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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Studien gemacht hatte, und daß das Feld der Naturforschung, auf das er hier geführt wurde, ihm kein fremdes war.

Es war an einem Herbsttage des Jahres 1828, als eine geheimnißvolle Kiste bei eintretender Dämmerung in das Haus Goethe’s getragen wurde. Er stand auf der Schwelle seines Arbeitszimmers, als die Männer die Kiste hereintrugen. Der Inhalt derselben war ein Skelett. In den Tagen der schönen Lebensfreude, des frischesten geistigen Genusses enger Seelenverbrüderung hatte der, der in dieser düstern Gestalt jetzt in das Haus getragen wurde, mit leichten Schritten die gastliche Schwelle des Freundes überschritten. Es war Schiller. Ein Brief des Jenaer Professors der Anatomie enthielt die wenigen Worte: „Hierbei erhalten Ew. Excellenz das vollständige Gerippe bis auf wenige Knöchelchen der Hände und Fußzehen, die wir nicht haben finden können, und die wir durch fremde Glieder nicht haben ersetzen wollen.“ Mit einem stummen Winke befahl Goethe den Trägern, die Kiste vor seinen Arbeitstisch zu setzen. Der Mond schien in’s Zimmer und beleuchtete das zusammengesunkene Brustbein des Gerippes. Goethe warf einen langen und schmerzlichen Blick auf diese Ueberreste, er entsann sich, daß Schiller stets über Engbrüstigkeit geklagt, und der Bau der Knochen schien ihm diese Wahrnehmung zu bestätigen. Der noch lebensvolle, kräftige Mann stand vor dem bleichen, feinen Knochenbau des im Tode Dahingestreckten; der Krieger, der noch die Waffe führte, vor dem, der sie niedergelegt.

Es war eine Stunde ernster Weihe, als Goethe, die Hände, wie er pflegte, auf einander gelegt, in der Stube auf und ab schritt. All die Stunden voll Gespräch und Anregung, da der Todte noch gelebt, kamen ihm in den Sinn, und die erhabene Seele des großen Mannes dachte Unsterbliches. In der Stille gingen die Geister vergangener Zeiten an ihm vorüber: er entsann sich des Tages, wo der Dahingeschiedene zum ersten Mal in seine Lebenskreise getreten, und wie er ihn anfangs kühl aufgenommen, wie aber später Jener ihm immer theurer, immer unentbehrlicher geworden, und wie zuletzt, als er fortgegangen, es ihm gewesen sei, als ginge ein Theil seines eigenen Selbst zu den Schatten. Sein eigenes Tagewerk erschien ihm als dem Abschluß nahe und er, dessen männliche Seele die Schrecken des Todes frühzeitig zu besiegen sich gewöhnt hatte, er beneidete in diesem Augenblicke den Vollendeten, daß er den furchtbaren Moment des Ueberganges hinter sich habe. Auf diesem Gipfel düsterer Empfindungen und träumerischer Gebilde angelangt, nahm er ein Tuch und deckte es über den Todtenschrein, mit der Vorsicht und der Bekümmerniß, wie ein Vater über sein schlummerndes Kind eine Decke breitet. Es lag etwas von unendlich rührender Pietät in diesem Verhüllen des Todten.

Als der neue Kirchhof, rechts von der Straße belegen, die zu dem fürstlichen Lustschlosse Belvedere führt, angelegt wurde, dachte Goethe daran, auch für sich und die Seinen eine Grabstätte zu gründen. Er wollte Schiller mit zu sich haben. Die Baucommission mußte pflichtschuldig den Bauplan zu dieser Grabcapelle dem Großherzog vorlegen, und da war es, daß Karl August die denkwürdigen Worte sprach:

„Wozu ein eigenes Grabgewölbe? Ich will Schiller und Goethe zu mir in meine Gruft nehmen! Sie sollen neben mir ruhen.“

Der Goethe’sche Plan unterblieb also. Sofort nach diesem fürstlichen Ausspruche ging man nun daran, Schiller’s Ueberreste aufzusuchen. Wie schwer dies zu bewerkstelligen war, haben wir schon gesagt. Die Aufgabe war eine fast unlösbare, und ein günstiges Resultat um so unerreichbarer, da gegenüber der Nation, um deren Lieblingsdichter es sich handelte, nicht der mindeste Zweifel aufsteigen durfte, als sei der Todte, der neben dem Herzoge und Goethe lag, nicht Schiller. Ein Juwelier, der die einzelnen Bestandtheile eines kostbaren alten Schmucks zusammenliest und immer noch hier eine Perle, dort ein kleines Ornament vermißt, kann nicht eifriger in dem Trümmerhaufen der Bruchstücke wühlen, als hier zwei Anatomen und drei Aerzte nach den Gebeinen des Dichters suchten. Lange Zeit hielt man ein unechtes Brustgewölbe fest, bis man fand, daß es einem französischen Kriegscommissar gehörte, der, der Himmel weiß wie, in diese Gruft gekommen war, und daß das Herz, das die glühenden Strophen der Freiheitshymnen Tell’s dictirt hatte, nicht in diesem Knochengitter geklopft hatte; ein Schenkelknochen, den man bereits adoptirt hatte, wurde einem alten Kanzleidirector zurückgegeben; die kleine zierliche Hand eines Pagen konnte unmöglich die sein, die den Don Carlos schrieb. Endlich, nach dem Gesetze der Analogie, fand man das Skelett zusammen; ein Zahn nur erregte noch lange einen erschütternden Sturm der Meinungen und Stimmen, indem ein noch lebender Diener des Dichters sich besann, daß dieser Zahn seinem Herrn gefehlt habe. Goethe entschied. Die Proceßacten wurden geschlossen, das alte Gewölbe, wo so viel Confusion geherrscht, wurde geschlossen, die Schläfer darin, die nicht große Dichter waren, ließ man in Ruhe, und ein neuer Sarg, nach einer Zeichnung Goethe’s, in der Form einer Lade, wurde gefertigt, um die Errungenschaft in sich aufzunehmen.

