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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

der Seefahrer ihrer endlich trüb und in ganz anderer Gestalt ansichtig wird, ist es oft schon zu spät. Die unüberwindlichsten Feinde des Seefahrers aber sind die Stürme, deren Gewalt keine menschliche Vorsicht berechnen, keine menschliche Macht besiegen kann. Das vom Orkan über den aufgewühlten Ocean gepeitschte Schiff wird, ist es nicht möglich, es von den verderblichen Sandbänken fern zu halten, im Angesicht des leuchtenden Pharus von den Wogen auf Untiefen geworfen und von der Wucht der Wellen wie Glas zertrümmert.

Von der ungeheuern Gewalt der Meereswogen können diejenigen, welche nie mit eigenen Augen eine stürmische See gesehen haben, sich kaum eine Vorstellung machen. Centnerschwere Felsblöcke werden von einer einzigen großen Woge bergaufwärts gerollt, und der springende Kamm einer sich bäumenden Welle, der im Sonnenlicht einem riesigen Diadem von Silber ähnelt, zerschmettert vielzöllige Balken, als wären es dünne Holzsplitter. Selbst die gewöhnliche Brandung auf sandigem Flachstrande zerschlägt die stärksten Boote in unzählige Stücke.

In solcher Noth, die der Seemann in seinem schweren Berufe nur zu oft kennen lernt, setzt er, wenn schon die Planken seines Schiffes im Anprall der Sturzseen brechen, seine Hoffnung noch immer auf den Leuchtthurm. Das stille Licht über dem schäumenden Meere sieht auf ihn herab aus Himmelshöhen wie das Auge Gottes. Er bietet die letzten Kräfte auf, um ein Boot von dem zerschellenden Wrack loszumachen, greift zu den Rudern und strebt dem Thurme zu. Erreicht er ihn und gelingt es seiner seemännischen Geschicklichkeit, an dem ragenden Gemäuer anzulegen, dann weiß er, daß er für diesmal dem Tode entronnen ist.

Um solchen Unglücklichen mit dem Nöthigsten beispringen und den Erschöpften, vielleicht schon Halbtodten Pflege angedeihen lassen zu können, befinden sich in größeren Leuchtthürmen erwärmte Räume etc. Auch der Bremer Leuchtthurm besitzt solche in der kalten Jahreszeit stets erwärmte Stuben. Auch hält man eine beträchtliche Anzahl wollener Decken bereit, damit die Schiffbrüchigen zunächst durch Benutzung derselben den Gebrauch ihrer erstarrten Glieder wieder erhalten. Auch für genügenden Proviant ist stets gesorgt. Und so erfüllen denn die Leuchtthürme[WS 1]eine doppelte Pflicht der Menschlichkeit. Sie zeigen in finsterer Nacht den Seefahrern die Pfade durch die unendlichen Wasserwüsten und bieten im Sturm verunglückten Schiffern ein sicheres Asyl und unentgeltliche Pflege.




Kanonische Weisheit und Kriegsbereitschaft
in England.

Der „ewige Friede“, welchen Kant prophezeihte, ist noch nicht gekommen. Im Gegentheil rüstet man sich entrüstet und allseitig furchtsam und mißtrauisch zu einem allgemeinen europäischen Kriege, ohne sich mit Congreß und Friedensstiftung zu trösten. Dieser allgemein gefürchtete Krieg würde, wenn er losbräche, mindestens ein sehr naturwissenschaftlicher werden, eine durchgebildete, ausgesuchte, angewandte Chemie im Großen zerstörender, explodirender, entzündender, Menschen, Städte, Festungen und Länder in unerhörter Kraft und Geschwindigkeit verwüstender Compositionen. Welch’ furchtbare chemische Geheimnisse vermuthet man hinter Cherbourg und andern Festungen des „Kaiserreichs, welches der Friede ist“! Und hat nicht jedes Arsenal in den christlichen Königreichen irgend eine mysteriöse Explosions-Mischung oder neue Waffengattung von unerhörter Tragweite und Mordgewalt?

Von den meisten dieser Geheimnisse wissen wir gewöhnliche Sterbliche, die wir blos das Geld oder uns selbst für die Kriege liefern müssen, wenig oder nichts. Doch was die großartigste und eifrigste aller Kriegswerkzeug-Industrieen, die englische, betrifft, ist vieles Geheimniß offenbar geworden, z. B. das große Ereigniß des Jahrhunderts, wie die Armstrong-Kanone genannt ward, so sehr auch die „Autoritäten“ thun, als hätten sie noch Alles für sich, und obgleich Theilhaber der Erfindung das ganze Patent längst an Amerika und Frankreich verkauft haben.

Im Arsenale zu Woolwich haben wir uns früher schon einmal umgesehen.[1] Jetzt gilt es, den entlegeneren Kanonen-Probir- und Exercirplatz Shoebury-Neß zu besuchen, um einigermaßen zu sehen, was England für angewandte Mathematik und Chemie auf den künftigen Kriegsschauplatz liefern würde.

