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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Jetzt verlassen uns alle Angestellte und umringen den Herrn, der kleinlaut einen fertigen Frack fordert. Wir trauen kaum unseren Ohren! In dieser Zeit verlangt ein Mensch einen neuen Frack! Wie weit entfernt von den Mittelpunkten des Verkehrs muß dieser Unglückliche wohnen, wie weit zurückgeblieben sein in der Lectüre der Zeitungen, wenn er jetzt, wo Louis der ganzen Welt das Fell über die Ohren zu ziehen sucht, ein Luxuskleid, einen „neuen Frack“ verlangt! Die zwanzig Angestellten scheinen derselben Meinung zu sein, die furchtbare Forderung erschüttert, verwirrt sie, und in der Aufregung des Augenblickes schleppen sie nicht allein einen Haufen Fracks herbei, sondern Alles, was ihnen unter die Hände fällt, Paletots, Hosen, Westen, Plaids, Regenröcke, Panamahüte; es sieht aus, als sollte diesem außerordentlichen Manne der ganze unermeßliche Vorrath zu Füßen gelegt werden. Ein Antinous reißt ihm den Rock vom Leibe, ein Anderer wird nur mit Mühe abgehalten, die Frau Gemahlin zu ergreifen und ihr gleichfalls einen Rock anzupassen. Einige halten den Herren vom Lande fest, zwei stopfen ihn gewaltsam in den Frack, denn der gute Mann trägt eine dicke wollene Unterjacke und auf dem Rücken das, was man in wohlwollender Redeweise einen „kleinen Verdruß“ nennt.

„Na, wie sitzt der Rock?“ fragt der Herr vom Lande die beiden Frauenzimmer, „mir kommt er ein bischen knapp und unbequem vor.“

Die verdutzten Frauenzimmer schweigen, aber der Chor der Angestellten ruft unisono: „Knapp? unbequem? dieser Frack?“

Ein Jüngling knöpft ihn vorn zu, zwei Andere ziehen gewaltsam an den Schößen und so zerren sie die Falten über dem „kleinen Verdruß“ glatt, der Herr vom Lande knackt in allen Fugen seines Leibes, aber der Frack sitzt und das Opfer wird unverzüglich vor den Spiegel geschleppt, um sich von der Entwickelung seiner Schönheit zu überzeugen.

Jetzt zieht der Herr die Brieftasche, um zu bezahlen, allein alle Jünglinge schreien wieder:

„Nein, mein Herr, zu solchem Fracke dürfen Sie diese Beinkleider nicht tragen! – was für eine Weste! – fort mit der Cravatte! – Sie müssen noch einen neuen Pariser Hut haben!“

Was sollen wir mehr sagen? der Herr wird um funfzig Thaler erleichtert und von Kopf bis zu Fuß neu bekleidet. Dann führt ihn die Gesellschaft im Triumph zum Laden hinaus und blickt ihm mit unverwandten Blicken nach, während die guten Landleute die alten abgelegten Kleider in der Verwirrung ganz vergessen haben.

Wir sind in dem heutigen Tumult vollständig übersehen worden. Da nähert sich uns ein ernster Jüngling von gemessenen Manieren, der bisher in einem hinteren Zimmer über einem Zeitungsblatte brütend gesessen hat. Er ist der Secretair des Geschäfts und verfaßt die Kleiderproclamationen in den Journalen, die Manifeste an die deutsche Nation. Er tritt mit diplomatischer Feierlichkeit an uns heran und flüstert uns in’s Ohr: „Die Oesterreicher sind wirklich über den Tessin gegangen!“ Dann verstummt er und verschwindet spurlos, wie der betrübte Genius des Friedens.




Vier Jahre in Cayenne.

Es war – erzählt Attibert, der Verfasser der so eben unter dem obigen Titel erschienenen merkwürdigen Broschüre – im Monat December 1854, als ich mit mehreren anderen politischen Verurtheilten den Zellenwagen bestieg, der uns mitten in der Nacht aus dem Gefängniß von Paris nach Toulon brachte.

Zwei Tage und drei Nächte saßen wir dicht aneinander gereiht auf der zur Befriedigung gewisser natürlicher Bedürfnisse gleich mit eingerichteten durchlöcherten Bank, mit dreißig Pfund Ketten an den Beinen und Handschellen.

