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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

in den Kämpfen unterstütze, welche alsbald erfolgen werden. (– Wie genau präcisirt der italienische Mörder die napoleonische Politik und das napoleonische Verlangen, die gerade jetzt so klar hervortreten! Er hat den Propheten gemacht. –) Und gerade dieses können Ew. Majestät thun, wenn Sie wollen. Von diesem Willen hängt das Wohlergehen oder das Mißgeschick meines Vaterlandes, das Leben oder der Tod einer Nation ab, welcher Europa zum großen Theile seine Civilisation verdankt.“ (– Also schon hier das Civilisationsthema, auf welchem jetzt, wie auf einem Principe, herumgeritten wird! –)

Der Mörder, welcher dem Kaiser politische Lehren ertheilt, fährt fort: „Diese Bitte richte ich aus meinem Kerker an Ew. Majestät und verzweifle nicht ganz daran, daß meine schwache Stimme Gehör finden werde. (– Sie hat Gehör gefunden! –) Ich beschwöre Ew. Majestät, dem Vaterlande die Unabhängigkeit wiederzugeben, welche dessen Söhne im Jahre 1849, durch den Fehler der Franzosen selbst, eingebüßt haben. Möge Ew. Majestät sich erinnern, daß die Italiener, unter denen auch mein Vater war (– der Carbonaro, welcher den nachherigen Kaiser auf den Dolch vereidigte –), mit Freuden ihr Blut für Napoleon den Großen (– der die Italiener unverschämt ausplünderte und ihre Länder zu willenlosen Anhängseln Frankreichs, zu Präfecturen, machte –) überall, wohin er sie auch führen mochte, vergossen haben. Mögen Sie eingedenk sein, daß sie ihn bis zu seinem Sturze nie verließen (– aber verfluchten, als sie seiner ledig waren –). Mögen Sie nicht vergessen, daß Europa’s und Ihre Ruhe nur eine Chimäre sind, so lange Italien nicht unabhängig ist. Verschließen Ew. Majestät Ihr Ohr nicht dem letzten Zuruf eines Patrioten, der auf den Stufen des Blutgerüstes steht. Befreien Sie mein Vaterland, und die Segenswünsche von fünfundzwanzig Millionen Bürgern werden Ihnen in die Nachwelt folgen.

Felix Orsini.“     

Wenn dieser Orsini einen solchen Brief concipirt haben sollte, so ist er, wie schon gesagt, napoleonistisch überarbeitet und redigirt worden. So wie er vorliegt, paßt er vortrefflich in den kaiserlichen Befreiungs- und Civilisationskram. Die Italiener sollten sich patriotische Lehren von einem Meuchelmörder geben lassen, und, was bezeichnend für den Verfall der Nation ist, sie haben sich solche Lehren geben lassen! Die Sache wurde gut eingefädelt. Der Napoleonismus spiegelte dem Könige von Sardinien Vergrößerung an Gebiet auf Kosten Oesterreichs vor, und Victor Emanuel biß an diesen Köder, in welchem er schon jetzt einen Haken findet. Sein Minister, Graf Cavour, ist seitdem dienstwilliger Lakai des Gewaltherrschers in den Tuilerien. Jenes Orsinische Machwerk wurde ihm von Napoleon zugeschickt, und er mußte es in der amtlichen piemontesischen Zeitung veröffentlichen. Seitdem begannen von Piemont aus die unzähligen Aufreizungen gegen Oesterreich, welchen dann die Neujahrsrede an Herrn von Hübner und die über alles Maß schamlosen Lügen des Moniteur die Krone aufsetzten. Nach alle dem war es, gelind ausgedrückt, höchst komisch von der Hochwohlweisen Diplomatie, die den Wald vor Bäumen nicht sah, daß sie „vermitteln“ zu können glaubte, wo nichts zu vermitteln war. Im vorigen Herbst war zu Plombières die ganze Stänkerei mit Cavour abgekartet, und bei der Zusammenkunft mit dem Moskowiterczar in Stuttgurt die Villafrancageschichte und die „Verabredung“ erledigt. Also ein paar Jahre nach dem Krimkrieg ein russisch-französisches Bündniß, das man freilich gern ableugnen möchte. Aber wer glaubt an Moniteure und kaiserliche Ableugnungen?

Indessen sind nicht alle Italiener in die plumpe napoleonisch-russisch-sardinische Falle gegangen, nicht alle an dieser Leimruthe wie Gimpel kleben geblieben, vor Allem nicht der alte Erz- und Hauptverschwörer, Joseph Mazzini, der im Lande großen Anhang hat und von dem Treiben des französischen Gewaltherrschers nichts wissen will. Orsini gilt ihm für einen einfältigen Tropf, für einen schwachköpfigen Gesellen, der sich habe übertölpeln lassen. Die Mazzinisten, als Revolutionaire vom reinsten Wasser, wollen mit den sardinischen Vergrößerungsgelüsten und dem napoleonischen Willkürsystem nichts zu schaffen haben. Mazzini würde freilich mit seinen Theorien den Italienern eben so wenig Segen bringen, wie die Firma Cavour-Napoleon, aber er mag sich nicht zum Besten haben lassen und bleibt den Grundsätzen getreu, welche er seit dreißig Jahren bekannt hat. Als Orsini’s Brief, um napoleonischen Plänen die Brücke zu schlagen, überall veröffentlicht wurde, und die sardinisch-französischen Agenten ihn colportirten, trat auch Mazzini hervor und sprach im Namen seiner Partei. Er geht dem durch Orsini angefleheten Befreier scharf zu Leibe, und entwirft von demselben eine ganz mit Fractur geschriebene Charakteristik. Mazzini ist durchaus nicht unser Mann, aber sein Schreiben an Ludwig Napoleon ist jedenfalls ein in seiner Art wichtiges und interessantes Document für die Geschichte, schon deshalb, weil es zeigt, wie die radicale Partei über den Mann denkt, welcher sich zum Retter Italiens und Vorkämpfer der Civilisation sehr unbefugter Weise aufwerfen will. Deshalb veröffentlichen wir das Actenstück.

