Seite:Die Gartenlaube (1859) 274.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Posten, Staatsrath Pothau, ein Schwager des uns bekannten Ministers Grafen Fürstenstein, war ein einverstandener Mann, ein gefälliger, geistloser Mensch, der seine Ignoranz im Postdienste unter vornehmer Miene zu verbergen wußte, ein Mann ohne Charakter, den man ganz richtig als „verschmitzt-geschmeidig“ bezeichnet.

Von jenem schwarzen Cabinet gingen auch erdichtete Nachrichten, als von einem reisenden Kaufmanne herrührend, oder aus London datirt, durch den westphälischen Moniteur in’s Publicum. Auch hatte die Polizei ein besonderes Siegel, mit welchem die Pässe für jene Personen ausgefertigt wurden, auf welche man die besondere Wirksamkeit der die Pässe visirenden Beamten lenken wollte. Man konnte es ein – Uriassiegel nennen.

Wenn die Franzosen in Westphalen an den Deutschen überhaupt ihre ergebensten Diener anerkannten: so thaten sie dies im Fache der Polizei mit gebührendem Hohn, und schoben überall einen Deutschen vor, um da zuzugreifen, wo kein Franzose seine Finger beschmutzen mochte.

Indem wie daran erinnern, daß auch der berühmte Spion der großen Armee sich durch seinen Namen „Schulmeister“ als einen Deutschen verräth, müssen wir leider bemerken, daß die deutschen Polizei-Agenten in Westphalen, besonders ein gewisser Kroschky, es nur allzubald zu der Mißachtung brachten, daß keiner derselben wagen durfte, eines der Expeditionszimmer im Polizeilocal ungerufen zu betreten. Sie mußten wie die Hunde vor der Thür warten, bis sie zum Aufwarten befohlen wurden. Von den Franzosen selbst wurde keiner anders, als mit dem Ehrentitel eines Mouchard – eines Spions, bezeichnet.

Darunter waren besonders einige, die uns, wären sie noch in unserer leibhaften Nähe, das artige Wort Shakespeare’s abnöthigen würden: „Mein Herr, ich wünsche mir ihre entferntere Bekanntschaft!“ – – oder das andre: „Ich hoffe, mein Herr, bei unserer nähern Bekanntschaft auch eine recht gründliche Mißachtung für Sie zu gewinnen!“

Der eine geheime Agent, Namens Würtz, war eine lange, ausgetrocknete, gichtische Gestalt mit kleinem Kopfe, das starke braune Haar über der Stirn gekräuselt. Ein matter, unstäter Blick begleitete sein erzwungenes Lachen; geschminkte Wangen umgaben einen breiten Mund voll morscher Bruchstücke von Zähnen zwischen Kinn und Nase, die spitz hervorragten. Auf seinem Angesicht hatte das Laster unvergängliche Fußstapfen hinterlassen. Sein feiner, modischer Anzug duftete von wohlriechenden Wassern. Seine allgefällige Freundlichkeit konnte rasch eine drohende Miene annehmen, wenn er für leckere Bewirthung in den Gasthäusern ohne Geld über das Bezahlen hinauskommen wollte. Er wurde unverschämt, wenn er spionirte, und spielte, unter Verwünschungen seines Polizeidienstes, den ehrlichen Deutschen, so oft er täuschen und aushorchen wollte. Er knüpfte Verhältnisse mit weiblichen Dienstboten an, um sie über ihre Herrschaft auszuforschen. So brachte er von der Magd eines Büreauchefs im Kriegsministerium heraus, daß ihre Madame ein prächtiges Geburtstagsgeschenk erhalten habe, von den Geldern angeschafft, die bei der letzten Militairziehung von einigen Bauern in die Tasche des Büreauchefs gefallen seien. Würtz beeilte sich mit einer so feinen Entdeckung, und der Beamte wurde entlassen.

Der alte Sünder verlockte, wo er konnte, junge Mädchen zur Liebschaft, um sie dann unter der Drohung, sie als lüderliche Dirnen anzuzeigen, zu seinen Spionirungen zu brauchen. Seine Frau, als die „Halle’sche Mine“ berüchtigt, wirkte als geheime Agentin bei Männern, die nicht zu ekel waren, in ihre Falle zu gehen. Würtz verschmähte es nicht, an den Stubenthüren zu horchen, hinter denen sich angesehene Männer versammelt hatten. Dennoch versichert uns ein Zeitgenosse, der ihn gekannt hat, er sei nicht aller Gutmüthigkeit bar – und nicht so bösartig gewesen, als der früher genannte Kroschky.

Ein zweiter Agent, Steinbach, war als Kundschafter mit einer schlimmen Schwäche behaftet. Er trieb sich hauptsächlich in den Wirthshäusern herum, hatte aber das Unglück, wenn man ihm einen Rausch beibrachte, alles zu vergessen, was er zu einer polizeilichen Anzeige beobachtet oder erlauscht hatte. Dieser berufswidrige Fehler seines Naturells würde ihn gar bald um seinen Dienst gebracht haben, hätte er sich nicht auf andre Weise zu empfehlen gewußt. Bergagny, der Generaldirector der hohen Polizei, den wir noch werden kennen lernen, gab nämlich, als er seine Familie von Paris kommen ließ, diesem Steinbach die liebenswürdige Person zur Frau, mit der er bisher, in Ermangelung seiner Gemahlin, sehr zufrieden gewesen war. Diese erfahrne Person hielt den glücklichen Steinbach dadurch aufrecht oder, wie man zu sagen pflegt, über Wasser, daß sie als noch ganz artige Mitspionin ein einträgliches Revier betrieb und ihm die beste Aushülfe leistete.

