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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Hier ist nicht der Ort,“ sagte Germaine, „bitte, folgen Sie mir in das Zimmer.“ Sie wandte sich zu dem kleinen Knaben, den sie gefahren, und sagte: „Ich komme wieder.“

Germaine führte ihren Begleiter in das Zimmer, und als sie sich überzeugt hatte, daß Niemand sie behorchen konnte, setzte sie sich auf ein Sopha und zeigte auf das ihr gegenüberstehende Tabouret, sagend: „Nehmen Sie dort Platz.“

Gibbon setzte sich und biß die Lippen auf einander, um nicht zu lachen. Germaine fuhr mit gesenktem Auge fort:

„Was ich Ihnen zu sagen habe, ist sehr ernst; versprechen Sie mir, nicht zu lachen.“

Gibbon antwortete nicht, aus Furcht, lachen zu müssen. Da Germaine die Augen niedergeschlagen hatte, so sah sie nicht die Kämpfe seiner Lachmuskeln. Sie fuhr fort:

„Sind Sie verheirathet?“

„Nein, noch nicht.“

„Aber, Herr Gibbon, es ist doch nicht Ihre Absicht, Junggeselle zu bleiben?“

„Ich versichere Sie,“ antwortete Gibbon, ganz erstaunt über die Wendung des Gespräches, „daß ich mich noch nicht bestimmt habe.“

„Gott sei Dank!“ rief Germaine, „denn ich habe Absichten auf Sie.“

„Auf mich?“

„Ja, mein Herr, ich habe eine Frau für Sie, oder vielmehr einen Schwiegervater, der Sie bewundert, er wird Sie mit Wonne seinen Sohn nennen und glücklich sein, wenn Sie ihn nie verlassen –“

„Aber man heirathet keinen Schwiegervater, man heirathet eine Frau, die nie den Mann verlassen soll.“

„Die Frau, die Frau!“ rief Germaine, „sie ist nicht die Hauptperson. Wir wollen uns nicht disputiren, das steht fest, es gibt keine Frau ohne einen Schwiegervater, Sie müssen den Einen wie den Andern nehmen. Hören Sie auf mich, aber zuerst versprechen Sie, daß Sie nicht Nein sagen wollen.“

„Ich verspreche –“

„Nein, nicht so schnell, ich bin kein Kind, das man mit einem leichten Versprechen beschwichtigt. Sie sagen mit dem raschen Ja: „Schnell, mein Kind, ich habe keine Zeit“, und dennoch ist meine Sache so ernst, so ernst,“ und das liebe Kind stützte den Kopf in die Hand und sah bedenklich vor sich hin.

„Ich habe Zeit, mein liebes Kind,“ sagte Gibbon. „Sagen Sie, was Sie wollen; ich bin überzeugt, daß Germaine Necker nur verlangt, was Gibbon thun kann.“

„Das versöhnt und ermuthigt mich,“ nahm Germaine das Wort. „So frage ich Sie denn: Herr Gibbon, wollen Sie mich heirathen?“

Gibbon sprang vor Erstaunen vom Sessel auf, er sah das liebliche ernste Kind, das gesenkten Kopfes da saß, an und sagte:

„Sie heirathen? Aber ich kann drei Mal Ihr Vater sein!“

„Was thut das Alter?“ erwiderte Germaine.

„Mich mit Ihnen verheirathen?“ fragte Gibbon von Neuem.

„So verschmähen Sie mich?“ unterbrach ihn Germaine, sich stolz erhebend.

„Nein, Mademoiselle,“ rief Gibbon, indem er sie nöthigte, sich zu setzen, „ich nehme das niedliche, kleine Händchen an, aber ich erlaube mir nur, zu fragen, welcher meiner vorzüglichen Eigenschaften ich diese Ehre verdanke?“

„Wie?“ fragte Germaine.

„Ja, Mademoiselle, sagen Sie mir, ich bitte, ob meine Schönheit Sie reizt?“

„Ich kenne keine häßlichere Person,“ entgegnete Germaine lachend.

„Beleuchten wir meine anderen Eigenschaften. Ist es der Reiz meiner Stimme?“

„Ach nein,“ rief Germaine, „nichts, als Nasenlaute.“

„Ist es die Anmuth meiner Unterhaltung?“ fragte Gibbon wieder.

„Mein Herr,“ sagte Germaine plötzlich ernst, „ich kann Ihren ganzen Reichthum nicht fassen, ich weiß nicht, was es ist, aber wenn Sie sich mit Papa und Mama unterhalten und ich dabei sitze, so –“

„Schlafen Sie ein,“ unterbrach Gibbon.

