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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

einmal erscholl ein so durchdringender Schrei, daß ich erschreckt zusammenfuhr, und mein gutes Thier, nicht gewohnt an so rüde Hülfen, sich bäumte und mich bügellos machte.

„Vorwärts, dort läuft der Wolf!“ rief mein Freund und flog voran. Ohne Antrieb folgte mein Renner. Uns gerade gegenüber, am jenseitigen, flach abgeböschten Hang der Mulde streifte ein Ding durch die Burianbüsche, wie ein grauer Schatten; es mochte 800 bis 1000 Schritte von uns entfernt sein. Gleichzeitig aber tauchten auch Wassilei und Sacha ihm zu Rechten auf, in ziemlichem Abstand von einander; der Erstere voraus, augenscheinlich bestrebt, dem Wolf die Richtung zu verlegen und ihn nach unserer Seite, die wir den linken Rand der Vertiefung umritten, zu wenden. Es gelang ihm vortrefflich, das geängstigte Thier ließ sich von der anfangs eingeschlagenen Linie seiner Flucht abbringen, und es war nunmehr an uns, die wir die Sehne seines Bogenlaufes ritten, die Hetze aufzunehmen. Alle Aufmerksamkeit, die ich vorher dem Gegenstand derselben gewidmet, concentrirte sich bald auf die Pferde. Als wüßten sie, was es gelte, flogen die edlen Thiere dahin, es bedurfte nicht des mindesten Antriebes durch Zügel und Peitsche, um sie zu reizen oder zu leiten; in ihnen schien dieselbe Aufregung zu gähren, die ihre Reiter ergriffen hatte. Die Vollblutstute mochte aber noch so gewaltige Sätze machen, mein Tatar war ihr stets zur Seite, und, was mich am meisten verwunderte, ehe man sich’s versah, ritten Wassilei und Sacha, welche doch weit hinter uns geblieben waren, auf ihren kleinen struppigen Kleppern mit uns auf einer Linie; nach und nach schwenkte der Letztere zur Linken, so daß wir Beiden im Abstand von ungefähr hundert Fuß die Mitte einnahmen. Bald waren wir dem Wolf auf 3–400 Schritte nahe, und nun galt es, das Tempo zu mäßigen, sonst würden wir dem Raubthier zu früh, ehe es seine Kräfte verloren, auf den Nacken gekommen sein, und der Erfolg wäre problematisch gewesen. Es kostete aber große Mühe, die Rosse zu zügeln, und besonders mein Hengst machte mir mehr zu schaffen, als mir lieb war. Einige Worte des mir zur Seite gerückten Jagdherrn erklärten mir auch jetzt das Manöver der Vorreiter. Man hetzt den Wolf nur mit dem Winde, niemals gegen denselben; im letzteren Fall hält er die Verfolgung noch einmal so lange aus, während die Pferde übermäßig angestrengt werden. Die Direction war gelungen und der Erfolg schon sichtbar.

Deutlich war zu gewahren, daß der Wolf an Kräften mehr und mehr verliere. Wir waren etwa seit einer Stunde auf seinen Fersen und kamen ihm, trotz der nunmehr gemäßigten Gangart unserer Pferde, mit jedem Schritt näher. Er lief in einer Art von kurzem Galopp, den Kopf tief niederhängend, den Schweif eingeklemmt, von Zeit zu Zeit fiel er in einen Trott, wie um sich zu erholen, zuweilen wandte er sich nach rechts und links, aber überall waren die Verfolger. Allmählich kamen wir ihm so nahe, daß wir die scharfe Witterung des Thieres bekamen; immer unbändiger wurden die Pferde, sie hackten im Lauf mit den Vorderfüßen, als gierten sie darnach, den grimmen Feind zu treffen. Schon ritt Wassilei ihm dicht zur Seite, der Augenblick der Entscheidung nahte. Immer langsamer lief das verfolgte Thier, manchmal raffte es noch alle seine Kräfte zusammen zu einem paar verzweifelten Sätzen, aber endlich erlahmte seine letzte Anstrengung. Im Bestreben zu enteilen, schoß es einige Mal noch eine Strecke weit vorwärts, dann versuchte es, einen Haken zu schlagen – umsonst! Endlich stand es – wir waren dicht hinter ihm. Es gibt keinen scheußlicheren Anblick, wie den des mattgehetzten Wolfs. Die Zunge hing ihm fußlang aus dem geifertriefenden Maule, die weißgelben Zotteln des Sommerpelzes standen vom Körper ab, und ein abscheulicher Geruch vergiftete ringsum die nächste Atmosphäre. Wie es im Reinecke Fuchs beschrieben: „es brach ihm vor Schmerzen über und über der Schweiß durch seine Zotten, er löste sich vor Angst.“ Das Thier war eine Wölfin, wahrscheinlich dieselbe, der man die Jungen geraubt, hager und verwahrlost zum Entsetzen. Mit eingeknickten Hinterläufen machte es nunmehr Kehrt gegen die Verfolger, denen es kaum gelang, die wüthenden Pferde zu pariren. Wie ein Blitz war der starke Wassilei aus dem Sattel, er riß seinen alten Filzhut vom Kopf, stülpte ihn um die linke Faust und trat, diese vorgehalten, furchtlos der erschöpften Wölfin entgegen. Treulich folgte ihm sein wilder Klepper, mit den Vorderbeinen hauend und die Zähne bleckend, als wolle er helfen, den grausamen Räuber zu fangen. Dieser sah allerdings noch gefährlich genug aus, aber doch war schon in seiner ganzen Stellung nicht mehr zu verkennen, daß mit der Entkräftung die Feigheit über ihn gekommen sei.

