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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

dafür, daß den Buschrähndscher nicht in der nächsten Minute schon seine Unterwerfung gereute? „Ihr sollt auch unterwegs ordentlich behandelt werden – wenn Ihr mir nämlich versprecht, Euch auch ordentlich zu betragen.“

Er ging dicht zu ihm heran und stand jetzt neben seiner Waffe, ohne sie aber zu berühren. Zeigte er auch nur die geringste Furcht, so wußte er, daß der Mann, mit dem er es hier zu thun hatte, seinen Vortheil rasch genug benutzen würde. Außerdem konnte er nicht einmal hart auf seinen Fuß auftreten, und wäre deshalb in einem Handgemenge augenblicklich unterlegen. Nicht ein Laut rührte sich draußen; seine Leute waren vielleicht noch meilenweit entfernt.

„Aber die – Anderen sind noch draußen im Busch,“ sagte der Sträfling endlich nach einigem Zögern.

„Keiner mehr, Mulligan,“ erwiderte Tolmer ruhig, „wir haben sie Alle.“

Alle?“ rief Mulligan erstaunt aus.

„Alle mit einander – d. h. fünf und den Matrosen, der noch bei Euch war – ich weiß nicht, ob noch mehr im Busch herum liegen.“

„Nicht mehr wie die,“ sagte kopfschüttelnd der Sträfling, „es müßten denn ganz kürzlich frische herüber gekommen sein, die ich noch nicht gesehen hätte.“

„Also habt Ihr mir weiter nichts zu sagen,“ frug jetzt Tolmer, indem er die Pfeife in die Hand nahm, als ob er das Zeichen geben wolle, „und kann ich meine Leute jetzt rufen?“

„Nichts weiter, Mr. Tolmer,“ sagte Mulligan fast demüthig, „aber Sie werden mir bezeugen, daß ich nicht das geringste Böse gegen Sie im Sinne gehabt.“

„Darauf gebe ich Euch mein Wort,“ versprach ihm der Polizeimann, indem er jetzt langsam den Arm nach dem Gewehr ausstreckte und es an sich nahm. Ein Blick auf das Schloß versicherte ihn, daß die Zündhütchen noch darauf und zum Gebrauch bereit seien, und jetzt erst, als er ein paar Schritte von dem Flüchtling sich entfernte und das Gewehr gegen ihn hielt, war es, als ob eine Centnerlast von seinem Herzen gewälzt wäre. Er holte aus voller Brust Athem und sagte dann, während ihn Mulligan erstaunt betrachtete:

„Jetzt seid so gut, Mate, und geht einmal dort in die Ecke des Hauses – dort hinüber, meine ich, ein Stück von der Thür fort.“

Der Buschrähndscher zögerte – eine Ahnung, daß er sich habe überlisten lassen, schien in ihm aufzusteigen.

„Geht dort in die Ecke, John,“ sagte Tolmer, aber mit fester Stimme, „ich möchte Euch nicht gern ein Leides thun, aber ich muß es, wenn Ihr die geringste Bewegung zur Flucht oder zum Widerstande macht.“

„Teufel,“ zischte der Buschrähndscher leise vor sich hin, „so war das Alles nicht wahr, was Ihr mir da gesagt?“

„Kein Wort davon, John,“ lachte Tolmer, das Gewehr fest dabei im Anschlag, „nur das Versprechen, das ich Euch gegeben, halt’ ich. Was ich zu Eueren Gunsten aussagen kann, soll geschehen.“

„Und Ihre Leute?“

„Suchen Euch draußen am Strande oder in den Känguruhdornen, Gott weiß, wo – aber sie kommen hierher zurück, und bis dahin muß ich freilich Posten bei Euch stehen.“

Der Buschrähndscher drehte sich ab, ging in die Ecke, setzte sich auf den Boden nieder und drückte sein Gesicht in Scham und Ingrimm auf die Kniee.

Tolmer dauerte der arme Teufel, und er sagte freundlich:

„Seid guten Muthes, John, die Sache kann noch besser werden, wie Ihr jetzt glaubt. Wenn Ihr Euch vollkommen ruhig verhaltet, bis meine Leute kommen, und nicht den geringsten Widerstand leistet, will ich annehmen, daß Ihr Alles gewußt und Euch mir freiwillig gestellt habt. Ihr werdet verstehen, daß Euch das beim Gouverneur hoch angerechnet würde.“

„Und wollten Sie das wirklich thun, Mr. Tolmer?“ sagte Mulligan, rasch den Kopf hebend.

