Seite:Die Gartenlaube (1859) 203.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

fort, da er den Zopf zu Ehren brachte und, um mit einem jüngeren Dichter zu reden, „ein ganzer Mann an diesem Zopfe hing.“

Der Wöllner’sche Verfolgungsgeist beschränkte sich indeß nicht blos auf einfache Geistliche; er erstreckte sich auch auf einen Mann wie Kant, den größten Philosophen seiner Zeit oder vielmehr aller Zeiten. Neben seinen tiefen Studien verschmähte dieser berühmte Denker nicht, den Vorgängen und Ereignissen in seiner Nähe Aufmerksamkeit zu schenken und die Tagesereignisse in einer ihm sonst nicht gewöhnlichen populären Weise öffentlich in würdevoller Weise zu besprechen. So hatte er eine Abhandlung unter dem Titel: „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ in Königsberg erscheinen lassen, worin er Betrachtungen über den Unterschied der wahren Religion von dem Pfaffenthum anstellte. Dieser Aufsatz, welcher die Grundsätze eines höheren Rationalismus für ewige Zeiten feststellt, und mit bewunderungswürdiger Schärfe und Klarheit gegen die Uebergriffe der Pietisten und Frömmler zu Felde zieht, erregte Wöllner’s höchstes Mißfallen und einen lauten Aufschrei der ganzen Heuchlerzunft. In einem besonderen Rescripte mußte der schwache König dem großen Philosophen sein Mißfallen zu erkennen geben.

„Wir haben Uns,“ heißt es in diesem merkwürdigen Actenstücke, „von Euch eines Besseren versehen, da Ihr selbst einsehen müßt, wie unverantwortlich Ihr dadurch gegen Eure Pflicht als Lehrer der Jugend und gegen Unsere, Euch sehr wohl bekannten, landesväterlichen Absichten handelt. Wir verlangen des ehesten Eure gewissenhafte Verantwortung und gewärtigen Uns von Euch, bei Vermeidung Unserer höchsten Ungnade, daß Ihr Euch künftighin dergleichen nicht mehr werdet zu Schulden kommen lassen, sondern vielmehr, Eurer Pflicht gemäß, Euer Ansehen und Talent dazu anwenden, daß Unsere landesväterliche Intention je mehr und mehr erreicht werde, widrigenfalls Ihr Euch, bei fortgesetzter Renitenz, unfehlbar unangenehmer Verfügung zu gewärtigen habt.“

Nur das Ansehen, welches Kant genoß, und die Rücksicht auf die Universität, die dem großen Philosophen ihre Blüthe zu verdanken hatte, schützte diesen vor der Absetzung.

Ungeachtet solcher Maßregeln gerieth das Wöllner’sche Religions-Edict und die von ihm eingesetzte Examinations-Commission in die tiefste Verachtung; die öffentliche Meinung erklärte sich entschieden gegen Beide. Der Geist der wissenschaftlichen Aufklärung und Toleranz, den Friedrich der Große für Preußen heraufbeschworen, ließ sich nicht mehr bannen. Nach dem Tode des Königs erhielt Wöllner seinen Abschied, und mit ihm stürzte sein System der Verfinsterung. Zwar fehlte es ihm bis in die neueste Zeit nicht an Nachfolgern: die pietistische Partei suchte immer wieder ihren verlorenen Einfluß zurück zu gewinnen, was ihr auch hier und da in gewissen Kreisen gelang; aber der gesunde Sinn des ganzen Volkes hat sich stets offen und kräftig gegen die Bestrebungen dieser „neuen Dunkelmänner“ erklärt und mit richtigem Instinct sie zurückgewiesen. Das von seinem protestantischen Bewußtsein getragene Preußen ist kein günstiger Boden für Religions-Edicte und die ihnen ähnliche Regulative. Das einmal entzündete Licht der Wissenschaft und Bildung strahlt hell genug, um die zuweilen noch aufsteigenden Wolken des Pietismus zu verspotten. Die Sonne des großen Friedrich bricht, wie wir erst neuerlich vom preußischen Ministertisch gehört, immer wieder in ungetrübtem Glanze hervor.

Max Ring.




Wanderungen im südlichen Rußland.
Von Dr. Wilhelm Hamm.
3. Jagdfahrten.

Es war schon ziemlich spät des Abends, als wir, der frischen Kühle nach fast unerträglicher Tageshitze uns erfreuend, im traulichen Gespräch auf der Gartenterrasse des Herrenhauses von Baratofka saßen. Plötzlich drang aus nicht zu großer Ferne ein entsetzlicher Ton durch die Stille der Nacht, langgezogen, rauh, heiser und doch laut, markdurchschütternd. Unwillkürlich fuhr ich auf, in demselben Augenblicke rannten die beiden großen Windhunde, welche zu unsern Füßen gelegen, mit heftigem Gebell davon, gleichzeitig erklang von allen Seiten das disharmonische Geläute der vielen Hunde des Gutes und Dorfes.

„Was war das?“ fragte ich mit einiger Spannung.

