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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Blick den Sprecher und eilte bald mit dem sichtlichen Ausdrucke des Erkennens in die Arme des erfreuten Vaters.

Ich machte hier, wie vor- und nachher oft, die höchst erfreuliche Erfahrung, daß, wenn es uns nur einmal gelungen ist, durch unsere Bemühungen wie durch einen elektrischen Schlag auf die schwache, kranke Stelle im Organismus belebend und erregend einzuwirken, die weitere Entfaltung und Entwickelung sich wie von selbst macht. Die Natur, einmal nach überwundenem Widerstände in die richtige Bahn eingewiesen, wird hier, wie in vielen anderen Fällen, ihr eigener Arzt und Lehrer. Lieschen erkannte binnen kurzer Zeit nicht nur sich selbst, sondern Vater und Mutter, wie ihre ganze nähere Umgebung.

Aber auch für Hebungen höherer Art, welche die Erweckung der intellektuellen Fähigkeiten zum Zwecke hatten, zeigte sich das Kind von jetzt ab empfänglich. Bon solchen Uebungen sei eines Beispiels gedacht.

Ich gab der Kleinen ein Becken mit Wasser, eine Flasche mit sehr engem Halse, einen Trichter und ein Töpfchen zum Füllen der Flasche. Mit unermüdlichem Eifer füllte und leerte Lieschen die Flasche und füllte sie wieder. Da nahm ich ihr denn bald die Flasche, bald den Trichter oder das Töpfchen weg, um ihr so die Unentbehrlichen des einen wie des anderb Gegenstandes, so wie den Zweck eines jeden recht anschaulich zu machen. Das hatte zur Folge, daß sie selbst binnen Kurzem alles zu diesen, Spiel Nöthige so genau kannte, daß sie die Gegenstände sich auch unter vielen andern Dingen selbst hervorzusuchen und herbeizuschaffen verstand. – Oder ich schloß die Dinge vor ihren Augen weg, und ließ nun längere Zeit vergehen, ehe ich das Spiel wieder in Anregung brachte. Später dann fragte ich sie, indem ich ihr durch Vorzeigen des Beckens das Spiel selbst wieder in Erinnerung brachte, nach den noch fehlenden Gegenständen, und auch hier hatte ich die Freude, zu sehen, daß die Erinnerungskraft des Kindes sich thätig erwies, denn sie wußte nach kurzem Besinnen mich an den richtigen Ort zu führen, wo die Sachen verschlossen, holte das Nöthige heraus, und führte das einmal Erlernte und Verstandene richtig wieder aus. Fasse ich, was hier von meiner Behandlung des ältesten dieser drei Kinder gesagt worden, in Absicht auf den Erfolg zusammen, so hatte ich durch sorgfältige Leitung die Kleine im Verlauf eines halben Jahres vom Standpunkt eines achtwöchentlichen zu dem Standpunkt der Sinnes- und Seelenfähigkeiten eines zweijährigen Kindes erhoben. Und worin hatte mein Streben bestanden? Einfach darin, daß ich das Kind nicht nach seinem wirklichen Alter, sondern nach dem der an ihm wahrnehmbaren Entwickelungsstufe erfaßt hatte und demgemäß behandelte. Auf ähnliche Weise wurden auch die andern beiden Kinder, und zwar mit glücklichem Erfolge, behandelt.




Blätter und Blüthen.

Das Intelligenz und Anfrage-Bureau für Deutschland in London. Der persönliche und Warenverkehr zwischen Deutschland und England, besonders London, hat einen ungeheuren Umfang und Werth erreicht und steigt immer noch. Aber London ist auch reich an Bankrotteurs, Schwindlern und professionellen Betrügern, die lediglich von deutscher Leichtgläubigkeit oder mindestens Unkenntniß der Londoner Verhältnisse leben, Es sind hier Hunderte von Deutschen bekannt, die blos von deutschen Waaren leben, die sie nie bezahlen. Welche Flüche und Thränen redlicher deutscher Producenten und Fabrikanten hängen daran! Welche Aergernisse redlicher deutscher und englischer Kaufleute und Agenten hier!