Selbst die Engländer wissen meist nicht, was oder wo Shoebury-Neß ist. In den Zeitungen kommt der Name zwar oft vor und in der Regel mit der Nachricht, daß dort schon wieder eine Kanone gesprungen sei. Was ist Shoebury-Neß? Wo ist Shoebury-Neß? Warum zerschmettern Leute neue Kanonen à 1500 bis 3000 Pfund per Stück in Shoebury-Neß? Und wie ist’s mit der Armstrong-Kanone, dem Ereigniß des Jahrhunderts?

Versuchen wir, zu antworten.

Shoebury-Neß also ist ein Stückchen Landzunge, die England von der Essex-Küste aus, nicht weit von der Themse-Mündung, in den Canal und gegen Frankreich heraussteckt, ein schreckliches Stück Sand ohne Bewohner, ohne Häuser, ohne Vieh, ohne Bäume, ohne Felder. Weiter landeinwärts liegt zwar das ärmliche Shoebury, aber die Zunge selbst, die Neß, ist aus der Sahara herausgeschnitten. Nichtsdestoweniger geht’s da sehr oft lebendig und laut her. Hier werden nämlich alle neuen, großen Kanonen, Mörser, Carronaden, Haubitzen und alle die unzähligen neuen, riesigen Kriegs-Instrumente, die auf Grund von Patenten zum ersten Male gemacht wurden, erst probirt, und zwar stets mit stärkeren Ladungen, als ihnen später zugemuthet werden soll. Bestehen sie die Probe, gut; aber sie platzten bisher größtentheils, wenigstens fast alle die neuen Riesenkanonen, welchen vorher nachgerühmt ward, daß sie mit einer Explosion Vernichtung durch die halbe Schöpfung schleudern würden. Es liegt für uns, die wir uns, wenn’s losgeht, doch blos todtschießen lassen oder dafür bezahlen müssen, daß Andere tausendweise todtgeschossen werden, eine Art Trost darin, daß diese mörderischen Ungeheuer sich mit dem ersten Schusse blos selbst umbrachten, ohne weiteren Schaden zu thun.

Nur ein furchtbarer Mörser, der größte unter allen seinen Collegen, in dessen Mündung ein Mann beinahe aufrecht stehen kann, 1½ Yard im Durchmesser, ½ Yard dick in der Eisenhaut und fähig, 500pfündige Bomben zu schleudern, und die Armstrong- Kanone haben unter allen neuen Kanonen-Versuchen die Probe bestanden.

Das Kriegs-Ministerium hat während der letzten fünf Jahre über sechshundert Erfindungen für Erleichterung und Erweiterung der Mordgewalten im Kriege zu Gericht gesessen und mehr als 150 praktisch probirt. Von letzteren haben sich nicht mehr als zwanzig bewährt. Unter diesen steht die Armstrong-Kanone obenan. Sie schleudert, wie die Regierung dem Unterhause versicherte, Bomben-Cylinder mathematisch genau und im richtigen Augenblicke ganze Regiments-Salven um sich her schmetternd bis fünf englische Meilen weit auf den erzielten Punkt. Das klingt beinahe wie Marktschreierei, die wir hier weiter nicht zu untersuchen haben. Wir beschränken uns auf kurze Verdeutschung der Beschreibung, die wir in einem englischen Ingenieur-Journale fanden.

Danach ist die Armstrong-Kanone allerdings ein merkwürdiges Monstrum. Bis jetzt sind zwei Größen fabricirt worden, von 3½ und 2½ Zoll Bohr, beide 10 Fuß 6 Zoll lang und mit 40 Rifle-Rinnen. Jede ist doppelt oder vielmehr dreifach dickgehäutet. Die innere Haut besteht aus Stahl. Ueber dieser ist in Spiralen ein dickes Band von Eisen geschmiedet, und darüber eine andere Spirale in entgegengesetzter Windung, ebenfalls von zähem Schmiedeeisen. Die größere Kanone wiegt so 360 Centner. Das Merkwürdigste kommt nun aber erst. Die Baxe oder der hintere Theil besteht aus einem Pflock, der locker geschraubt werden kann und hohl ist. Es wird nicht, wie es hieß, durch die nach Wegschraubung der Baxe entstandene Oeffnung, auch nicht durch die Mündung, sondern von der Seite oben geladen. Hier wird ein viereckiger Eisenblock herausgehoben und die Kugel, welche keine Kugel ist, in die Oeffnung gebracht, für welche zugleich durch Aufschraubung des hohlen Baxen-Blocks Raum gemacht wird. Letzterer wird darauf wieder festgeschraubt, so daß die Kugel gegen einen kleinen Vorsprung im Innern festgedrängt wird. Hierauf kommt

  1. Siehe Nummer 37. des Jahrganges 1858 der Gartenlaube.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Leutthürme
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_245.jpg&oldid=- (Version vom 2.5.2023)