Offenes Sendschreiben an Ludwig Napoleon.

„Mein Herr! Die Zeiten erfüllen sich, und die kaiserliche Fluth rollt zurück. Sie fühlen es. Alle Maßregeln, welche Sie seit dem 14. Januar 1858 in Frankreich beliebt, alle diplomatischen Noten und Forderungen, welche Sie seit jenem verhängnißvollen Tage in alle vier Winde hinausgestreut haben, legen Zeugniß davon ab, daß der Schrecken Ihnen keine Ruhe läßt. Ihre Seele wird, wie jene Macbeth’s, von einem Gefühle der Angst gequält, und diese Angst verräth sich in Allem, was Sie sagen oder thun. Der Zauber ist gebrochen.

„Denn das Bewußtsein der Menschheit ist wach geworden. Es schauet auf Sie mit ernstem Blicke und bietet Ihnen die Stirne; es prüft Ihre Handlungen und zieht Sie zur Verantwortung für das, was Sie versprachen. Von nun an ist Ihr Schicksal besiegelt. Das Bewußtsein der Menschheit wird entdecken, daß Sie eine lebendige Lüge sind; eine Fehlgeburt, indem Sie eine Vergangenheit wieder hervorrufen wollen, die längst und für immer dahin ist. Sie sind ein bleicher Schatten, der aus dem Grabe von St. Helena hervorgeschlichen ist, aber ohne den Ruhm und die verhängnißvolle Sendung des Mächtigen, der einst auf St. Helena ruhete. Sie sind eine Scheinmacht der Verneinung, wohl fähig, Auflösung zu bringen und für eine kurze Zeit niederzudrücken, aber unfähig, etwas festzustellen, zu organisiren und aufzubauen, das der Zukunft irgend einen Schutz gewähren könnte.

„Die Menschheit bedarf wirklicher Gestalten, nicht der Phantome; sie bedarf Entwickelungen des Principes der Erziehung, welches Gott zu ihrem Lebensgesetze gemacht hat; vorübergehende Thatsachen, abnorme Facta einer Stunde sind ihr nichts. Auf solche blickt sie wohl einen Augenblick mit Staunen, aber bald nachher gebietet sie dem, was nur ein Phantom des Augenblickes war, wieder in’s Grab hinunterzusteigen. Und Sie, mein Herr, eilen dem Grabe zu.

„Als Sie ungesetzlicher Weise sich die Gewalt anmaßten, da versprachen Sie, um die Usurpation zu sühnen, Sie wollten dem ruhelosen, aufgeregten und aufregenden Frankreich den Frieden wiedergeben. Wohlan, heißt Einkerkern, Knebeln, Deportiren – heißt das Frieden geben? Ist der Gensd’arm ein Lehrer und Erzieher? Ist der Spion ein Apostel der Sittlichkeit und des wechselseitigen Vertrauens? Sie, mein Herr, sagten dem ungebildeten französischen Bauer, mit Ihrer Herrschaft werde für ihn ein neuer Zeitabschnitt beginnen, und alle Lasten, unter welchen er sich erdrückt fühle, würden nacheinander beseitigt werden. Nun, ist auch nur eine einzige derselben verschwunden? Können Sie nachweisen, daß Sie auch nur in einem einzigen Punkte sein Schicksal verbessert hätten, daß auch nur eine einzige Steuer aufgehoben sei? Wie erklären Sie es sich, daß jetzt auch der Bauer in den Geheimbund der Marianne tritt? Sie müssen zugestehen, daß von den durch Sie eröffneten Canälen des industriellen Schwindels das Capital verschlungen wurde, welches sich früher naturgemäß dem Ackerbau zuwandte, und daß der Bauer keine Vorschüsse erhalten kann, um Ackergeräthschaften zu kaufen und seinen Boden zu verbessern. Sie, mein Herr, köderten den mißleiteten Arbeiter, indem Sie versicherten, Sie seien ein Kaiser des Volkes, eine Art von neumodischem Heinrich dem Vierten, und würden ihm fortdauernde Beschäftigung, hohe Arbeitslöhne und ein Huhn im Topfe verschaffen. Aber ist nicht gerade jetzt das Huhn in Frankreich theurer? Sind die Hausmiethen und die nothwendigsten Lebensmittel nicht gestiegen? Sie haben neue Straßen gebaut und Verbindungslinien gezogen, weil Sie dabei strategische Zwecke zur Volksunterdrückung hatten; Sie haben zerstört und wieder umgebaut. Aber gehört die große Masse der Arbeiter zu dem von Ihnen bevorzugten Maurerhandwerke? Können Sie ohne Unterbrechung und immerfort Paris und die größeren Provinzialstädte fortwährend umkehren, um dem Proletarier eine Quelle der Arbeit und des Verdienstes zu verschaffen?

„Sie, mein Herr, raunten der eben so leicht erschreckten als

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_301.jpg&oldid=- (Version vom 25.5.2023)