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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Boden, schrie den Spielleuten ein „Ruhig!“ zu und sang mit vor Wuth bebender Stimme:

„Zwanz’g Schneider auf ein Loth,
Viel Hund’ sind Hasentod.
Ein und Zwei fürcht’ i nit,
Laßt mir ’n Fried!“

Nun erscholl es von allen Selten: „’n Jagerfranz außilupf’n!“ Die Musikanten ließen ihre Pfeifen und Trompeten schmettern, der Kreis öffnete sich wie auf einen Wink, der Neureiterstephl ergriff den Franz an Brust und Bauch mit den Worten: „jetzt gehst D’, Jagerbüberl!“, trug ihn trotz seiner heftigen Gegenwehr wie ein Kind aus dem Tanzboden zur Tennenstiege und warf ihn hinab, daß die Treppen krachten.

Der Franz raffte sich, drunten auf beschleunigte Weise angelangt, mit zerquetschtem Leibe und gelähmten Gliedern auf, und so hart es ihm auch ankam, hinkte er durch die Nacht, zähneknirschend vor Wuth, dem Forsthause zu, wo bereits lange die Lichter ausgelöscht waren. Er suchte sein Nachtlager.

Es mochte etwa um elf Uhr sein, als eine weibliche Gestalt vorsichtig die Thüre des Försterhauses öffnete, das Haus verließ und, von den Hunden freundlich angewinselt, durch den Garten in’s Freie eilte. Das war die schöne Kuni. Sie wußte nichts von dem, was dem Franz erst begegnet war; sie war bald nach der Unterredung mit demselben, welche der Stephl mit angehört hatte, in ihre Kammer gegangen, aber nicht um zu schlafen, sondern sich tanzmäßig zu kleiden und dann im Dunkeln auf die Heimkehr Franzens zu harren. Daß derselbe in’s Wirthshaus gegangen sei, vermuthete sie; aber so lange er dort war, mochte sie nach dem, was sie zu ihm über den Stephl gesagt hatte, begreiflich nicht hingehen. Als sie nun den Franz heimkommen gehört hatte und Alles wieder stille war, eilte sie dem Hagmair zu. Denn sie war gegen die Liebe Stephls nicht so gleichgültig und kalt, als der Stephl glaubte und als wir auch meinen könnten; zu Franz schimpfte sie nur deshalb über Stephl und über die Bauern, damit sie in ihrer Bekanntschaft mit Stephl von dem Bruder nicht belästigt werden möge. O, die Weibsleute sind gar schlau!

Kuni kam vor dem lieben Lamme an und traf unter der Hausthüre mehrere Buben, welche in die Nacht hinauslauschten. Sie hielten es nämlich für möglich, daß der Franz mit Verstärkung zurückkehren werde, um die erlittene Schmach zu rächen, und in diesem Falle wollten sie den Strauß mit den Jägern sogleich im Dunkeln und im Freien ausmachen. Der Franz aber dehnte die zerworfenen Glieder im Federbett und nur seine Schwester führte ihr Unstern des Wegs. Der Stephl befand sich selbst unter den Horchern, und so traf die Kundl ihn früher, als sie gehofft hatte. Der Bub’ war noch ganz wild von der Aufregung der vorigen Stunde. Als aber jetzt Kuni, auf die er auch fuchswild war, in aller ihrer Holdseligkeit, die ihr Wesen zierte, auf einmal wie aus den Wolken gefallen vor ihm stund, zerfloß ihm schier das ganze Herz in Schmerz und Wonne, und er kämpfte einen harten Kampf der Liebe mit der Rache. Er nahm sich aber fest zusammen und ließ sie hart an:

„Warum bist bei Tag nit kummen, hoffärtige Dirn Du? Hast etwan Dich geschämt, Dich mit dem Bauerlümmel und groben Klotz beim ehrlichen Sonnenlicht schauen zu lassen, Du – –“, er stockte einen Augenblick, aber er vergegenwärtigte sich die schwere Kränkung, die ihm Abends widerfahren, und dann brachte er’s über die Lippen – „Du leichtfertige Jägerkatz!“

Er hatte Kuni, die bald blaß, bald roth wurde, am Arm ergriffen, sie aber riß sich gewaltsam los, denn nun war die Reihe an ihr, die Gekränkte zu spielen.

„Ja, ja! ’s ist richtig so, ein Lümmel bist Du!“ erwiderte sie, „und b’hüt Dich Gott, und wenn Du Lust hast, der Wegnarr[1] zu sein, so such’ mich bald wieder auf!“

Mit dieser bissigen Rede verschwand sie im Freien. Dem Stephl fuhr das wie der Blitz durch den Leib, erbittert sprang er der Kuni nach, dann hörte man einen langen Schrei und dann ein großes Gelächter, und Stephl kam zu den Cameraden zurück und zeigte ihnen heimlich etwas, ich weiß nicht was, und Alle lachten mit.


