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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

hatte sich so oft gesehen, an derselben Stelle, an denselben Verbindungen, man hatte sich in seiner Art und Weise immer als dieselbigen gefunden; es war, als hätte man viele Jahre mit einander gelebt; man vertraute einander, ohne sich eigentlich zu kennen.“ Mit diesen einfachen Worten ist der Kern des Wesens jener Kreise dargelegt, deren Mittelpunkt die Herzogin, wie in Karlsbad, ebenso in Dresden, Berlin und endlich selbst in Löbichau bildete. Das Zusammentreffen einiger liebenswürdigen Menschen genügt nicht immer, einen interessanten Kreis zu bilden; es müssen auch die Umstände vorhanden sein, um jede Persönlichkeit zur Geltung zu bringen. Diese feingesellschaftliche Kunst, Jeden zur Geltung kommen zu lassen, hatte die Herzogin im höchsten Maße. Es zeigte sich darin die Nachwirkung jener Gesellschaftlichkeit, in welcher sie jung geworden war, und deren eigenthümlichen Reiz das napoleonische Zeitalter mit seinen großen Erschütterungen fast überall beinahe völlig hatte verschwinden lassen. Es war die Kunst, den Anderen sich fühlen zu lassen. Diese Kunst übte nun die Herzogin mit ihren nächsten Umgebungen natürlich mit verdoppeltem Eifer dort, wo sie als gastfreundliche Wirthe auftraten, – in Löbichau.

Der Pariser Friede und der Wiener Congreß waren vorüber, die Männer des Kriegs und der Staatskunst erholten sich von den Aufregungen und Arbeiten der verflossenen Jahre; an den Höfen der regierenden Fürsten war man mit Restauriren aller Sphären des vielfach zerrütteten Lebens zu beschäftigt, um der Geselligkeit einen weiten Spielraum gönnen zu können; auch klaffte mancher politische Gegensatz noch zu offen, brannte manche Wunde noch zu schmerzlich, um eine glatte Oberfläche und ein freundliches Gleichgewicht des geselligen Verkehrs dieser Kreise aufkommen zu lassen. In Löbichau fand man einen neutralen Boden, ohne eine der gewohnten Aeußerlichkeiten vornehmen Lebens zu entbehren; abgesehen von der Anmuth des dort heimischen Kreises, durfte man auch hoffen, manche verloren gegangene geistige Beziehung wieder aufnehmen oder neue interessante Menschen kennen zu lernen.

So war Löbichau in den ersten Friedensjahren eigentlich mehr das Stelldichein der noch nicht wieder in das Geleis ihrer Gewohnheit zurückgekehrten vornehmen Welt, als gerade ein absichtlich gebildeter Sammelpunkt mitteldeutschen Geisteslebens. Aber natürlich ging auch selten ein Mann der Wissenschaft und Kunst vorüber, welcher anderwärts mit der Herzogin, mit Frau von der Recke, mit Tiedge etc. zusammengetroffen war, ohne die Gelegenheit zur Erneuerung oder Fortsetzung der Bekanntschaft zu benutzen. Und Niemand von irgend welcher geistigen Bedeutung verließ das Schloß, ohne zu glauben, daß ihm ganz besondere Aufmerksamkeiten zugewendet worden seien. Dazu trug allerdings die Formenanmuth des ganzen dortigen Wesens das meiste bei; aber sie hätte sich nicht in so leichter und ungezwungener Weise entwickeln können, wenn die Herzogin, abgesehen von ihrer persönlichen Bedeutsamkeit, nicht auch hier in Bezug auf Stand und äußere Lebensstellung ihrer Gäste sich eben so vorurtheilsfrei erhalten hätte, wie sie es ihr ganzes Leben hindurch gewesen war. Jeder war gewissermaßen aller Auszeichnungen theilhaftig, welche der Herrin des Hauses galten, während die wirklich unbegrenzte Gastlichkeit Niemanden empfinden ließ, welche äußere Lebensannehmlichkeiten er jener verdankte, und welche er sich selber schuf. Es läßt sich nicht leugnen, es war etwas „Capua der Geister“ in dem ganzen Leben und Treiben, und unsere heutige nüchtern-praktische Zeit mag vielleicht selbst einen Vorwurf daraus machen, daß in jenen Jahren, da sich alle Kräfte zur Erringung der verheißenen Resultate des Freiheitskampfes hätten vereinigen sollen, hier mancher bedeutend angelegte Mensch zu einem dilettantischen, momentan ergötzlichen, rein gesellschaftlichen Spiel mit seinen Talenten veranlaßt wurde, aus welchem kein Lebensernst erwachsen konnte. Manche Celebritäten selbst, wie u. A. Jean Paul, wurden, von dem Cultus, welcher ihnen hier namentlich durch die Damen des herzoglichen Hofhalts gewidmet wurde, bis zu völliger Selbstvergötterung berauscht. Andere, wie *, wurden durch die Auszeichnung, welche eigentlich blos ihrer schönen Männlichkeit und einer angenehmen Baßstimme galten, in der Selbstbeurtheilung ihrer Begabung irre, traten aus bereits angebahnten Carrieren und geriethen in falsche Lebensstellungen. Man rechnete damals noch nicht so knapp mit der Zeit, man hatte mehr Zeit für behagliches Sichhingeben, man hielt selbst die Gesellschaft nicht blos für eine abzuthuende Pflicht, sondern für einen ebenfalls productiven Theil des Lebens.