„Ich habe es Euch freiwillig zugesagt.“

„Dank Ihnen, Sir,“ sagte der Mann aus vollem Herzen, „Menschenkräfte hätten’s auch nicht länger ausgehalten. Seit zwei Tagen habe ich keinen Bissen, einen Trunk Wasser ausgenommen, über die Lippen gebracht, und mit einem Streifschuß an der Schulter, gestern den ganzen Tag im Wundfieber durch die Dornen brechen müssen. Das Gefängniß selber ist eine Wohlthat gegen ein solches Dasein.“

„Aber warum habt Ihr Euch nicht lange wieder gestellt?“

„Die Freiheit,“ stöhnte der Mann, „die Freiheit! Ihr, die Ihr da draußen noch nie hinter den Eisenstäben gesessen, noch nie gehört habt, wie es klingt, wenn die Riegel hinter Einem zugeschoben werden, wißt gar nicht, was es ist, ein freier Mensch zu sein.“

Er sank mit den Worten wieder in seine frühere Stellung zurück, und Tolmer, der sich jetzt ziemlich sicher fühlte, daß er für den Augenblick keinen weiteren Fluchtversuch.von seinem Gefangenen zu fürchten habe, ging an das Bettgestell, nahm das Brod und Fleisch, das er noch dort liegen hatte, und brachte es Mulligan.

Im Anfang wollte er es nicht anrühren; aber nicht lange konnte er es neben sich liegen sehen. Sein kräftiger und jetzt bis zum Tod erschöpfter Körper forderte Nahrung, und wie er nur einmal den ersten Bissen gekostet, schlang er das Uebrige rasch und gierig hinunter.

Eine volle Stunde mußte Tolmer noch warten, ehe die Seinen von ihrem natürlich erfolglosen Streifzug zurückkehrten. Sie hatten aber dabei ihre übrigen Gefährten getroffen, die eben im Begriff gewesen waren, den Schooner, als den ihnen von Tolmer selber bezeichneten Sammelplatz, wieder aufzusuchen.

Borris war übrigens nicht wenig erstaunt, John Mulligan in Tolmer’s Gesellschaft zu finden, und das Unwahrscheinlichste von Allem war ihm, daß sich der Buschrähndscher freiwillig gestellt haben sollte. Tolmer aber erklärte es in Mulligan’s Gegenwart, und als er noch die Wunde des Gefangenen hatte sehen lassen und indessen von der nächsten Station ein Pferd für ihn selber herbeigeholt war, denn mit seinem wunden Fuß hätte er die Strecke nicht mehr marschiren können, setzte sich der kleine Zug in Bewegung.

Ein nach Jim Riddle’s Hütte geschickter Bote holte indessen den Matrosen von dort ab, brachte aber auch Jim mit, der sich selber überzeugen wollte, ob sein „Freund“, der Buschrähndscher, wirklich in sicherem Gewahrsam sei und ihm keinen unverhofften Besuch mehr abstatten könne. Nur unter dieser Bedingung wollte er länger auf Känguruh-Eiland bleiben.

Gerade der Stelle gegenüber, wo der Schooner, der Polizeimannschaft harrend, vor Anker lag, stieg Tolmer vom Pferde. Sie hatten das Zeichen gegeben, daß das Boot herüber kommen solle, sie abzuholen, und Tolmer, der noch die alten Schüsse in seinem Gewehr stecken hatte, wollte diese herausschießen, es frisch zu laden. Er trat einem dickstämmigen Gumbaum gegenüber – John Mulligan, von vier Polizeileuten bewacht, stand neben ihm – zielte bedächtig und drückte ab. Klapp, versagte das rechte – klapp, das linke Rohr.

Tolmer drehte sich langsam nach John Mulligan um, und Beider Blicke begegneten sich, aber Keiner von ihnen sprach ein Wort. Der Polizeisergeant setzte ruhig frische Zündhütchen auf, drehte sich wieder dem Baume zu und feuerte beide Rohre scharf hintereinander in den alten Gumstamm hinein, daß die Rehposten klappernd darauf schlugen.

Eine Stunde später hatte der Schooner seine sämmtlichen Passagiere an Bord; der Anker wurde gelichtet, und das kleine Fahrzeug segelte mit günstigem Winde nach dem nicht fernen australischen Continent hinüber.




Die Festung Alessandria im Königreich Sardinien.

Alessandria, piemontesische Festung und Hauptstadt der gleichnamigen Provinz des Königreichs Sardinien, am Einfluß der Bormida in den Tanaro in einer sumpfigen Gegend gelegen, ward 1161 von den Cremonensern, Mailändern und Piacentinern gegen Kaiser Friedrich I. erbaut und Anfangs Cäsarea genannt, erhielt aber später, dem Papst Alexander III. zu Ehren, der ein Bisthum dahin verlegte, den jetzigen Namen. Sie zählt 36,000 Einwohner, welche bedeutende Manufacturen in leinenen, wollenen und seidenen Zeugen, Strümpfen und Hüten unterhalten, berühmten Gartenbau und lebhaften Handel betreiben, und hat sehr besuchte Messen. Sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_308.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)