„Nichts,“ entgegnete der Gutsbesitzer, mein Freund, indem er sich eine frische Papyros kunstgerecht drehte, „es war ein Wolf.“

„Wie, die Raubthiere wagen sich so nahe an die Gehöfte, und zwar jetzt, mitten im Sommer, wo sie keine Noth haben?“

„Sie thun dies nur, wenn man ihnen die Jungen genommen hat,“ sagte der Freund.

„Und Sie haben einer Wölfin die Jungen genommen, und sie sind hier und ich kann sie sehen?“

„Gern und im Augenblick. Sergei!“ Der Reitknecht entfernte sich rasch nach den Ställen.

Das Concert, dessen Beginn wir so eben vernommen, dauerte fort, aber in weiterer Entfernung. Ich ward vom Eifer der Jagd ergriffen, bat um eine Flinte und Begleitung.

„Ihre Mühe würde ganz vergeblich sein,“ bemerkte Herr v. G, „schon weicht der Wolf von den ihm nachbelfernden Hunden zurück, und wird in dieser Nacht nicht wiederkommen. Ueberdies ist es bei uns, die wir zu den echten Sportsmen zählen, nicht einmal Sitte, dem feigen Räuber mit der Flinte entgegen zu treten.“

„Aber wie denn?“

„Man fängt ihn einfach mit der Hand.“

Ich lächelte achselzuckend, denn ich glaubte an einen Scherz.

„Es ist mein voller Ernst,“ sprach mein Freund, „und mehr noch, ich verspreche Ihnen den Augenschein; Sie sollen eine Wolfshetze mit ansehen, ja dabei mitwirken, wenn Sie anders nicht vor einem kleinen Kirchthurmrennen zurückschrecken.“

In diesem Augenblick trat Sergei in das Zimmer, in welches wir uns mittlerweile aus dem Garten begeben hatten, und hielt in jeder Hand ein Wölflein an der Nackenhaut, wie man auch die jungen Hunde trägt, ein drittes brachte ein Knabe nach. Es waren allerliebste Thiere; etwa sechs bis acht Wochen alt, hatten sie die Größe von Hunden desselben Alters, sahen aber weit mehr kleinen Füchsen ähnlich, besonders in dem klugen Gesicht mit der spitzen, glänzend schwarzen Schnauze; die aufgerichtet abstehenden löffelförmigen Ohren erschienen unverhältnißmäßig groß; das Fell war dicht behaart und glatt, hellbrauner Färbung. Man hätte die kleinen Räuberkinder wahrhaft lieb gewinnen können, so hübsch, zutraulich und ehrlich sahen sie aus; sie ließen mit sich machen, was man wollte, und spielten im Stall artig mit ihren Milchbrüdern, jungen Jagdhunden, deren Mutter die wilden Findlinge unbedenklich sofort an Kindesstatt für die ersäuften eigenen Sprößlinge angenommen hatte. Aber alle Liebenswürdigkeit schien Verstellung, denn von Zeit zu Zeit schoß aus den runden, großen, schwarzen Augen der Wölfchen ein so falscher, grimmiger Blick, daß man in diesem all die schlummernde Blutgier und Erbarmungslosigkeit ihrer Race zu lesen glaubte. Wenn man sie auf den Schooß nahm oder an dem Licht hin und her drehte, dachten sie nicht einmal daran, ihre schon ganz respectabeln spitzen Zähnchen zu zeigen; kaum aber waren sie auf den Fußboden gesetzt, so verkrochen sie sich in die finstersten Winkel, und es hielt schwer, sie wieder hervorzukriegen; besonders einen, der sich dermaßen zwischen Wand und Pult eingeklemmt hatte, daß es ihm selber fast unmöglich gewesen wäre, sich wieder zu befreien. Natürlich regte der Anblick der Gefangenen meine Jagdlust noch mehr an, und ungeduldig fragte ich: „Wann? Wie?“ Aber ich ward bedeutet, daß zu einer Wolfshetze mancherlei Vorkehrungen nothwendig seien, daß man vor Allem das Versteck des Feindes aufspüren müsse, wozu die erforderlichen Schritte noch an demselben Abend ernstlich besprochen wurden. Damit mußte ich mich denn vorläufig begnügen, obgleich ich am liebsten gleich auf der Stelle geritten wäre; zur Entschädigung wurden mir aber inzwischen andere Jägerfreuden in Aussicht gestellt.

Am nächsten Morgen machten wir eine Fahrt durch die Felder. Endlos dehnte sich der gelbe Weizen, der mit schweren, vollen Aehren nickte, der Roggen auf mannshohen Halmen, die bärtige Gerste, der Hafer mit seinen zitternden Rispen und die dunkelgrüne Leinsaat, welche aussah, wie ein hochgeschorener Teppich. Nicht weit, und es zeigte sich eine räthselhafte Erscheinung. Aus der Mitte eines reifen Weizenfeldes reckte sich bei unserem Nahen eine Menge dunkler Gegenstände hervor, gleich Pfählen, aber sie bewegten, drehten, duckten und entfernten sich. Noch war ich meiner Sache nur halb gewiß, da rauschte es, und mit schmetterndem Flügelschlag

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_203.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2023)