Ein deutscher Schwindler in London verschreibt sich Waaren aus Deutschland und verweist für seine Respectabilität auf renommirte Bankier- und Kaufmannshäuser, an deren Namen er vielleicht nur einen Buchstaben im Vornamen ändert. Der deutsche Fabrikant, welcher recht sicher gehen will, läßt sich erkundigen. Der Freund oder der Brief, durch welchen er Erkundigungen einzieht, findet wirklich unter der gegebenen Adresse ein Kaufmanns-Bureau mit dem renommirten (unmerklich veränderten) Namen, ein Bureau, in welchem die Helfershelfer des Schwindlers mit alten (als Maculatur gekauften) ehrwürdig aussehenden Kaufmannsbüchern sitzen. Wer sich nun bei ihnen nach dem Schwindler, der in Deutschland Waaren bestellte, erkundigt, erfährt mit scheinbarer Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit aus den alten Büchern, daß er an dem und dem Datum 500, ein andermal 800, später 1500, zuletzt über 2000 Pfund richtig am Verfalltage gezahlt, und einer der achtbarsten und reichsten Kaufleute sei. Auch haben manche Schwindler der größeren Sicherheit wegen noch zwei, drei andere scheinbar renommirte Geschäftshäuser als Garantieen für ihre Ehrenhaftigkeit. So kommt die bestellte Waare bald an. Manche deutsche Fabrikanten und Engros-Kaufleute schicken nicht selten auf guten Glauben. Die Waaren werden natürlich nie bezahlt und hier unter dem Preise, oft zu wahren Spottpreisen verschleudert, so daß ehrliche Häuser, welche dieselbe Waare importiren und bezahlen, nicht damit concurriren können.

Just dies letztere schreiende Uebel hat die hiesigen ehrlichen Agenten und Importeurs deutscher Waaren bewogen, dem neuen Intelligenz- und Anfrage-Bureau, welches diesem Drachen des Betrugs den Kopf zertreten will, alle ihre Hülfe und Unterstützung zu garantiren. So ist es ihnen bereits gelungen, den Unternehmern dieses Bureau’s ein Abonnement auf die geheime City-Zeitung, das „schwarze Journal“, zu verschaffen. Wer dies jede Woche in die Hände bekommt, kennt von da an jedes Schwindler-, jedes unsichere, jedes sichere und zuverlässige Geschäft.

Das schwarze City-Journal ist das großartigste, kostspieligste, geheimnißvollste journalistische Unternehmen von ausschließlich großen, berühmten und geschäftlich durchweg absolut ehrenvollen Bankier- und Kaufmanns-Häusern zu ihrer eigenen Sicherheit gegen Schwindler und Betrüger. Abonnent kann ein Geschäftsmann nur werden, wenn er, von mindestens sechs Abonnenten empfohlen, nach einer besonderen Prüfung für gut befunden ward, einen bedeutenden Jahresbeitrag zahlt und keinen anderen Leser zuläßt. Das schwarze Journal gibt aus einem besonderen Bureau der feinsten Kenner, welche Alles wissen und in den Kern jedes geschäftlichen und Wechselunternehmens dringen, wöchentlich einen genauen Bericht von allen neuen Geschäften und den Operationen unsicherer oder sicher betrügerischer Geschäfte.

Es ist klar, daß mit solchen Mitteln eine ziemlich klare Einsicht in die Geheimnisse des Weltmarktes in der City von London erreicht und erhalten wird und ein Bureau, das sich’s zur geschäftlichen Aufgabe macht, auf alle Arten von Aufragen geschäftlicher Art ehrliche und sichere Auskunft zu geben, mit diesen Mitteln schon allein im Stande ist, den deutschen Markt in London zu reinigen und den deutschen Lieferanten unzählige Verluste, Täuschungen und Thränen zu sparen. Es wird dann nicht mehr vorkommen, daß z. B. ein Schwindler aus dem Oesterreichischen, der hier eine Londoner deutsche Zeitung herausgibt, seine Rechnungen und seine Ausschweifungen mit deutschen Büchern, Würsten, eingemachten Früchten u. s. w. bezahlt und immer wieder neue Waaren von neuen Gläubigern bekommt. Doch von den fabelhaften Arten, wie die Deutschen hier betrogen werden, können wir hier keine Belege im Einzelnen geben. Die Meisten, die nicht selbst betrogen wurden, könnten’s kaum glauben.

