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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Papier, das Officiers-Patent, und las mit einer gewissen Befriedigung: „Friedrich Schellenberg, Sohn des Majors Schellenberg.“ Er legte die Papiere wieder in die Brieftasche, nahm die Laterne und leuchtete noch einmal flüchtig über den Schlafenden hin. Da bemerkte er etwas, was ihn stutzig machte: er griff nach der Schnur, welche um den Hals des Schlafenden hing, zog sie hervor und erblickte so den daran befestigten Ring – seine Augen quollen fast hervor, als er einen vollen Lichtstrahl auf denselben fallen ließ. Der Schläfer machte – oder glaubte doch, die höchsten Anstrengungen zu machen, um sich zu bewegen, um nur zu ächzen oder zu stöhnen – umsonst, die bleierne Gewalt des Scheintodes lag bewältigend auf ihm. Marx sagte: „Also doch! Mein Rachewerk ist also noch nicht beendigt! Unglücklicher, der Ring ist Dein Verderben!“ – Noch einen wüthenden Blick auf den Schläfer werfend, entfernte er sich dann wieder durch die Oeffnung in der Wand, die sich hinter ihm schloß, und Alles war vorüber. Der Zustand Schellenberg’s verwandelte sich allmählich in einen wirklichen Schlaf voll fieberhaft wirrer Träume, aus welchem er spät am Morgen mit empfindlichen Kopfschmerzen erwachte.

Ja, er wachte nun wirklich: die Sonne schien freundlich in das Zimmer, vor ihm lagen seine Kleidungsstücke, auf dem Tische befanden sich seine Pistolen, seine Uhr, seine Börse, seine Brieftasche – beim Anblick der Brieftasche überfiel ihn plötzlich die Erinnerung an die nächtliche Scene, und er sagte zu sich: „War das Traum oder Erlebnis? Kann man so träumen oder kann man solches erleben?“ – Er stand rasch auf und öffnete die Brieftasche; es war Alles darin, was hinein gehörte. In seinen Gedanken hin- und herschwankend, kleidete er sich an und begann eine genaue Untersuchung der Wand in der Nähe des Ofens, aber es ließ sich nichts Besonderes entdecken. Beim hellen Tageslichte, indem das Gespräch und das Gelächter seiner Soldaten vom Hofe heraufklang, war zwar alles Grauen der Nacht gewichen, aber das Räthselhafte blieb. Er begab sich hinunter zu den Schützen; sie befanden sich wohl und guter Dinge, mit allem Nöthigen reichlich versorgt; der Hausherr war, wie ihm berichtet wurde, schon früh in Geschäften ausgegangen. Er kehrte wieder auf sein Zimmer zurück, wohin man ihm ein Frühstück brachte.

Da kam Winrich, um Meldung vom Waldhofe zu bringen, und dies zog die Aufmerksamkeit des zerstreuten Officiers wieder auf die Außenwelt. Nach Winrich’s Bericht war man leidlich untergebracht, mit Stroh und Decken versehen, an Speise und Trank nicht Mangel leidend.

„Zwar der Müller,“ schloß Winrich, „sieht aus, wie ein rechter Spitzbube, und ich möcht’ ihm nicht viel Gutes zutrauen, aber Henriette, die Dienerin des Fräuleins, das ist ein Prachtmädchen!“

Es hatte für Schellenberg etwas Unangenehmes und Beunruhigendes, sich das feine sinnige Mädchen mit den Soldaten in Zusammenhang gebracht zu denken, und er fragte ablenkend: „Ist das Fräulein selbst zum Vorschein gekommen?“

„Nein, das scheint wie eine Eule in seinem alten Neste zu sitzen. Aber die Henriette ist ein so fixes Wesen, wie ich nur je eins gesehen habe; überall wußte sie Rath, für Alles einen Ausweg, und wo’s doch fehlte, da machte ihr freundliches Gesicht Alles gut.“

„Unsere Leute haben sich doch ordentlich benommen?“

„Wie Geistliche in einem Kloster! Sie hat so die rechte Art, jeden in ordentlicher Entfernung zu halten, und dann war ich ja auch da mit der Instruction von Ihnen. Ich wollt’ es keinem rathen, ihr auch nur mit einem Schritte zu nahe zu kommen! Uebrigens zog sie sich auch, als die Einrichtung getroffen war, wieder in’s Haus zurück und wir haben sie mit keinem Blicke wieder gesehen.“ Bald langte auch der Obercontroleur von Eversburg an, und der Vormittag verging unter mancherlei Besprechungen. Den Schützen war heute noch Ruhe gegönnt, von morgen an sollte aber ein regelmäßiger Grenzdienst beginnen. Zu Mittag war nur für Schellenberg und den Steuerbeamten gedeckt, denn Marx war noch nicht zurückgekehrt. Der Officier suchte etwas Näheres über den ihm jetzt so unheimlichen Mann zu erfahren, aber der Beamte wußte nur zu sagen, daß Marx wegen seiner Wohlhabenheit in Ansehen stehe, wegen seines harten und strengen Charakters jedoch zugleich gefürchtet sei. Am Nachmittage ging Schellenberg mit nach Eversburg, und als er spät Abends zurückkam, hatte sich Marx bereits zur Ruhe begeben. Die Nacht verging ohne die geringste Störung.



