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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

ihres Wartens, als wir daselbst ankamen. So ließen wir das Singen sein, stiegen hundert Schritte vom Hause ab und führten die Pferde sachte und am Zügel in den Hof.

Im Stalle fanden wir den Knecht Caspar, der uns froh willkommen hieß. „Was macht die Alte?“ fragten wir beinahe einstimmig.

„Schlecht, schlecht!“ antwortete er kopfschüttelnd. „Seit man hier im Lande überall große Feuer angezündet und den Frieden verkündigt hat, geht’s schlecht. Sie lief von Hof zu Hof und fragte, ob das der rechte Frieden sei, und seitdem hat sie Alles liegen lassen und sitzt nun den ganzen Tag vor ihrem Dachfenster und wartet; denn jetzt, meint sie, müsse ihr Wilhelm kommen. Und da er nach dem rechten Frieden doch nicht kommt, scheint ihr das etwas quer, und nun, glaub’ ich, macht sie’s nicht mehr lange. So eine Hoffnung in so einem alten Haus ist wie ein Stützbalken; nimm den Balken weg, das alte Haus stürzt zusammen. Ich glaube, daß ihr Balken angefault ist.“

Wir wollten doch wenigstens die Alte sehen und stiegen, wie ehemals, die halbe Treppe hinauf. Da saß sie richtig auf ihrem Posten. Aber es fiel uns auf, daß sie nicht mehr, wie sonst, gerade vor sich hinstarrte, der Landstraße entgegen, und daß ihr Kopf auf die Brust herabgefallen war, wie bei einer Person, die sich nicht aufrecht halten kann. Besorgt schlichen wir näher. Da sahen wir, daß sie die Augen geschlossen hatte. Bei unserem Herantreten öffnete sie dieselben und da sie uns erkannte, lächelte sie freundlich, wie ehemals, aber bei weitem schmerzlicher. Es fiel uns auf, wie arg in dieser kurzen Zeit ihr Gesicht verfallen war und daß sie sich uns zuwandte, während es damals nicht möglich war, ihre Augen von der Landstraße abzulenken.

„Seid Ihr da, Kinder?“ sagte sie mit schwacher Stimme. „Ihr kommt von der anderen Seite, von dieser Seite kommt Niemand. Und ist doch der rechte Friede geschlossen? Oder ist’s noch nicht der rechte Friede? Wo ist der, der mir aus dem tröstlichen Buche Tobias vorgelesen und der mir vom rechten Frieden gesprochen?“ Sie suchte Helffreich mit den Augen – da rief sie: „Aber Einer fehlt! Wo ist denn der Lange, Schwarze?“

In der That fehlte Graff in unserer Mitte; in Lothringen hatte ihn eine Kugel aus dem Hinterhalte hingestreckt.

Wir antworteten nicht.

„Ich weiß,“ sagte die Alte, „ich weiß. Dessen Mutter wird auch lange warten.“ So sprechend, wandte sich ihr Gesicht wieder der Luke und der Landstraße zu. „Ich werde nicht länger mehr warten.“ sagte sie weiter und lächelte. „Seht Ihr dort – er kommt!“

So sprechend, stand sie auf und streckte den Arm der Straße entgegen. In demselben Augenblicke aber stürzte sie in den Stuhl zurück, und die Augen weit geöffnet, noch immer wartend und auslugend, saß sie da und – war todt.

Wir blieben einen Tag länger, als unser Urlaub gestattete, um der guten Mutter Lene die letzte Ehre zu erweisen. Hoch zu Roß folgten wir ihrem Sarge. Helffreich hatte sich vom Pastor die Erlaubniß ausgebeten, an seiner Statt ihr die Grabrede zu halten. Aber er war noch nicht genug Pastor, und brachte vor Rührung kein Wort hervor.




Blätter und Blüthen.

Talleyrand. Wir gaben neulich einige geistreiche Aperçus des berühmten französischen Staatsmannes Talleyrand und wollen dem noch einige weniger bekannte beifügen.

Es war unter der Restauration. Talleyrand hatte sein Ministerium niedergelegt und war Groß-Kammerherr geworden. Die Julirevolution grollte schon von ferne. Talleyrand befand sich im Tuilerienschloß und lehnte gedankenvoll in einer Fenstervertiefung, als sich ihm der Graf von Girardin, der sehr stark schielte, näherte.

„Nun, mein Fürst,“ frug er Talleyrand, „wie gehen die Angelegenheiten?“

„Wie Sie sehen, mein General,“ war des Diplomaten sarkastische Entgegnung.

Ludwig XVIII. war Talleyrand, trotzdem, daß die Bourbonen im Grunde diesem Staatsmanne ihre Wiedererhebung auf den Thron verdankten, nicht günstig gesinnt. Wo er ihm einen Streich spielen konnte, that er es. Talleyrand’s geistige Ueberlegenheit war dem Könige unbequem.