Der Dritte in diesem Kleeblatte zeichnete sich durch sein robustes Aussehen, schwarzes Haar, starke Augenbrauen, durch sein tiefliegend stechendes Banditenauge und eine hohe, braunrothe Gesichtsfarbe auffallend aus. Es war der Jude Hirsch, der sich auch Cerf oder Cerfy nannte. Die Franzosen fanden ihn, als sie im Jahre 1806 gegen Preußen anrückten, in Frankfurt am Main, mit dem Barbierbecken umherlaufend. Rasch schleuderte er den Seifenschaum von den Fingern und stürzte sich auf gut Glück in den Strom der großen Armee. Mit ihr kam er nach Berlin und von da nach Kassel, – ein gemeiner, unwissender, roher Bursche, dummdreist in seinem Dünkel, boshaft listig bei seinem Prahlen mit vornehmen Bekanntschaften, besonders wenn er darauf ausging, unter Schimpfen auf seine Vorgesetzten, treuherzige Menschen zu verlocken.

Als später, zur Zeit der aufständischen Bewegungen in Deutschland, der Herzog von Braunschweig-Oels mit seinem Corps über Halle und Halberstadt gen Braunschweig zog, gab sich Cerf für einen Officier des Herzogs aus, wiegelte westphälische Bauern auf und führte sie, statt zum Heer des Herzogs, – vor ein westphälisches Kriegsgericht.

Recht bezeichnend für jene Zeit ist auch die Geschichte, die mir ein Mann mitgetheilt hat, der damals selbst in einem Büreau der Polizeiverwaltung angestellt war.

Eines Tages lief von dem General-Commissar der hohen Polizei in Marburg, Herrn von Wolff, der Bericht ein, die Gensd’armerie habe einen sehr verdächtigen, aller Legitimation baren Menschen eingebracht, der sich unbedingt weigere, Auskunft über sich zu geben. Ehe noch ein Beschluß des Ministeriums gefaßt war, kam die weitere Anzeige, der Unbekannte sei auf unbegreifliche Weise entwischt, und sofort erfolgte die dritte Meldung, der Flüchtling sei wieder festgenommen, wolle aber nur in Kassel selbst Erklärungen abgeben, und falls man ihm Straflosigkeit und Freiheit verbriefe und eine Anstellung im Polizeifach verspreche, wo er sich höchst nützlich machen könne, sei er bereit, die umfassendsten Geständnisse zu machen, die das Glück und den Wohlstand von Unzähligen sicherstellen würden.

Dieser außerordentliche Fall gab Anlaß zu lebhafter Verhandlung zwischen dem General Bongars als Gensd’armerie-Obersten und dem Justizminister Simeon, und führte zu einem gemeinschaftlichen Bericht an den König. Jerome entschied für das Begehren des Gefangenen; die verlangten Zusagen wurden demselben durch Herrn von Wolff zugestellt, und er gab nun seine Mitteilungen zu Protokoll.

Der Gefangene nannte sich Karl Wenderoth und gab sich für den Anführer der aus den Trümmern der berüchtigten Schinderhannes’schen Räuberbande gebildeten und von allen Seiten her rekrutirten großen Bande aus, die seit Jahren schon die westphälischen Provinzen, die Wetterau, den Spessart und die beiden Rheinufer durch Straßenraub, Einbruch, Brand und Mord in Schreck und Angst gesetzt und alle von den Behörden gegen sie ergriffenen Maßregeln bis jetzt vereitelt hatte. Wenderoth machte sich verbindlich, unter Beistand der Gensd’armerie, der Polizei und des Militairs alle seine bisherigen Genossen einzufangen und eine Menge des versteckten Raubes zur Entdeckung zu bringen.

Man traf seine Anstalten hiernach, und es sollen über hundert (vielleicht unschuldig) Angeklagte vor die Tribunale, besonders vor das Kasseler, gebracht worden sein, denen allen Wenderoth als Hauptzeuge gegenüber gestellt wurde, was zu den grausenhaftesten Erörterungen führte. Dreizehn wurden von den Geschworenen zum Tode und eine große Zahl zum Zuchthaus verurtheilt. Was mit den verborgenen Schätzen geworden ist, wissen wir nicht.

Der Held dieser großen That, ein Mann vom Aussehen eines gutmüthigen, behäbigen Bürgers, trat nun als Agent in polizeilichen Dienst, ergab sich aber mehr und mehr dem Trunke, so daß er wiederholte Arreststrafen erhielt, und ging bei den großen Umwandlungen, die der Herbst des Jahres 1813 über Deutschland brachte, gänzlich verschollen.

Bergagny, der Generaldirector, ein hübscher Mann über mittleres Alter, besaß Verstand und Beredsamkeit, Kenntnisse und Geschmack. Er war früher Mönch gewesen, und die Kutte, die er

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_274.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2023)