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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

bemerkt haben würde. Nur wenn die Prinzessin nach Paris kam, war einiger Waffenstillstand; einmal, weil Napoleon neue Hoffnungen schöpfte, dann, weil er die Anklagen seiner Frau vor dem Forum der Schwiegermutter fürchtete. Madame Napoleon erkannte sehr wohl die Gründe dieses Waffenstillstandes, lächelte verächtlich und freute sich in dem Bewußtsein, daß das Schicksal ihres Mannes von ihr abhänge und daß sie ihn, wenn sie wolle, verderben könne.

Die schlimmste Zeit für Madame Napoleon war die des orientalischen Krieges. Die Prinzessin war zu delicat, um in dieser aufgeregten, sehr beschäftigten Zeit den Kaiser mit solchen Kleinigkeiten zu behelligen, und da von diesem kein directer Befehl zur Ertheilung der Concession Orleans-Epernay ausging, und die Minister bei dieser Protection weiter nicht betheiligt waren, fanden sie in den wichtigeren Angelegenheiten Vorwand genug, die ganze Sache in den Hintergrund und auf die sogenannte lange Bank zu schieben. Herr Napoleon B. sah das Alles ein, aber er konnte nicht warten; sein Unmuth mußte sich Luft machen, und seine arme Frau litt durch den orientalischen Krieg vielleicht mehr, als irgend ein Krieger in der Krim durch Entbehrung, Mangel und Frost gelitten hat.

Es kam der Frieden; der Congreß versammelte sich in Paris. Auch die Prinzessin kam in die Tuilerien. Napoleon B. schöpfte neue Hoffnung; er athmete auf; endlich mußte die definitive Concession erobert werden können. Es war hohe Zeit. Die Gläubiger drängten; bereits Jahre langer Luxus hatte ihre Schaar vermehrt. Die Bankiers, die sich mit Napoleon eingelassen, fingen an, ihn als Charlatan zu betrachten, und gaben ihm nur noch eine Galgenfrist. Aber, wie gesagt, nun schien Alles wieder gut gehen zu wollen. Napoleon behandelte seine Frau wieder rücksichtsvoller.

„Nun,“ sagte er eines Tages, „nun, mein geliebtes Kind, ist es an Dir, unsere Zukunft zu sichern; die Zeit des definitiven Glückes ist jetzt gekommen.“

„Ist diese Zeit gekommen?“ fragte sie mit eben so viel Trauer, als Bitterkeit im Herzen; doch lächelte sie und gutmüthig, wie sie von Natur war, ließ sie sich auf’s Neue instruiren und ging zu ihrer Mutter. Sie kam mit neuen Hoffnungen zurück, doch vertröstete sie ihren Mann auf den Schluß der Conferenzen. Napoleon war der Vertröstungen müde, und unbezahlte Rechnungen und Mahnbriefe lagen auf dem Tische. Er brach in Verwünschungen gegen seine Frau und ihre Mutter aus. Madame hatte sich längst gewöhnt, zu antworten; sie antwortete und zog sich dafür die brutalsten Mißhandlungen zu.

Einige Tage darauf war Herr Napoleon B. wieder zärtlich. Er hatte sich erkundigt und erfahren, daß Alles reif war; es bedurfte nur noch eines einzigen Wortes von Seiten der Prinzessin, und die Congreßacten wurden unterzeichnet. Er kündigte das seiner Frau an, sagte ihr, ihrer beider Glück sei nun gemacht, und bat sie wieder, ihre Mutter zu besuchen und sie nur noch um den letzten kleinen Schritt zu bitten.

„Ist nun wirklich Alles fertig?“ fragte Madame.

„Es ist.“

„Nun,“ sagte Madame, „werde ich das Meinige thun.“

Herr Napoleon B. fährt aus, um seinem Bankier den Abschluß dieser Angelegenheit anzukündigen. Als er Abends nach Hause kam, war seine Frau eine Leiche. Neben ihr lag ein Giftfläschchen. Sie hatte sich vergiftet und zwar, wie sie es in einem Briefe sagte, um sich an ihrem Manne, den sie haßte, für alle Unbill, die sie in diesen Jahren hatte ertragen müssen, zu rächen, um die Concessionsertheilung, die nur ihrer Person gelte, zu Nichte zu machen, um ihn in Elend und Verachtung, die er verdiene, zu stürzen.

Die Frau hat ihren Zweck erreicht. Orleans-Epernay ist stückweise verschiedenen Gesellschaften zugetheilt worden; die Prinzessin hat Napoleon B. von ihrer Schwelle gejagt – all’ sein Luxus ist dahin, und nun läuft er als abenteuerlicher Projectenmacher mit der Mappe unter dem Arme von Comptoir zu Comptoir.




Blätter und Blüthen.

Die Verbannten Neapels in England. Nach dem Gesetze, welches auf Schiffen gilt, kamen die 69 Verbannten Neapels durch ein mit Tode bestraftes Verbrechen auf den freien Boden Englands. So groß ist aber die Gewalt der Humanität und edler Herzensregungen, wenn sie einmal durchbrechen und sich allgemein geltend machen, daß in England Jeder vom Höchsten bis zum Geringsten über den nobeln Gewaltstreich der Verbannten jauchzte und seiner Sympathie vollen Ausdruck gab, ohne daß Einer an den todten Buchstaben des Gesetzes nur dachte. Ein Verein der Nobelsten und Angesehensten Englands (Lord John Russel, Palmerston, Minister, Bischöfe etc.) hat bereits mehrere Tausende von Pfunden zusammengebracht, um die durch lange, entsetzliche Kerkerleiden Verkommenen zu erquicken und Sympathie durch That zu bekunden. Demonstrationen und Meetings großer Massen, welche zu deren Ehre beabsichtigt waren, unterblieben auf dringendes Gesuch der Befreiten selbst, welche öffentlich durch die Zeitungen erklärten, daß sie nach einem mehr als zehnjährigen Leben in Kerker und Kette nicht im Stande sein würden, sich öffentlich ihrer Dankbarkeit würdig zu zeigen.