Es brach schon der Morgen an, als der Neureiterstephl den Heimweg antrat; die steinernen Häupter der Gebirge leuchteten in den ersten Strahlen der Morgensonne. Zu jeder andern Zeit war dieser liebliche Anblick dem frischen Natursohne eine Augenweide gewesen, heut’ aber hatte er bald Verdruß darüber gehabt, denn er hätt’ lieber Alles schwarz und finster oder grau in grau gesehen, weil’s in seinem Herzen auch so aussah. Seine Liebe sah er verrathen und zerbrochen, seinen Stand beschmutzt, sein Haus verhöhnt, das war für sein Herz doch gar zu viel auf einmal. Nebenbei schwebte es ihm so vor, als könne sein gestriges Verfahren gegen den Jägerfranz und die Geschicht’ mit dem erstochenen Hühnerhund, wenn sie aufkäme, doch auch schlimme Folgen für ihn haben.

Daheim angekommen, war sein Erstes, dem Vater zu erzählen, was geschehen war. Da der alte Neureiter sah, daß Stephls Zorn noch größer sei, als sein eigener, wurde er ruhiger und ermahnte den Sohn, vorsichtig und klug zu sein. Was zwischen der Kuni und ihm vorgefallen, darüber erzählte der Stephl keine Sylbe. Für’s Erste mußte er gen Alm steigen, um nachzuschauen, wie viel Geisen der Franz eigentlich erschossen habe. Ohnehin war’s heut’ dem Buben zu eng’ im Hause, und deshalb sehen wir ihn schon bald darauf in Hemdärmeln und mit dem Wettermantel über die Schulter und den Bergstock in der Rechten den Fußsteig hinangehen, welcher über dem Roßanger hinter dem Hofe und über die Berghalden zum Fichtenwald führt, durch den man längs eines nun leeren Gießbachbettes zur Hochweide und endlich zur Neureiteralm gelangt.

Je höher hinan der Stephl kam, desto geringer war seine Schwermuth und endlich schien sie ganz verschwunden. Er hörte den Kuckuck rufen, und eine Drossel sang recht lieb, und da fiel’s ihm ein, daß er auch eine Stimme habe, und er sang, daß es rings aus dem Wald und von den Wänden wiederhallte, und darauf jauchzte er, daß sich die Luft bog unter diesen hell klingenden Tönen. Und die Senndirnen droben vernahmen ihn und entgegneten ihm, grüßend. In der thauigen frischen Morgennatur war er ganz munter geworden. Er staunte sehr, als er von den Sennerinnen hörte, daß kein Rind und keine Geis fehle, daß seit acht Tagen kein Schuß gefallen sei auf den Höhen, und daß sich noch kein Jäger habe blicken lassen und der Franz auch nicht.

„Also hat uns der Franz nur zum Besten gehabt, und ich bin heut’ der Wegnarr. Doch wart’ nur, Jäger, ich will Dir das Ziegenschwänzl noch um Dein Geierheft[2] schlagen!“

Einer Sennerin fiel die Vermuthung bei, das Schwänzlein könne von der Geis herrühren, die im vorigen Sommer von der Geierwand gestürzt, und dort zerschmettert liegen gelassen worden sei. „Richtig, das war ja eine braune Geis’ und das Schwänzl ist auch braun, sicher hat’s gestern der Franz gefunden.“ Der alte Neureiter war mit dem erstatteten Bericht zufrieden. Für den Muthwillen, meinte er, sei der Franz vom Stephl hinreichend gestraft, und die Sache sei hübsch ausgeglichen.

Anders dachte der Franz. Nach langem Hin- und Herwälzen im Federbett war er in bitteren Rachegedanken eingeschlafen und mit denselben am andern Morgen auch wieder aufgewacht. Er gedachte bei guter Gelegenheit dem Stephl die erlittene Unbill reich heimzuzahlen.

Die Sonne stund schon hoch am Himmel, als er die Schlafstube verließ. In der Hausflur begegnete ihm die Kuni. Sie hatte rothgeweinte Augen und – nun, was ist denn das mit Dir? gar ein Kopftuch um den Kopf gewunden und es sitzt so fest um denselben, als wäre er nackt.

„Gar ein Kopftuch?“ fragte der Franz.

Doch was hatte er mit dieser Frage Schreckliches angerichtet! Die Kuni brach in lautes Wehklagen aus und konnte schier nicht erzählen, was ihr geschehen war. Einer ihrer beiden Haarzöpfe – und was für schöne Zöpf hatte sie, es war eine Pracht! – war ihr von einem Buben, sie könne, sagte sie, es nicht sagen, war’s der Stephl oder ein Anderer, wurzweg geschnitten worden, und den andern mußte sie in der Nacht selber abschneiden, schon wegen der nothwendigen Gleichheit des Kopfs.

„Das hab’ ich Dir zu danken, Bruder Wildfang! Hättest Du dem Neureiter die Geis nicht erschossen, so hättest Du mir das nicht erzählen können, und wir hätten den Stephl nicht geschmäht und alles Andere wäre auch nicht geschehen. Die Zöpf’ sind hin, und der Stephl ist auch hin, und wenn er auch ein Bauerlümmel ist, so ist er doch ’n rechtschaffener Mensch und hat einen großen Hof, und gar so übel war’ er denn doch nicht!“ – Neue Klagen, neue Thränenbäche! – „Wenn das nicht passirt wär’, ich würd’ mich vor Dir wegen der Bekanntschaft jetzt nimmer scheuen!“ fuhr sie fort. Was half’s, daß Franz betheuerte, er habe in der That dem

  1. Der Erdmolch.
  2. Adlernase.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_256.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)