Seite:Die Gartenlaube (1859) 258.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Die Dienstleute Neureiters waren mit Stephl im Walde oder auf den Wiesen, und der alte Bauer saß wieder allein in seiner Stube. Da rollten zwei vornehme Wagen in den Hof, Bediente in fürstlicher Livree sprangen vom Bocke und öffneten den Schlag, und es stiegen mehrere Männer aus, und mit ihnen der Pfleger des Bezirks. Der Landesfürst hatte in dem Gebirge eine Jagd abgehalten, und um ihn von dem Wohlstand der Landleute zu überzeugen, lud ihn der Pfleger zum Besuche des Neureiterguts ein. Der alte Bauer war als Patriot bekannt, wenn man auch wußte, daß er etwas brummig sei; daß er über den heutigen Besuch die höchste Freude haben werde, davon hielten sich die Beamten für überzeugt. Eben blies der Neureiter aus seinem Pfeifenstummel dichte Rauchwolken; als er die Herren mit dem Pfleger kommen sah, meinte er, es sei eine Commission, die ihn um Geld bringen werde, und er legte seine Stirn in düstere Falten.

Die Stubenthür flog aus, ein Herr in Jagdkleidung, gütig grüßend, trat ein, und der nachfolgende Pfleger wendete sich an den Bauer mit den feierlichen Worten:

„Du hast die unendliche Ehre, hier Deinen allergnädigsten Landesfürsten in Deinem Hause zu sehen!“

Der Bauer betrachtete einige Minuten lang, sitzen bleibend, die Herren, dann erhub er sich mit den Worten:

„So, Du bist der Kini?[1] Und ich bin der alte Neureiter! Wart, ich hab’ was!“ stieg die Leiter zur Bodenkammer hinan und erschien mit einer Flasche und Holzteller, auf dem Käse war. Das stellte er auf den Tisch, schenkte in ein Gläschen aus der Flasche Schnaps und lud die Gesellschaft ein, Platz zu nehmen und Bescheid zu thun. Der Fürst ergriff das Gläschen und nippte, aber rasch stellte er es wieder weg, machte ein bitteres Gesicht und räusperte, denn die Flüssigkeit war der herbe, aber heilsame Enzian- oder Schwarzwurzelbranntwein. Der Alte lachte nunmehr und sprach: „Gelt, ’s schmeckt Dir nit? Schmeckt uns Unterthanen auch Manches nit!“ Und er begann mit großer Beredsamkeit seine Klagen über erlittene Bedrückungen zu erheben und besonders das Forstamt anzuklagen, obgleich der Forstmeister sich gleichfalls im Gefolge des Fürsten befand. Vergebens zwinkerte der Pfleger mit den Augen und winkte mit Händen und Füßen dem ungebetenen Redner ab, vergeblich legte er die Hand auf den Mund, öfters hintereinander. Der Neureiter wurde immer lebhafter, und indem er der Treue seiner Ahnen und seiner eigenen Treue in Zeit jeder Gefahr für Fürst und Land erwähnte, geißelte er die Schädlichkeit vieler Anordnungen der Federfuchser, wie er die Beamten nannte, und bat am Ende:

„Gelt, König Kini, so genau hast’s nit gewußt, aber jetzt leid’st Du’s nimmer, daß man den Unterthanen fortwährend plagt und ihm die Lieb’ zu Dir nehmen will!“

Lebhaft bewegt hatte der Fürst zugehört, auch war ihm die Verlegenheit des Pflegers und Forstmeisters nicht entgangen; nun sprach er: „Ich werde Alles genau untersuchen lassen, und so es sich also, wie Du sagst, verhält, soll’s anders werden! Ich will, daß Ihr Euch wohl befindet, ich weiß, daß Ihr brave Unterthanen seid!“

Der Neureiter war darüber hoch erfreut, und jetzt lud er den Fürsten ein, seinen Hausstand zu betrachten; lieber hätte er ihn auf den Armen herumgetragen. Noch frug ihn der Fürst über allerlei Boden- und Waldverhältnisse, der verständige Bauer berichtete ihm über Alles genau, und der Fürst war erstaunt, daß gar Vieles den Berichten seiner gelehrten Räthe zuwider war und klarer lautete; man sollte gar nicht glauben, daß dies möglich sei. Als der Fürst den Hof verließ und den alten Neureiter seines Wohlwollens versicherte und ihm auftrug, auch den Nachbarn zu sagen, wie ihm das Wohl der Unterthanen zu Herzen gehe, da ergriff der Bauer gar dessen Hand und sie bewegt küssend, sagte er:

„Herr Kini, wenn Du Geld brauchst, der alte Neureiter hat alte Thaler und gibt sie Dir mit Freude; aber von Deinen Federfuchsern mag er sich nit so mir nichts dir nichts die Haut abziehen lassen. Und jetzt b’hüt Dich Gott und grüß’ mir die Frau Kinigin!“

Schon in den nächsten Tagen erschien eine gemischte Commission im Gebirge, um die streitigen Interessen zu untersuchen, und siehe da, der Neureiter behielt Recht. Das versöhnte den erbitterten, aber sonst gutmüthigen Mann wieder mit dem Amt und mit den Jägern, die gar großen Respect vor dem Neureiter bekamen. Der Jagerfranz, meinte er, hätte für das Ziegenschwänzlein genug gebüßt.

