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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Erbarmen Sie sich, Herr Baron! Einen Tag um den andern will ich ein seidenes Tuch nehmen.“

„Einen Tag wie den andern. Wollen Sie oder wollen Sie nicht? Machen Sie’s kurz. Ja oder nein?“

„Nun denn, ja, ja!“ seufzte der geängstigte Lissauer und war froh, daß ihn Günther nicht länger festhielt, als er sich eiligst empfahl, sondern ihm nur nachrief:

„Ich werde mich so oft als möglich überzeugen, ob Sie auch alle Bedingungen unseres Contractes erfüllen.“

Seines schwarzen Pflasters wegen schlich sich Lissauer durch die abgelegensten Gassen nach seiner Wohnung. Den Verkauf im Magazin überließ er aber aus eben demselben Grunde mehrere Tage seiner Rahel und seinen Handlungslehrlingen.

Günther hielt Wort. Er kam fast täglich zu Lissauer, um seine Controle zu üben. Eines Tages, als er sich ebenfalls bei dem Juden befand, zog dieser mit dem seidenen Taschentuch zugleich einen Gegenstand heraus, der klappernd zur Erde fiel.

„Ei, was ist denn das?“ rief Günther. „Eine Tabacksdose? Ich glaube gar, Sie schnupfen, Herr Lissauer!“

„Nur sehr, sehr wenig, Herr Baron; und immer nur eine ganz billige Sorte.“

„Um so schlimmer, wenn Sie so abscheuliches Zeug in meine schöne Nase stopfen! Treiben Sie das schon lange? Wie konnten Sie es mir verheimlichen? Wollen Sie mich denn mit Gewalt dazu bringen, daß ich Sie verklage? – Aber ich will noch einmal Nachsicht haben und es bei der Beschlagnahme dieser Dose bewenden lassen, wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben wollen, das häßliche und meiner theuren Nase so schädliche Laster des Schnupfens sofort und für alle Zeiten abzulegen.“

„Ja, ja, ich will nicht mehr schnupfen!“ rief Lissauer schnell. „Wenn Sie glauben, daß es könnte nachtheilig sein für meine Nase, will ich es gern lassen!“

„Für Ihre Nase nicht, Herr Lissauer; denn Sie werden sich erinnern, daß Sie ein solches Glied nur noch dem Namen nach besitzen.“

„Nun ja doch,“ sagte Lissauer, gezwungen lächelnd, „es bleibt sich im Grunde gleich! Wenn ich nicht mehr schnupfe, mache ich doch eine kleine Ersparniß und kann dafür ab und zu ein Schlückchen Bier mehr trinken.“

„Oho, Sie trinken Bier? Trinken Sie vielleicht auch Branntwein?“

„Nur ein ganz kleines Schnäpschen zum Frühstück?“

„Ist es denn möglich!“ rief Günther, die Arme gen Himmel hebend. „Er trinkt Bier, er trinkt Schnaps! – Aber denken Sie denn gar nicht an meine Nase, Sie gewissenloser Mensch? Glauben Sie, ich hätte nur darum 500 Thaler Gold für dieselbe bezahlt, damit Sie durch allerhand Laster und Untugenden sie zu Grunde richten könnten? Nein, mein Herr, diesem Treiben muß ein Ziel gesetzt werden! Bedenken Sie, daß Sie nur der Verwalter fremden Eigenthums sind, und daß ich Sie jeden Augenblick zur Rechenschaft ziehen kann.“

„Liebster, bester Herr Baron, machen Sie doch nicht so viel Aufheben wegen der Paar Tropfen Bier oder Schnaps! Sie können mir doch nicht alle kleinen, unschuldigen Genüsse verwehren!“

„Klein und unschuldig nennen Sie das? – Aber was soll ich mich mit Ihnen streiten? Wollen Sie gehorchen oder nicht?“

„Herr Baron, ich will das Schnäpschen fortlassen; aber ein Glas Bier, nur zuweilen ein Glas Bier, werden Sie mir doch erlauben.“

„„Jeden Nachtheil aber, der ihr durch andere Menschen oder Dinge – merken Sie auf, Herr Lissauer, durch Dinge – ihr zugefügt werden könnte, so gut er es vermag, abzuwenden.““ So steht es geschrieben, und ich wäre strafbar, wollte ich aus übergroßer Gutmüthigkeit auch nur einen Zoll breit nachgeben.“

„Herr Baron, ich werde mich wahrhaftigen Gott nicht beklagen, wenn Sie in diesem Punkte den Schein verletzen.“

„Wenn Sie mir erst die Erlaubniß geben, vom Contract abzuweichen, dann haben Sie das Spiel verloren, Herr Lissauer, denn dann überlasse ich Ihre Nase sofort einem guten Freunde. Ich bin ihrer, nach all den Vorgängen, recht herzlich satt geworden. Ist Ihnen das genehm, so sagen Sie es frei heraus.“