IV.

Der Dienst der Schützen hatte begonnen. Die Dispositionen pflegten auf dem Wolfsgrunde entworfen zu werden, wo Marx durch seine genaue Ortskenntnis;, sowie durch seinen durchdringenden Verstand sich sehr nutzbar erwies; das Verhältnis; desselben zu Schellenberg war innerlich gespannt, doch äußerlich ungestört. Uebrigens schien die Anwesenheit der Soldaten der Schmuggelei erfolgreich zu steuern, denn mit Ausnahme einiger gelegentlicher kleiner Paschereien von Ungeübten, die leicht entdeckt wurden, stieß man auf keinen jener Versuche, die früher mit so unerhörter Frechheit betrieben worden waren.

Nach Verlauf von etwa einer Woche verlangte Winrich ein besonderes Gehör bei seinem Lieutenant.

„Ich glaube,“ begann er, „wir können jetzt einen tüchtigen Schlag ausführen. Die Schmuggler waren vor unseren Büchsen dermaßen in Respect gerathen, daß sie sich bisher ganz ruhig gehalten haben. Aber sie machen’s nur wie die Ratten, die bei einem neuen Geräusche ihre Löcher aufsuchen, sich aber bald wieder hervorwagen und die alte Unverschämtheit zeigen. Sie scheinen’s nun nicht länger aushalten zu können, denn ich habe die sichere Nachricht, daß der Jude Feibes Itzig aus Eversburgs drüben in der Stadt Quendelheim bedeutende Einkäufe gemacht hat und übermorgen damit herüberkommen wird. Die Zeit kann ich nicht genauer angeben, was aber die Stelle betrifft, so wird’s am „Kniebrech“ oder da herum sein.“

„Woher wissen Sie das, Winrich?“

Obgleich er auf diese Frage vorbereitet sein mußte, so antwortete Winrich doch mit einiger Verlegenheit: „Ich will’s Ihnen nur offen heraussagen, Herr Lieutenant, ich hab’s von der Henriette, die ein übermäßig gescheites Mädchen ist, und die Henriette hat’s vom Müller auf dem Waldhofe, der wohl so halb und halb ein Spießgeselle der Schmuggler sein mag; er hat sich im Sprechen verschnappt, und da hat’sie nicht eher geruht, bis sie ihm das Geheimniß abgefragt hat. Ich sollte meinen, wir könnten guten Gebrauch von dieser Nachricht machen. Fangen wir den Juden mit seinen Helfershelfern und mit seiner Contrebande, so bringt’s eine nachhaltige Furcht unter das Gesindel, Ihnen wird’s gut aufgenommen und auch unsereinem trägt’s seinen Nutzen.“

„Sie meinen die Prisengelder?“

„Nicht doch, Herr Lieutenant! Sie wissen, meine bedungene Dienstzeit ist bald um, wo ich mich denn entscheiden muß, ob ich weiter dienen oder mich um eine Stelle im Civil bewerben will. Wenn’s uns nun diesmal recht ordentlich glücken wollte und Sie ein gutes Wort für mich einlegten, daß ich nämlich einiges Verdienst um die Ertappung der Schmuggler gehabt habe, so bekomm’ ich vielleicht den Posten eines Grenzbeamten, und mein höchster Wunsch ist erfüllt; ich nehme mir dann die Henriette zur Frau und Sie glauben gar nicht, was das für eine prächtige Frau sein wird.“ Unangenehm von dieser Eröffnung berührt, sagte Schellenberg verdrießlich: „Sie überlassen sich doch nicht, wie es den Soldaten nur gar zu leicht geschieht, eiteln Voraussetzungen, die sich nachher als Täuschungen erweisen? Wie können Sie denn bei der nur oberflächlichen Bekanntschaft mit dem jungen Mädchen gleich wissen, daß es Ihre Frau werden will?“

„O nein, Herr Lieutenant, so sehr oberflächlich ist die Bekanntschaft nicht mehr, und was das Uebrige betrifft, so merkt man einem rechtschaffenen Mädchen bald ab, ob es die Werbung eines rechtschaffenen Mannes annehmen wird. Auch sind schon einige Worte gefallen, die man als eine günstige Einleitung dazu ansehen kann.“

Eine gewisse Bitterkeit bemächtigte sich Schellenberg’s und er sagte mehr für sich hin, als zu Winrich: „So geht’s mit der Liebe und Treue der Menschen. Ich glaubte, die Henriette hinge mit treuer Liebe an ihrer Herrin und würde sie nicht verlassen; kaum kommt aber der Freier im bunten Rocke, so folgt man ihm und läßt die unglückliche Herrin in ihrem einsamen Elend.“

„O nein, Herr Lieutenant, so ist’s nicht gemeint. Drum wollt’ ich ja eben so gern den Posten als Steueraufseher haben, daß ich mich könnte beim Eversburger Steueramt anstellen lassen, und wenn ich darum anhalte, auf dem Waldhofe wohnen zu dürfen, so wird’s gewiß genehmigt, da ein Grenzaufseher gar nicht besser wohnen kann. Dann wird Henriette nicht von ihrer Herrin getrennt, und diese hat’s viel besser, wenn treue und zuverlässige Leute bei

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