Der Stephl aber hatte, seitdem er den verhängnißvollen Haarzopf in geheimer Haft hielt, öfter, als man von dem vierschrötigen Burschen glauben sollte, an die ehemalige Besitzerin desselben gedacht, und als er sah, daß der Vater mit den Jägern ausgesöhnt war und mit ihnen verkehrte, wollte es ihm vorkommen, das könne er eigentlich mit der Kundl auch thun. Denn ein heftiges Herzdrücken plagte ihn seit lange. Wie aber sollte er es anstellen, daß ihm die Kuni wieder gut würde und, was auch eine Hauptsache war, daß der Vater seine Zustimmung zu ihrer Verbindung gab? denn es lag ihm nichts Geringeres im Kopf als dies.

Auch die Kuni beschaute oft den einsamen Zopf, der ihr geblieben war. Sie mußte seit jenem Abende Kopftücher tragen, und den Verlust der Haare schob sie auf Rechnung heftiger Kopfschmerzen; doch wußten alle Leute, wie weit dies Kopftuch her war. Wenn auch ihr Unmuth über den kecken Zopfräuber groß war, so war sie doch sehr neugierig, einmal zu erfahren, was er mit dem Zopf begonnen habe, und gerecht genug, zu bedenken, daß sie selbst viel Schuld trage an dem tragischen Ausgang jener Sommernacht.

„Hätte ich dortmals,“ sagte sie sich, „als der Franz über die Bauern und über den Stephl schimpfte, nicht mitgeschimpft und mich nicht angestellt, als wollte ich den Stephl zum Besten haben, – Alles nur um meinem Bruder zu gefallen, der keinen Bauer leiden kann – so hätt’ der Stephl keinen Zorn über mich gehabt, und hätt’ ich den mit Recht erzürnten Stephl bei der Hausthüre des Hagmair durch meine schnippischen Antworten nicht gereizt, so hätt’ ich meine schönen Zöpf’ noch, und Alles wäre anders gegangen. O, wenn der Stephl das wüßte! Er hat mich ja für falsch halten müssen, und ich hab’ ihn doch so gern gemöcht; warum hab’ ich dumme Närrin mich gescheut, meine Lieb’ zu ihm zu bekennen!“

Die frische Dirne war ganz melancholisch geworden und ging häufiger als sonst in die Kirche. Ja, endlich faßte sie ihr ganzes Vertrauen zur heiligen Mutter Anna, welcher in der Pfarrkirche ein eigener Altar gewidmet war, und sie entschloß sich, der Annastatue mit dem Kinde den verwaisten Zopf als Zierde umzuhängen und zugleich ihr ganzes Lebensglück der mit ihrem Vertrauen beehrten Heiligen an’s Herz zu legen. Noch in der Dämmerstunde des nämlichen Tages hing Kuni’s flächserner Zopf um den Hals der Heiligen.

Um diese Zeit suchte den gebrechlich werdenden alten Neureiter eine kleine Krankheit heim, und bei diesem Anlaß kam’s ihm lebhaft vor, es sei Zeit, dem Stephl den Hof zu übergeben und ihn ein Weib nehmen zu lassen. Alter und Erfahrungen hatten den Mann milder gemacht, und er gedachte, der Wahl Stephls freie Hand zu lassen. Einen prächtigen Hof und Geld gab er dem Sohne selbst, die Erkorene sollte vorab die Besitzerin guter Eigenschaften sein. Dies eröffnete er seinem Stephl, welcher darob freudig erschrak; noch mehr erschrak er, als er auf die Liste der Heirathscandidatinnen auch die Kuni gesetzt hatte, und der Vater sogleich begann:

„Die Kundl wär’ ein richtiges Leut’,[2] hab’ Allerlei von ihr gehört, was mir gefällt, sie ist arbeitsam, sparsam, brav, fromm, schön und hat sogar etliche Batzen, ist eine Bäckerstochter von Golding. Hab’ sie früher nit so gut gekannt, wär’ mir nit zuwider, aber Du hast’s ja bei ihr verschüttet, die Leut’ sagen, Du hätt’st ihr die Zöpf’ abgeschnitten!“

Welche Gelegenheit für Stephl war schöner, ein vollkommenes Bekenntniß abzulegen? Dann holte er den Zopf aus der Kammer und zeigte ihn dem Vater gerührten Herzens. Dieser brach in ein Gelächter aus und rieth ihm, den Zopf der Kuni selbst hinzutragen und nach dem Befinden seines Cameraden und nach dem Wohlsein der Besitzerin zu fragen; da würde es sich herausstellen, wie das Mädl gesonnen sei.

Die lange unter der Asche glimmende Gluth Stephls loderte jetzt offen empor, und noch desselben Abends war er in Feierkleidern und Kundl’s Zopf in der Tasche auf dem Wege nach Grünstein. Er wollte gerade zum Forsthause gehen, den beleidigten Bruder Franz um Verzeihung und um Fürsprache bei Kuni bitten.

Sein Weg führte ihn an der Pfarrkirche vorüber, die Thüre war noch offen und, von einem frommen Gedanken erfaßt, trat er hinein. Wen sah er da?! Die Kundl kniet am Mutterannaaltar in eifrigem Gebete, der Stephl schaut und schaut, sieht er recht oder nicht? Da hängt richtig der andere Zopf Kundl’s an der Statue, er kannte ihn sogleich, weil ein Zopf dem andern glich, und weil er den einen Zopf lange und oft genug gesehen hatte. Leise schleicht

  1. König.
  2. Ein empfehlenswerthes Mädchen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_258.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)