Unser Bild zeigt, wie Goethe, in seinem Studirzimmer stehend, zuerst, ehe noch der Körper zusammengesucht war, sich mit der Auffindung und Feststellung des Schädels beschäftigt, und hierbei die Todtenmaske und die bekannte Dannecker’sche Büste zu Rathe zieht.

Im Jahre 1805 war Schiller gestorben, demnach fast ein Vierteljahrhundert später gelangten seine Gebeine in ihre neue Ruhestätte. Wenige Jahre darauf kam auch Goethe hin. Der Groß-Herzog Karl August war vor ihm gestorben, und ruht, wie er gewünscht, mit seinen beiden Dichterfreunden nun in einer Gruft.




Elektricität als Uhr und Stadtpost.

Heut zu Tage sagen gelehrte und ungelehrte Leute, vielleicht mit richtigem Instinct, daß Dinge und Processe in der Natur, deren Ursachen und Geheimnisse man nicht recht versteht, mit Elektricität zusammenhängen. Man vermuthet die Elektricität überall entweder als Haupt-Agenten oder als Compagnon. Auch im Verkehre der Menschen wird sie immer allgegenwärtiger. Sie telegraphirt mit bekannter Blitzesschnelle über Länder und durch Meere, über unsern Häuptern und unter der Erde dahin und ist immer gleich da, sobald sie abgeschickt wird, nur zuweilen aufgehalten durch die Unbeholfenheit der Menschen oder die jetzt überall herrschende Angst der Mächtigen. Die Königin von England erfuhr im Schlosse Windsor noch in derselben Minute der Geburt ihres Enkels, daß sie zum ersten Male glückliche Großmutter geworden.

Aber diese göttlichen Mercurflügel der Elektricität sind nichts Neues mehr. Neuer und wichtiger ist deren Ausbildung für allerhand kleine Alltagszwecke, die Allen und nicht blos den Mächtigen der Throne und der Börse zu Gute kommen, deren Anwendung für Stellung der Uhren und Localverkehr. Die Zeit wird unter jetzigen Verhältnissen der Ueberladung mit Geschäften und socialen Beziehungen immer kostbarer und wichtiger. Hier wird Pünktlichkeit eine Hauptsache, so daß unsere Uhr auf die Secunde richtig gehen muß. Auch hat jeder anständige Mensch mannichfaltige Verbindungen in seiner Stadt, die oft sehr groß ist, so daß man durch persönliche Beachtung derselben und selbst mit der Stadtpost viel Zeit verlieren kann. Dies hat bereits zur Einrichtung elektrischer Zeit-Kugeln, elektrischer Uhren und zu elektrischen Stadtposten geführt. Erstere beiden thun in London bereits sehr gute Dienste und an Ausführung der letzteren wird eben gearbeitet.

Die erste „Zeit-Kugel“ wurde von Professor Airy, Director der Greenwich-Sternwarte (der durch einen vier Jahre lang fortgesetzten Cyklus der feinsten Experimente unsere Erde gewogen), auf dem Thurme der Sternwarte angebracht. Unten geht die berühmte astronomische Uhr, die durch einen elektrischen Apparat mit einer großen, hohlen Kugel oben hoch über dem Thurmdache in Verbindung steht. Durch die Mitte der Kugel geht eine polirte Stange, an welcher sie leicht auf- und abgleitet. Die Kugel wird durch die Uhr aufgezogen und jeden Tag bis astronomisch Punkt ein Uhr Mittags oben festgehalten. In dem Augenblicke, wo es im Weltall ein Uhr schlägt, reißt ein elektrischer Ruck an dem Hebel, der die Kugel oben hielt, so daß sie nun etwa zwölf Fuß tief niederfällt. Die Kugel, von unten gesehen, steht klar am Himmel und kann bei hellem Wetter und mit hellen Augen viele Meilen ringsum gesehen werden. Dieses Aufpassen und Uhrenstellen alle Mittage! Legionen von Schiffen auf der breiten Themse entlang und in den riesigen Docks mit ein paar Dutzend Wäldern von Masten, jeder wie eine

deutsche Mittelstadt groß, und Tausende von Menschen auf dem

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