Die 69 Verbannten (über 300 liegen noch gefesselt in neapolitanischen Kerkern – als politische Opfer) sollten auf Befehl des Königs von Neapel in einem amerikanischen Schiffe in die Vereinigten Staaten gebracht werden. In Cadix nahm das Schiff einen Fremden auf, der sich bald als der Sohn des Märtyrers und Patrioten Settembrini erwies. Durch ihn und die Einstimmigkeit der anderen Verbannten wurde der Capitain genöthigt, das Schiff ihnen zu übergeben. Unter Leitung des fachkundigen Raffaelo Settembrini lief nun das Schiff in Queenstown, Irland, ein. Als sie landeten (Baron Poerio, ein Bischof, Priester, Gelehrte und der Mehrzahl nach gebildete Männer vom Stande), entwickelte sich am nassen, sandigen Gestade ein Lebensbild, das als ein historisches festgehalten und noch in frischen Farben betrachtet werden wird, wenn unzählige Mächtige dieser Tage verschollen und vergessen sein werden. Sie knieten nieder in den Sand, einige küßten die Erde, Andere breiteten die Arme gen Himmel empor und beteten mit entblößten Häuptern, Thränen flossen an sonst harten und braunen Backen herunter. Die ganze Stadt gerieth in freudige Bewegung und obrigkeitliche wie unterthanliche Personen vereinigten sich im Wetteifer, ihnen wohlzuthun. Einige wurden hier, Andere da (die Meisten in dem benachbarten Cork) häuslich aufgenommen. Jetzt sind mehrere Gelehrte von ihnen Gäste angesehener Engländer in London.

Aus dem eigenen Berichte der Verbannten entnehmen wir folgende Thatsachen:

„Wir sind Alle aus neapolitanischen Gefängnissen und Galeeren gekommen. Ein Gnadenact sendet uns in ewige Verbannung, die sich nicht mit unsern Gesetzen verträgt: Transportation nach Amerika. Wir wurden plötzlich auf’s Schiff gebracht, ohne daß wir unsere Familien vorher einen Augenblick sehen oder sonst persönliche Angelegenheiten ordnen durften, und fuhren am 17. Januar ab. In der Bai von Cadix wollten wir an’s Land, aber 25 Tage dort aufgehalten durften wir Niemand sehen. Briefe an verschiedene Behörden blieben ohne Erfolg. Endlich wurden wir für 8500 Dollars an den amerikanischen Capitain Stewart von Baltimore verkauft, die Summe, wofür er uns gegen unsern Willen nach Amerika zu transportiren versprach. Wir protestirten Alle durch ein Document, worin wir erklärten, daß wir, wenn frei, die amerikanischen Gesetze gegen diese Gewaltthat anrufen würden, und baten den Capitain, uns nach dem nächsten Hafen von England zu bringen. Er weigerte sich lange, bis er am 21. Februar zu der Ueberzeugung gebracht worden war, uns zu gehorchen und uns nach England zu bringen.

„Gefragt, warum wir nicht vorgezogen, in das freie Amerika zu gehen (wo Jedem von uns 130 Dollars ausgezahlt werden sollten), müssen wir mit verschiedenen Gründen antworten. Seht auf unsere Gestalten! Die meisten von uns sind alt und verfallen in Kraft und Gesundheit. Nach zehnjährigem, lebendigem Begräbniß in Kerkern und Galeeren und 35tägiger Seereise im Dampfschiffe – wie konnten wir erwarten, eine Reise im Segelschiffe nach Amerika zu ertragen? Wer verbannt wird von einem theueren Vaterlande, für welches er gestritten und gelitten, möchte wenigstens möglichst nahe bleiben. Vielleicht werden auch unsere noch zurückgebliebenen leidenden Brüder, nach dem Beispiele, das wir gegeben, nicht so fern verbannt. Endlich frei, gebrauchten wir unsere Freiheit zuerst dazu, uns nicht der Gewalt zu fügen. Deshalb baten wir um englische Gastfreundschaft. Die englische Regierung that vor zwei Jahren einige Schritte für unsere Freiheit, aber auf Bitten ward nicht gehört, so daß die diplomatischen Verhältnisse zwischen Neapel und England abgebrochen wurden. Wir hoffen deshalb, daß das englische Volk diesen Beweis seiner Selbstachtung auch auf Die ausdehnen wird, welche für die Freiheit ihres Vaterlandes gefochten und gelitten.“

Dieser Beweis ist bis jetzt glänzend und nobel geführt worden.

Sie sind frei, 69 von ihnen. Ueber dreihundert schmachten noch in neapolitanischen Kerkern. Politische Verbrechen sind keine in der Natur der Menschen wurzelnden, sondern Producte staatlicher Einrichtungen und deshalb von Zeit und Umständen bedingt. Aus diesem Grunde haben sich die Sieger in politischen Kämpfen auch meist veranlaßt gefunden, hier sehr nahe liegende und sich als gerecht erweisende Gnade zu üben. Wir finden den König Ferdinand von Neapel unter Denen, die eine solche Regung fühlten und wenigstens Einigen zu Gute kommen ließen. Hoffen wir, daß der jetzt angebahnte Congreß auch den übrigen Eingekerkerten die heißersehnte Freiheit bringen und auch hier vergessen und vergeben wird, wo noch so viele leiden.


Bock’s Buch vom Menschen. 2. Lieferung wurde vor acht Tagen ausgegeben.

Ernst Keil.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_224.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2023)