Wir haben blos auf den einen und hauptsächlichsten Zweck des Intelligenz- und Anfrage-Bureau’s aufmerksam gemacht. Der Umfang seiner Zwecke ist in Kürze folgender: 1) Auskunft über Existenz und Solidität Londoner Geschäftshäuser. – 2) Ermittelungen über Verwerthung deutscher Producte und Waaren in London und auf dem Weltmärkte überhaupt. – 3) Nachweis guter Agenten. – 4) Anweisung, Personen und Firmen, die sich ihren Verbindlichkeiten entzogen, auszufinden oder gerichtlich zu verfolgen. – 5) Rath und Schutz für Reisende, die London besuchen wollen: Besorgung von Wohnungen, Empfangnahme auf Dampfschiffen und Eisenbahnen (wo die Meisten sofort furchtbar betrogen oder mindestens irre geführt werden), Besorgung von Führern durch die Sehenswürdigkeiten Londons u. s. w. – 6) Besorgung von Stellen für deutsche Lehrer, Gouvernanten, Kaufmannsdiener, Handwerker, die oft auf’s Gerathewohl und unter falschen Vorspiegelungen herüberkommen und nicht selten durch das schmerzlichste Fegefeuer laufen, manchmal auch ganz darin umkommen müssen. – Das Bureau wird unter der Firma: „E. Juch and Co.“ geführt und ist vorläufig, bis zur Einrichtung eines definitiven Geschäftslocals, „48 Clifton street, Finbury square, London“. Schriftliche Anfragen und Aufträge müssen natürlich frankirt eingesandt werden. Auch in Bezug auf Auswanderung stehen dem Bureau tüchtige Kenntnisse und Mittel zu Gebote. Das Unternehmen wird sich für die Deutschen in London, wie für die in Deutschland, als große Wohlthat erweisen.




Zur Zeitkunde. Das Bedürfniß, sich über Wesen und Geschichte des Mannes zu unterrichten, der sich als Befreier Italiens aufdrängte und deutsche Regierungen und Nationen in Moniteurartikeln wie Schulbuben herunterkanzelte, tritt jetzt mit jedem Tage mehr hervor. Wir können zu diesem Zwecke ein jüngst in Leipzig bei Hirzel erschienenes Buch: „Geschichte Frankreichs von 1814–1852 von L. v. Rochau“ sehr empfehlen Der Verfasser vereinigt mit den gründlichsten Studien eine sehr anziehende frische Darstellungsweise, und wie präcis und gedrängt er zu schreiben versteht, mag nur ein Passus beweisen, den wir willkürlich aus dem 2. Bande wählen:

Am 20. Decbr. 1848 wurde das Ergebniß der Volkswahl in der Nationalversammlung feierlich verkündigt. Hierauf erklärte Cavaignac im eignen Namen und im Namen des Ministeriums die Abdankung der bisherigen Regierung. Alsdann erfolgte die Ausrufung Ludwig Bonaparte’s zum Präsidenten der Republik, vom heutigen Tage an bis zum zweiten Sonntage des Mai 1852, und die Beeidigung desselben. Der Vorsitzende der Nationalversammlung, Armand Marrast, sprach die in der Verfassung vorgeschriebene Eidesformel: „Im Angesichte Gottes und des französischen Volkes schwöre ich, der einen und untheilbaren demokratischen Republik treu zu bleiben, und alle Pflichten, welche mir durch die Verfassung auferlegt worden sind, zu erfüllen,“ und Ludwig Bonaparte leistete den ihm vorgelegeen Eid mit den Worten: „ich schwöre es.“ Marrast fügte hinzu: „Wir nehmen Gott und Menschen zu Zeugen des geleisteten Schwurs.“

Der neue Präsident bat jetzt um das Wort und hielt eine Anrede an die Nationalversammlung, welche folgendermaßen begann: „Die Stimme der Nation und der Eid, den ich eben geleistet, zeichnen mir mein künftiges Verfahren vor. Meine Pflichten sind mir vorgeschrieben, und ich werde sie als Ehrenmann erfüllen. Ich werde als Feinde des Vaterlandes alle diejenigen betrachten, welche darauf ausgehen, durch ungesetzliche Mittel abzuändern, was Frankreich angeordnet. Zwischen mir und Ihnen, Bürger Abgeordnete, kann es keine Meinungsverschiedenheiten geben. Unser Wille und unsre Wünsche sind die nämlichen. Ich will, wie Sie, die Staatsgesellschaft wieder auf ihren Grundlagen sicher stellen, die demokratischen Einrichtungen befestigen, und Alles aufbieten, um die Leiden des hochherzigen und einsichtigen Volkes zu lindern, welches mir einen so glänzenden Beweis seines Vertrauens gegeben hat“ u. s. w.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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