Auf der andern Seite darf jedoch eben so wenig vergessen werden, daß die Herzogin und ihre Umgebungen es sich zur Aufgabe machten, ihre materiellen Mittel in reichlichstem Maße, und ihre tausendfachen Beziehungen in unermüdlicher Hülfsbereitschaft dazu zu benutzen, um tüchtigen und strebsamen Menschen theils die Möglichkeit zu voller Ausbildung, theils passende Wirkungskreise zu verschaffen. Dafür waren nicht etwa blos ästhetische Talente und künstlerische Fertigkeiten maßgebend, sondern auch der Beruf und die Neigung zu strengen Fachwissenschaften. Tiedge, eine durch und durch gebildete und juristisch geschulte Persönlichkeit, von mildester Humanität durchdrungen, that nach dieser Richtung erstaunlich viel nicht blos durch Befürwortung bei den kurischen Schwestern, sondern ebenso aus eigenen knappen Mitteln. Ebenso der Herzogin Leibarzt, Geheimrath Sulzer in Ronneburg, dessen auch Goethe bei seinen Karlsbader Aufenthalten öfters erwähnt. In gleicher Weise konnten auch die bewährten Geschäftsmänner des Löbichauer Hofes und der herzoglichen Angelegenheiten zuverlässig darauf rechnen, bei der Herzogin stets ein offenes Ohr für ihre Anträge und Befürwortungen nach dieser Richtung zu finden. Endlich – so prosaisch es auch klingt – war der herzogliche Hofhalt während der Noth- und Theuerungsjahre, welche bald auf den allgemeinen Frieden folgten, manchem Jünger der schönen Künste ein stets offenstehender Zufluchtsort, welcher ihn vor alltäglichem Mangel bewahrte. Unter der glatten, formenschönen, stets heiteren Oberfläche des Löbichauer Lebens gingen auch schwere, herzzerreißende Schicksale hin. Aber freilich gewahrte die Welt nichts davon.

Es ist hier nicht der Ort, diese Details weiter auszuführen. Allmählich folgte auch das Löbichauer Leben dem Gesetze der Nothwendigkeit. Seine leitenden Mittelpunkte, die Herzogin, Elisa von der Recke, Tiedge wurden älter; aus dem Kranze anmuthiger Mädchengestalten von jüngeren Verwandten, Halbverwandten und Bekannten war allmählich ein bedeutender Theil zum Traualtar und in die Heimath ihrer Gatten entführt worden. Das Schloß wurde leerer, die ernsten Interessen begannen vorzuherrschen, die ehemalige Beweglichkeit des ab- und zufluthenden Gästestromes begann zu stocken. Dazu kam, daß die Herzogin in den letzten Jahren ihres Lebens kränkelte, während Elisa von der Recke sich gleichfalls abweisender gegen die Außenwelt verhielt. Im Frühjahr 1821 starb Anna Dorothea von Kurland in Löbichau, und ein ausgewölbter Rasenhügel mit einem hohen Kreuz auf seinem Gipfel erhebt sich über ihrem Sarge, zu welchem vierundzwanzig Jahre später auch jener ihrer zweiten Tochter, der in Wien (1845) verstorbenen Fürstin Pauline von Hohenzollern, beigestellt ward.

Von den unmittelbaren Blutsverwandten der Herzogin leben blos noch die Herzoginnen von Acarenza-Pignatelli und von Sagan. Selbst von den jüngeren Familiengliedern und den näheren Umgebungen der Herzogin sind auffallend wenige noch am Leben. Die Personen, deren Wirken zum Theil mit Löbichau in Verbindung stand, zum Theil davon ausging, gehören heute ebenfalls dem höheren Alter an und sind weit verstreut, zusammenhanglos geworden. Daran gedenkend ist’s ein eigenthümliches Gefühl, wenn man die Zimmerreihen des Schlosses durchwandert und dort an den vielen Portraits sich in jene hinabgesunkene, ausgestorbene Zeit versetzt. Ist’s doch, als gehörten selbst die Räume nur der Vergangenheit an. Wenigstens hat die neue Benutzung derselben – die Herzogin von Acarenza verweilt gewöhnlich den Sommer über hier – den ursprünglichen napoleonisch-antiken Typus der Einrichtung großentheils unangetastet gelassen. Es hat für unseren heutigen Geschmack, welcher sich in Ueberfüllung der Zimmer mit Meubles und allerlei Zierrath gefällt, beinahe etwas Oedes und Kaltes, jedenfalls etwas Herbes. Dennoch kann man sich auf der anderen Seite einem gewissermaßen imponirenden Eindrucke nicht entziehen; man empfindet selbst bei dieser falschen Classicität der Mode die Ahnung von einem Stück Weltgeschichte, dessen großartiger Beginn durch kleinmüthige Epigonen abgebrochen wurde, ohne sein Ziel erfüllt zu sehen. Und ist es denn anders? Tragen nicht gerade wir Deutschen am schwersten daran?

An Löbichau und sein damaliges Leben hat sich freilich keine geschlossene Fortsetzung oder großartigere Entwickelung knüpfen können; es war ja auch nur eine relativ kleine und kurze, von fremder Erde auf die unsere verpflanzte Episode im damaligen Culturleben. Selbst der passende Geschichtsschreiber fehlt ihr noch,[1] und die letzte Herzogin

  1. Seit einigen Wochen nicht mehr. Sternberg ließ so eben einen dreibändigen biographischen Roman: „Dorothea von Kurland“ (bei Stollmann) erscheinen.      D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_311.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2023)