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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

mit herunter. Die wettergebräunten Gestalten der Jäger und Treiber in ihren so malerischen Costümen mit Hunden und erlegtem Wilde, um ihren Herrn gruppirt, wiederholten in noch lebendigerer Weise das Bild des Auszugs. Nach genossener Rast und willkommener Erquickung, die die Dienerschaft umherreichte, begab man sich hinab in’s Thal, und hierbei bekundeten die Damen nicht minder den frischen, regen Geist, der eine Jagdgesellschaft stets so vortheilhaft auszeichnet.

Wieder versammelte das Mahl die Gesellschaft im Schlosse und gab, wie immer, Gelegenheit zur Besprechung früher erlebter Jagdabenteuer, von denen der Jagdherr nicht wenige der interessantesten, so wie der ergötzlichsten Art erzählte. Spät kehrte ein Jäger, Namens Michel, von der Nachsuche des angeschossenen Gemsbockes mit demselben zurück. Auf des Herzogs Befehl erschien er im Saale, um die näheren Umstände zu berichten, und es war ein wahrhafter Genuß, diesen so bescheiden und doch so ungezwungen natürlich auftretenden Gebirgsjäger seinem Herrn mittheilen zu hören, wie er dem Bock in die zerklüfteten Wände gefolgt sei, noch zweimal auf ihn geschossen habe, ihm endlich beigekommen und bereits im Finstern mit seiner Beute im Gebirgssacke die unwegsamsten Gebirge herabgeklettert sei. Man fühlte deutlich heraus, ohne daß der kühne und doch so sinnig schauende Jäger nur daran dachte darauf Werth zu legen, daß er, um seinen Zweck zu erreichen, sein Leben in die Schanze geschlagen. Zur näheren Charakteristik dieses prächtigen Menschen lasse ich das unvergleichliche Portrait desselben folgen, welches Gerstäcker in seiner Gemsjagd in Tyrol gegeben.

Nach einer Schilderung mehrerer Gestalten fährt er fort: „Ein anderer ist Michel, unstreitig der hübscheste von allen, ein junger Bursche von sechsundzwanzig Jahren, mit einem gar so offenen, ehrlichen und guten Gesicht, und so treuen, blauen Augen, denen das freundliche Lächeln prächtig steht. Ein guter Jäger und kecker Steiger wie Alle, hat er eine besondere Vorliebe, einen besondern Blick für Blumen, und vom Edelweiß, das oben in den schroffen Nordwänden der steinigen Gebirge steht, bis zum blau und rothen Vergißmeinnicht, das an den Bächen der hochgelegenen und geschützten Thäler keimt, sucht und findet er die einzelnen Blüthen, die der einbrechende Herbst bis dahin noch verschont. War sein Weg den Tag über noch so rauh und wild, prangt sein Hut gewiß, kehrt er Abends zurück, von einem Blumenflor.“

Ich kann mir hierbei nicht versagen, Diejenigen, die Gerstäcker’s „Gemsjagd in Tyrol“ noch nicht kennen sollten, auf das ganze höchst anziehende Buch, worin er mit einer Wahrheitsfrische, Poesie und Tiefe die Alpen, ihre Menschen und ihr Wild schildert, und seine Erzählung mit so köstlichem Humor durchwebt, besonders aufmerksam zu machen, wobei ich ungleich der herrlichen Holzschnitte gedenke, welche, nach Originalzeichnungen von Trost, das Buch würdig erläutern und schmücken.

Durch die weiten Bogenfenster des Saales sah man über der großartigen in nächtlichem Dunkel liegenden Landschaft den strahlenden Kometen seinen nebelhaften gespenstigen Schweif über die schneeigen Gebirge ausbreiten. Dazu tönte das Abendläuten des Klosterglöckleins friedlich durch die Stille des Thales und rief die frommen Mönche in ihr dämmrig erleuchtetes Kirchlein zur Andacht. Angeregt durch solche Momente, beschrieb der Herzog begeistert das Mondleuchten der Alpen, das demnach von wunderbarer Schönheit sein muß. Azurbläulichumflossen strahlen die Alpen im sanften Lichte, und dabei sei die Atmosphäre so hell und rein, daß man das Wild vom Thale aus auf den höchsten Gipfeln der Berge in deutlichen Umrissen stehen sehen könne. Wahrhaft zauberisch, märchenartig wirke dieser seltene Anblick auf den Beschauer.

Meine Zeit war gemessen, es war der letzte glückliche Abend, den ich in der Hinterriß verbrachte, – für den andern Morgen war meine Abreise bestimmt. Als nach dem Thee die hohe Dame des Hauses das Zeichen zum Aufbruch gab, sagte ich mit dankbarer Ergebenheit dem edlen Fürsten und seiner Gemahlin, die mich so huldvoll ihrer Aufmerksamkeit gewürdigt, Lebewohl, sowie allen edlen Jagdgenossen und besonders Freund Gerstäcker, da ich frühzeitig aufbrechen wollte.