„Nein, nein, um Moses willen, verkaufen Sie die Nase nicht. Wer weiß, in welche Hände sie dann käme! Aber, Herr Baron, wenn Sie mir das Bier verbieten, was soll ich trinken, wenn ich zusammenkomme mit meinen Freunden im rothen Affen?“

„Milch oder Zuckerwasser; allenfalls etwas Limonade!“

„Nu, Herr Baron, hören Sie auf; seien Sie gut! Ich will die ganze Woche nichts trinken, aber am Schabbes Abend erlauben Sie mir wohl ein Seidelchen.“

„Auch nicht einen Schluck! Uebrigens verbiete ich Ihnen ganz und gar den Besuch des rothen Affen. Dort ist neulich erst eine Schlägerei gewesen, bei der es blaue Augen und blutige Nasen gegeben hat, Himmel, wenn ich bedenke, welcher Gefahr mein kostbares Eigenthum ausgesetzt gewesen war!“

„Soll mir Gott, sind wir doch lauter anständige Leute, ruhige, friedliche Bürger. Nur wie die Herren Studenten neulich Scandal anfingen –“

„Was? Nun sind wohl gar die Studenten Schuld, wenn meiner Nase Gefahr droht! Nun ist das Maß voll; leben Sie wohl, Herr Lissauer!“

„Warten Sie doch noch einen Augenblick. Wo wollen Sie denn hin, Herr Baron?“

„Zum Rechtsanwalt.“

„Nein, gehen Sie nicht, Herf Baron. Bleiben Sie hier, bleiben Sie hier. Ich will ja Alles versprechen, was Sie haben wollen.“

„Sie werden also von heute an weder schnupfen, noch Bier und Schnaps trinken, und niemals wieder den rothen Affen besuchen?“

„Nein, nein, nichts von alledem will ich wieder thun!“

„Gut, Herr Lissauer. Aber bedenken Sie, daß ich beim ersten Rückfall ohne Gnade die Sache bei den Gerichten anhängig machen werde. – Noch Eins – rauchen Sie?“

„Nein, ich kann’s nicht vertragen!“ antwortete der Gefragte sehr schnell und froh darüber, daß ihm das doch nicht erst verboten zu werden brauchte.

„Sie rauchen nicht? Hm, das ist schade, sehr schade! – Sie sollten es thun, Herr Lissauer. Eine kleine derartige Erwärmung würde meiner Nase sehr dienlich sein. Rauchen Sie, Herr Lissauer! Geld sollen die Cigarren Ihnen nicht kosten; ich verpflichte mich, Ihren Bedarf unentgeltlich zu liefern. Nicht wahr, Sie werden rauchen?“

„Herr Baron, ich kann nicht. Es wird mir ganz krank und übelig darnach.“

„O, das gibt sich bald. Versuchen Sie es nur. Hier sind einige Cigarren, – ganz leichte Sorte. Daran können Sie sich üben. Und wenn Sie sich übermorgen früh, am 1. Februar, zur Nasencontrole bei mir einfinden, dann gebe ich Ihnen eine etwas stärkere. Adieu, Herr Lissauer. Leben Sie recht wohl, hüten Sie meine Nase vor Erkältung, schonen Sie dieselbe so viel als möglich und rauchen Sie, rauchen Sie!“

Am Morgen des ersten Februar beschaute Lissauer seine Nase sorgsam im kleinen Rasirspiegel, athmete leicht auf, als er an ihrem Aussehen auch nicht das Geringste auszusetzen fand, und begab sich auf den Weg zu Günther. Es war starkes Frostwetter, und obgleich er sich das seidene Schnupftuch vor Mund und Nase gehalten hatte, war die Letztere doch etwas geröthet, als er bei Günther eintrat.

Entsetzt zerrte ihn dieser sogleich vor einen Spiegel.

„Mein Gott, wie sehen Sie aus!“ rief er dabei. „Unglückliches Menschenkind, was haben Sie mit meiner Nase, meiner schönen Nase gemacht!“

Lissauer starrte erschreckt seine geröthete Nasenspitze an.

„Kann ich doch nichts dafür,“ stammelte er. „Ist doch die Kälte heute so groß!“

Günther ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.

„Das muß anders werden! Das Eigenthum eines Andern darf dieser Mensch nicht mehr derartig behandeln. Aber zum Glück weiß ich Rath.“ Er ging zum Schrank, nahm ein weichgepolstertes seidenes Säckchen heraus, das mit zwei langen Bändern versehen war.

„Herr Lissauer,“ sagte er fest und bestimmt, „Sie werden so gefällig sein, fortan zum Schutze meiner Nase, sobald das Quecksilber im Thermometer unter Null-Grad gesunken ist, dies kleine Futteral zu tragen.“

„Das soll ich tragen?“ rief Lissauer, den alle Farbe, bis auf die in der Nasenspitze, verlassen hatte. „Auf der Straße soll ich das tragen?“

„Auf der Straße und im Geschäft“ entgegnete Günther ruhig. „Denn in Ihrem Laden entsteht bei jedem Oeffnen der Thür ein fataler, schädlicher Luftstrom.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_296.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)