Nach der Restauration hatte sich Fürst Talleyrand von seiner Frau getrennt, die er nach England schickte, wo er ihr eine jährliche Pension von 60,000 Francs auszahlen ließ. Als Ludwig XVIII. davon unterrichtet war, schickte er im Geheimen an Frau von Talleyrand den Befehl, zurück nach Paris zu kommen. Nichts war der Fürstin erwünschter und sie kehrte sofort zum großen Mißvergnügen ihres Gatten zurück. Bald nach ihrer Ankunft frug nun der König ganz zufällig:

„Ah, mein lieber Fürst, ist es wahr, daß die Fürstin wieder in Paris sich befindet?“

„Sehr wahr, Sire, sehr wahr,“ antwortete Talleyrand ganz gelassen, „was wollen Sie? ich mußte wohl auch meinen zwanzigsten März haben.“

Der König schwieg und bis sich in die Lippe. Der zwanzigste März war bekanntlich der Tag, an welchem Napoleon, von Elba zurückkehrend, in Paris wieder eingezogen war.

Unter dem Ministerium Villèle sah er den Grafen Ferrand, auf zwei Bediente gestützt, in die Pairskammer treten. Talleyrand wendete sich zu seinem Nachbar:

„Sehen Sie Ferrand, mein Freund? Er ist ein leibhaftiges Bild der Regierung. Er glaubt zu gehen, während man ihn trägt.“

Von der Pikanterie Ludwig’s XVIII., der sonst ein sehr gemüthlicher Mann mit vieler Neigung zur Gourmandise und feiner Ironie war, gegen Talleyrand haben wir eben ein Beispiel erzählt. Als im Jahre 1823 der Feldzug gegen Spanien beschlossen wurde, opponirte Talleyrand in der Kammer heftig dagegen. Die Hofpartei nahm ihm dies sehr übel, und man gab dem Könige zu verstehen, er möchte Talleyrand vom Hofe verbannen und auf seine Güter verweisen, ganz wie es sonst zu den Zeiten Ludwig’s XIV. und Ludwig’s XV. Sitte, wo es hieß: car tel est mon plaisir.

Der König ergriff begierig die Gelegenheit, Talleyrand zu ärgern. Der Fürst war Groß-Kammerherr und mußte als solcher zu gewissen Tagen am Hofe erscheinen. Als er nun das erste Mal nach seiner Kammersitzuug, die ihm die königliche Ungnade zugezogen, wieder bei Hofe erschien, sagte Ludwig XVIII. zu ihm:

A propos, Fürst, ich mache Ihnen mein Compliment. Sie gehen auf’s Land.“

„Nein, Sire, ausgenommen, wenn Eure Majestät sich nach Fontainebleau begeben, in welchen Falle ich mich um die Gunst bewerben würde, Sie dahin begleiten zu dürfen.“

„Nein, nein,“ rief der König verlegen, „das meinte ich nicht … Im Uebrigen … genug davon.“

Am nächsten Sonntag richtete der König dieselbe Frage an Talleyrand, und erhielt die nämliche Antwort. Endlich, als der Fürst durchaus nicht den Wink zu verstehen schien, frug er ihn am dritten Sonntag:

A propos, sagen Sie mir doch, wie weit ist es von Paris bis nach Valençay (dem Landgute des Fürsten Talleyrand)?“

Ma foi, Sire!“ rief jetzt Talleyrand ungeduldig, „ich weiß es nicht genau. Aber ich glaube, doppelt so weit, als von Paris bis Gent.“

Dieser Hieb saß, Ludwig dachte nie wieder daran, den Fürsten zu fragen, ob er auf’s Land gehe.

Aber auch Napoleon gegenüber zeigte Talleyrand dieselbe Geistesgegenwart, und der Kaiser war ein ganz anderer Mann, als die Bourbonen, der nicht mit sich spaßen ließ. Anfang 1814, als die Alliirten in Frankreich eindrangen, wurde Napoleon benachrichtigt, daß man vermuthe, Talleyrand zettle ein Complot gegen ihn an. Der Kaiser ließ den Fürst rufen, und sagte rauh und streng zu ihm:

„Ich weiß, was Sie treiben. Ich weiß, daß Sie sich einbilden, im Falle eines mich betreffenden Unglücks,“ und der Kaiser machte bei diesen Worten eine sehr bezeichnende Gebehrde, „an der Spitze eines Regentschaftsraths sich zu befinden. Nehmen Sie sich in Acht. Man gewinnt nichts, gegen meine Macht zu intriguiren. Ich erkläre Ihnen, daß, wenn ich gefährlich krank würde, Sie noch vor mir sterben müßten.“ und er begleitete diese Worte mit einem furchtbar drohenden Blick und einer Handbewegung, die Talleyrand keinen Zweifel über den Sinn dieser Worte ließ. Statt sich aber dem Kaiser zu Füßen zu werfen und entweder seine Unschuld zu versichern, oder sein Vergehen zu beichten, entgegnete er mit einem dankbaren, theilnehmenden Blick auf der Stelle:

„Sire, ich bedurfte einer solchen Andeutung nicht, um vom Himmel die Verlängerung der Tage Eurer Majestät zu erflehen.“


Zur Nachricht.

Etwaigen Reclamationen im Voraus zu begegnen, sehen wir uns zu der Erklärung veranlaßt, daß die „Gartenlaube“ ohne Unterbrechung an alle diejenigen Abnehmer regelmäßig weiter expedirt werden wird, welche ihre Verpflichtungen gegen uns zur Oster-Messe erfüllt haben.

Die Verlagshandlung.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_336.jpg&oldid=- (Version vom 12.6.2023)