hinein anders blicken, als in das häusliche Leben? Nicht leugnen konnte er ja, daß das Volk sittlich, geistig und körperlich tief gesunken war. Nur in der Wohnstubenweisheit und in der Wohnstubenkraft erkannte er die Mittel zur Rettung, und klar war es ihm, wie nur von ihnen aus das Glück des Volkes sich erheben könne. Immer blickte er dabei zurück auf die Jahre seiner eigenen Kindheit, auf seine Eltern, auf die Wohnstube. Wie grüne Bäume ragten hier die Elemente naturgemäßer Erziehung ihm empor in der Sandwüste seiner Gegenwart. Die Liebe, die einst dort in sein Herz zog, das stille, göttliche Leben, das dort sich in ihm eingewurzelt hatte, begleitete ihn durch sein ganzes Streben und Thun. „Nicht das Buch, nicht Reihenfolgen von Elementarübungen, nein, das Leben, das von ihm ausströmte, bildete das Leben seiner Kinder; der Geist, der ihm aus Blick und Worten quoll, weckte ihren schlummernden Geist, die Hingebung und Treue, mit der er sie besorgte, öffnete ihr verschlossenes Herz und machte es für Opfer der Selbstüberwindung fähig. Er selbst mit seinem Vatersinn und seiner Muttertreue war die Methode.“

War aber sein Thun und Streben ununterbrochen darauf gerichtet, die einst empfangenen Segnungen der Wohnstube zu Segnungen seiner Schulstube zu machen und den Geist der Häuslichkeit in das öffentliche Erziehungshaus zu pflanzen, so werden wir es kaum bereuen, an die Schwelle des Elternhauses zu treten, wo der kleine Pestalozzi diesen Geist einst einsog.



„Gehe nur immer hin, Babeli, ich werde schon kommen, werde Deiner Mutter schon helfen!“ rief der Arzt Pestalozzi, seine Pfeife rauchend, zum Fenster heraus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_177.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)