„O nein, dazu habe ich zu viel savoir-vivre, aber ich langweile mich, ich langweile mich zum Umkommen. Sie sind mir doch nicht böse?“

„Nein, mein liebes Kind, ich freue mich Ihrer Aufrichtigkeit. Aber warum wollen Sie mich heirathen? Ich bin alt, habe eine unmelodische Stimme und bin langweilig.“

„Weil mein Vater Sie liebt, weil Ihre Unterhaltung ihn befriedigt, weil er Sie bewundert, weil er neulich sagte, daß es sein Wunsch wäre, immer in Ihrer Nähe zu sein, und ich denke, daß, wenn ich Ihre Frau würde, es Ihre Pflicht sei, Alles zu thun, was meinem Vater angenehm wäre.“

„Liebliches, Kind,“ sagte Gibbon, ihre Hand küssend, „Sie lieben Ihren Vater so sehr?“

„Ueber Alles,“ rief Germaine, „mehr, als mein Leben. Wie können Sie fragen, ob ich ihn liebe? warum fragen Sie nicht, ob ich athme?“

„Sie sind ein Engel, Germaine,“ und als Herr Necker in das Zimmer trat, sagte er zu ihm: „Sie sind ein beneidenswerther Vater, Sie sind das Idol Ihres Kindes.“

„Höre nicht auf ihn, Vater, er spricht so, weil ich ihn heirathen will.“

„Heirathen?“ rief Herr Necker. „Gibbon, was ist das?“

Und der alte Historiker erzählte mit thränenden Augen wörtlich die eben geschilderte Scene.

„Mein geliebtes Kind,“ sagte Necker, „Du wirst der Stolz meines Alters sein. Aber warum verbargst Du mir Deine Absicht?“

„Weil Du ein solches Opfer nicht von mir angenommen hättest, mein theurer Vater.“

„Also ein Opfer ist es, mich zu heirathen?“ rief Gibbon.

„Ja, mein Herr, es war nur deshalb mein Wille, weil ich meinen Vater so innig liebe.“

„Aber, Germaine, ohne Erlaubniß Deiner Eltern?“

„Germaine ist zehn Jahre alt, wenn sie das Alter erreicht haben wird, in dem sich die Mädchen verheirathen, wird sie den alten Gibbon nicht mehr wollen – ich entsage –“

„Nein, nein,“ sprach Germaine, „ich habe Ihr Wort, Sie heirathen mich und Sie haben dann die Pflicht, immer bei meinem Vater zu sein, ihn immer zu unterhalten, vergessen Sie nicht, daß mein Vater gesagt hat: Wenn doch Gibbon immer bei mir wäre!“

„Hören Sie, Germaine, ich verspreche Ihnen, so oft Ihr Vater will, bei ihm zu sein; will er mich des Nachts, ich komme; will er mich am Morgen, ich bin da; Mittags, ich speise bei ihm; Abends, ich ziehe seine Unterhaltung Allem vor; wenn er will, ich wohne bei ihm; wenn Sie wollen, ich bin sein Schatten mit Fleisch und Bein, und wenn sich damit Alles erfüllt, was Sie wünschen, wollen Sie mich dann auch noch heirathen?“

„Wenn Sie mir dafür Ihr Ehrenwort geben,“ sagte Germaine, „so ist es so besser und ich bin frei.“

„Ich gebe es,“ sagte Gibbon, ihr die Hand reichend.

„Geliebtes Kind,“ rief Necker, „Deine Liebe wollte mir Deine Freiheit opfern –“

„Meine Freiheit! Mein Leben! Ich habe Alles für Dich, mein heißgeliebter Vater, ich habe kein Wort für meine Liebe zu Dir.“

Necker schloß mit Bewegung das heißgeliebte Kind in seine Arme. Gibbon hielt Wort und widmete dem Freunde so oft als möglich seine Stunden. Germaine heirathete 1789 den schwedischen Gesandten Staël-Holstein. Zwei ihrer Romane haben einen bedeutenden Ruf erworben: Corinne und Delphine. Ihre politischen Schriften waren von großem Einflusse auf ihre Zeit. Sie hatte zwei Kinder, von denen die Tochter sich an den Herzog von Broglie verheirathete. Ihr Sohn, Baron August von Staël, begleitete seine Mutter auf allen Reisen. Man rühmt von ihm die Liebe zu seiner Mutter, sein sanftes und frommes Gemüth, das sich bei vielen gemeinnützigen Unternehmungen betheiligt hat. Beide Kinder der Frau von Staël waren mit dem reichen Geiste, dem warmen Gefühle ihrer Mutter ausgestattet.

Germaine de Staël-Holstein starb den 14. Juli 1817.

R. W.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_313.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2023)