Mit Wehmuth verließ ich am Morgen den wundervollen Aufenthalt, und nicht wenig bebte mir das Herz, als ich den vielgeliebten Ton der Büchse im Gebirge hallen hörte; der unermüdliche fürstliche Waidmann befand sich mit Genossen bereits wieder auf der Jagd. Langsam schritt ich in dem Thale hin, mit Absicht zögernd, um nicht allzuschnell von dem liebgewordenen Terrain zu scheiden. Noch hatte ich das Jagdgebiet des Herzogs nicht im Rücken, als dreißig Schritt von mir aus dem Gebüsch ein altes Thier heraustrat. Augenblicklich blieb ich ruhig, athemlos stehen. Auch das Stück Wild machte Halt und äugte nach mir, ohne jedoch, da ich guten Wind hatte, davon beunruhigt zu werden. Still zog es weiter, quer über den Weg durch die Riß, und nun folgten nach und nach zu meiner Freude erst noch ein Stück Wild mit Kälbchen, dann wieder eines, abermals mit Kälbchen und einem Schmalthiere, und dann zuletzt ein Hirsch von zehn Enden. Alle blieben, so wie sie aus dem Gebüsch traten, minutenlang auf dem Wege stehen und gingen dann ruhig dem Truppthiere durch die Riß nach auf das jenseitige Ufer, wo sie in einem Laatschendickichte den Waldhang emporstiegen, so daß ich sie noch lange mit den Augen verfolgen konnte. Aber noch immer stand ich, als schon längst das Wild in den Bergen dem Blicke entschwunden war. So ruhig und still und so nah waren sie an mir vorübergezogen, daß es mir wenige Minuten darauf wie ein wacher Traum der aufgeregten Phantasie erschien. Es war das würdige Schlußthierbild, welches sich dicht an der herzoglichen Jagdgrenze meinen Augen geboten.

Ich schritt jetzt eiliger weiter und kam bald in der Vorderriß an. Hier verweilte ich jedoch nur kurze Zeit; dann nahm ich von der freundlichen Försterfamilie Abschied und steuerte über die Joche dem Walchensee zu. Es war ein unbeschreiblicher Eindruck, als ich von der Höhe diesen düstern, schauerlich-melancholischen See unter mir erblickte. Ja, so mächtig, unheimlich und dämonisch wirkte er auf mich, daß mir eine bis dahin überwundene Eigenheit meiner Knabenjahre wiederkam; auf keinen größeren ruhigen Wasserspiegel, z. B. auch nur auf einen Teich, ohne die größte Beängstigung sehen zu können. Unwillkürlich mußte ich mich, wie früher, abwenden. Erst am Anblick der nahen Waldesumgebung konnte ich mich sammeln und meines unerklärlichen Gefühles Meister werden. Dann betrachtete ich mit obwohl noch scheuem Blicke und gezwungenem Willen die Erhabenheit dieses wunderbar tiefernsten See’s mit seiner starren Umgebung. Da lag er, schwarzviolet, die Ufer grünwellig anspülend und von zackigen Gebirgen ringsherum eingeschlossen, die von meinem Standpunkte aus unmittelbar aus dem Wasser zu steigen schienen. Von unten herauf schwarz bewaldet, ragten sie mit den zerklüfteten Häuptern kahl und dunkel, wie der See, in die Luft hinein; denn eben war am wolkenlosen Himmel die Sonne hinter ihnen verschwunden, so daß Alles in tiefe Schatten gehüllt war. Kein Zeichen des Lebens gab sich kund, kein Kahn glitt dahin, kein Vogel strich über die finstere Fläche – wie ausgestorben schien die Natur um diesen nächtlichen See. Noch nie habe ich mich von einer Erscheinung gleichzeitig so unheimlich berührt und doch wieder mit wahrhaft dämonischen Banden hingezogen gefühlt. – Es war wie der Zauber, den man der Klapperschlange nachsagt, die mit ihrem Blick das geängstigte, fluchtbereite Opfer fesseln soll. Ja, dieses Gefühl steigerte sich noch, als ich, unten angekommen, in einem schmalen Kahne, den ein schweigsamer, düsterer Bursche mit kräftigem Arme ruderte, mich dem grundlosen Wasser anvertraute, um hinüber an das jenseitige Ufer nach Walchau zu fahren. Lautlos fuhr mich mein Fährmann, nur leise plätscherten die Ruder, in die ruhige, spiegelglatte Oberfläche tauchend, Als glänzende Perlen fielen die Tropfen vom Ruder herab in den langen leuchtenden Streifen, den der dahingleitende Kahn in das schwarze Wasser furchte und in dem sich das helle Mondlicht silbernglitzernd spiegelte. Unwillkürlich schöpfte ich mit der Hand Wasser, um mich von der Dunkelheit desselben zu überzeugen, – und es war klar, wie Krystall.

An wundervollen Stellen des Ufers kam ich vorüber. Kirchlein standen unter Buchen und Linden dort und das Abendläuten tönte friedlich aus ihnen herüber, so daß es die feierliche Stimmung dieser ernsten Umgebung erhöhte und gleichzeitig wohlthuend milderte. Bei alle dem wurde ich ein banges Gefühl nicht los, und obwohl ich, an meinem Bestimmungsorte angekommen, noch Stunden lang nachher am Fenster meines Stübchens mich dem magischen Zauber des mondbeschienenen See’s hingab, wollte der Bann nicht weichen, den er beim ersten Anblick auf mich ausgeübt. Wie anders wirkte der liebliche, anmuthige laubwald- und villenumkränzte Starnberger See, an dem ich, von Walchau über das wundervoll gelegene, malerische Partenkirchen mit seiner edeln, großartigen, wenn auch weniger wilden und urmächtigen Umgebung gehend, vom Hochgebirge Abschied nahm. Im golddurchwobenen Glanze der Abendsonne ruhte er leuchtend, im Hintergrunde die fernen schneebedeckten Gebirge, die so duftig, wie aufsteigendes, weißgesäumtes Gewölk,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_261.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2023)