Jetzt stand der Mann einen Schritt vor dem Raubthiere, weit riß dieses den schäumenden Rachen auf, die Faust mit dem schützenden Filz fuhr ihm zwischen die Fangzähne, aber die gewaltigen Kiefern hatten ihre Stärke verloren, nur unschädlich schlossen sich dieselben, gleichzeitig aber packte Wassilei’s kräftige Rechte das Genick der Wölfin und preßte ihr den Kopf an den Boden. In dem nämlichen Augenblicke war auch Sacha zur Hand mit Stricken, eine Schleife ward um die Schnauze geschlungen, mit einer gleichen jedes Paar der Pranken unschädlich gemacht – und in einer Secunde lag die Wölfin gebändigt und gefangen zu unseren Füßen. Die echten Jäger der Steppe halten es für unwaidmännisch, den Wolf sofort zu tödten; passionirte Freunde der Hetze setzen sogar eine harte Strafe darauf, wenn einer ihrer Leute sich vom Eifer dazu hinreißen läßt, gleich als wollten sie zeigen, wie wenig furchtbar ihnen ein solch’ blutdürstiger Feind sei. Waffen zu tragen ist daher niemals dabei erlaubt; will man kurzen Proceß machen, so wird der Wolf mit den Kantschu’s erschlagen. Wir sparten ihn für einen ebenbürtigen Gegner auf; Sacha warf den Gefesselten vor sich auf’s Pferd und dann ritten wir fröhlich heimwärts, ich um ein merkwürdiges Jagdabenteuer reicher. Unsere Pferde waren und blieben so frisch, als kämen sie eben von der Weide.

Zwei Tage Galgenfrist wurden der gefangenen Wölfin verstattet; man hatte sie, ihrer Bande entledigt, in einer Scheune eingesperrt und mit Futter versehen, wovon sie aber wenig Notiz zu nehmen schien. Am dritten Tage schlug ihre Stunde. Wir waren von der Seite her auf das Gebälke gestiegen, um das Schauspiel mit anzusehen; die Wölfin hockte in einer Ecke und blickte ingrimmig finster umher und hinauf. Da öffnete sich die schmale Pforte der Einfahrt und herein schob Wassilei den edlen Neufundländer Leo, rasch wieder hinter ihm schließend. Kaum erblickte der wackere Hund die gefährliche Feindin, so richtete er sich mit dumpfem Knurren majestätisch empor, langsamen Schrittes, die Läufe hoch gehoben, schritt er näher und näher auf sie zu. Die Wölfin drückte sich ganz dicht an den Boden, nur den Kopf mit dem geöffneten Rachen in die Höhe reckend, als wolle sie einen Sprung nach dem Halse des Widersachers wagen. Aber dieser war ein erprobter Held, der nicht dem ersten Wolfe gegenüber stand. Sobald er nahe genug war, machte er eine Bewegung, als wolle er sich auf die Feindin stürzen, rasch fuhr diese knappend vorwärts, aber gleichzeitig hatte Leo mit berechnender Behendigkeit eine Wendung zur Seite ausgeführt, und mit gewaltigem Satze lag er nun über der Wölfin – ein Biß, ein Krachen der Halswirbel, und sie streckte sich zuckend, verendet. Stolz und unversehrt, gehobenen Schweifes, mit Befriedigung leise knurrend, umschritt der edle Hund den besiegten Gegner, von Zeit zu Zeit still stehend, als sei er darauf gefaßt, ihn wiederum erwachen zu sehen. Aber er war sehr todt.

Dies war eine Wolfshetze im Sommer. Im Winter, der gewöhnlichen Jahreszeit für solches Vergnügen, ist sie gefahrvoller und interessanter, theils wegen des schlimmeren Terrains für den Reiter, theils weil die Wölfe dann gewöhnlich in Rudeln zusammen gehen und es dann oft heißt: Auf den Mann ein Vogel! Die dem Lager entnommenen jungen Wölfe werden großentheils blos zur Winterhatz auferzogen, wie man es in Britannien auch theilweise mit Füchsen zu halten pflegt. Eine andere Art Wolfsjagd ist die im Schlitten; sie gibt Gelegenheit, Geschicklichkeit in der Handhabung der Büchse zu zeigen. Mit einem tüchtigen Dreigespann fährt der Jäger hinaus, er hat mehrere Gewehre zur Hand, vielleicht noch einen Büchsenspanner neben sich, und sitzt rückwärts im Schlitten, an welchem mittelst eines langen Strickes ein Stück Aas angebunden ist, welches im Schnee nachschleift. Sind die Wölfe zahlreich in der Gegend, so bekommen sie bald die Witterung der Lockspeise und beginnen, derselben zu folgen; anfangs in scheuer Entfernung, dann aber, von Hunger und Gier angestachelt, sich immer näher und näher wagend. Ein guter Schütze kann auf diese Weise ein ganzes Rudel nach und nach vertilgen, denn der Fall eines Cameraden schreckt die Anderen nur höchstens auf so lange ab, bis dessen magerer Leichnam zerrissen und verschlungen ist. Nur muß er ein scharfes Auge und eine sichere Hand haben, um die Wölfin nicht zu tödten, welche gewöhnlich den Kern eines Rudels von vier bis sieben Wölfen bildet. Ist diese gefallen, so werden die letzteren toll und scheuen keine Gefahr mehr, so daß oft nur schnelle Flucht vor ihrer Wuth erretten kann. Die Tataren jagen den Wolf mit dem Adler, welcher dazu abgerichtet wird, indem er stets sein Futter auf dem Schädel eines oberflächlich ausgestopften Wolfes empfängt. Der Vogel umflattert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_217.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2023)