In diesem Kasten sieht und hört man nichts, als das Rollen und Poltern des Wagens. Man kann keine Bewegung machen. Die Unbeweglichkeit, die drückende Last der Fesseln, unter welcher die Glieder anschwellen, das Schweigen, der Mangel an Luft, die Härte der mit Blech beschlagenen Wände – Alles dies versetzte uns in einen so qualvollen Zustand, daß nur der, welcher, wie wir, ein Opfer desselben gewesen ist, sich eine richtige Vorstellung davon machen kann.

Nach der Ankunft in Toulon brachte man uns in das Fort Lamalgue. Wir waren so erschöpft und an allen Gliedern so steif, daß man uns aus unserem Eisenkäfig herausheben und in unser neues Gefängniß tragen mußte.

Hier, wo wir verhältnißmäßig gut behandelt wurden, blieben wir zwanzig Tage, weil das Schiff, welches uns nach Cayenne bringen sollte, noch nicht segelfertig war. Auch nach Ablauf der zwanzig Tage war dies noch nicht der Fall, und da der Raum in dem Fort anderweit gebraucht ward, so brachte man uns einstweilen nach dem Bagno der Galeerensclaven.

Es war sechs Uhr Morgens. Soldaten escortirten uns in die Boote, denn man kann nur zu Wasser in den Bagno gelangen. Kaum waren wir in die Boote gestiegen, so wurden wir von den am Ufer versammelten Zuschauern unter freundlichen, ermuthigenden Zurufen mit einer ungeheueren Masse Tabakspäckchen und Cigarren überschüttet. Wir dankten durch Blicke und Gebehrden, denn jedes Wort war uns auf’s Strengste verboten, und unmittelbar nach unserer Ankunft im Bagno schien man uns für die von unsern mitleidigen Landsleuten bereitete Freude büßen lassen zu wollen.

Der Director ließ aus unsern Reihen – im Fort Lamalgue waren schon vor uns zwanzig andere Verurtheilte eingetroffen – die fünf zu den schwersten Strafen Verurtheilten vortreten und sagte zu den Soldaten:

„Bringt sie in die Zellen, und wenn sie sich rühren oder mucksen, so schlagt zu. Solche Hunde sind nichts Besseres werth.“

Unter diesen fünf Verurtheilten befand sich auch ein Italiener, Namens Pianori, der Bruder dessen, der auf Ludwig Napoleon geschossen. Er war ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren und hatte, als er die Verhaftung seines Bruders erfuhr, Italien verlassen, um ihn zu rächen. An der Grenze ward er angehalten und ohne weitere Untersuchung zur Deportation nach Cayenne verurtheilt.

Unser Aufenthalt im Bagno war nur ein kurzer. Schon am nächstfolgenden Tage befahl man uns, unsere Kleider auszuziehen, und gab uns die Uniform der Deportirten – Beinkleider von grauer Leinwand, graue Blouse, wollene Mütze und Hemd von Hanfgespinnst.

Es war elf Uhr Morgens, als wir an Bord des Transportschiffes kletterten, welches ironischer Weise den Namen „Fortuna“ führte. Siebenundzwanzig von uns kamen zusammen in ein gemeinschaftliches Behältniß des Zwischendecks, worin aber nur zwölf Hängematten aufgespannt werden konnten. Dieses Behältniß war fünfundzwanzig Fuß lang und zehn Fuß breit. Hier waren diese siebenundzwanzig so dicht zusammengepfercht, daß sie sich kaum zu rühren vermochten. Uebrigens mußten einige zwanzig Tage lang wegen stürmischer Witterung die Luken, welche noch ein wenig Luft und Licht einließen, geschlossen gehalten werden, so daß die Gefangenen mehrmals dem Ersticken nahe waren. Wir Uebrigen kamen in gesonderte Zellen, wo wir uns nicht viel besser befanden.

Und dennoch war damals noch die gute Zeit. Gegenwärtig kommen die nach Cayenne Verurtheilten auf dem Schiffe nicht mehr in gesonderte Behältnisse, weil man diese Transportmethode noch zu mild gefunden hat. Es fehlte uns allerdings an frischer Luft, wir konnten in unseren Zellen nicht sehen, sondern befanden uns in fortwährender und vollständiger Finsterniß, aber Alles dies war weniger qualvoll, als die jetzige Verfahrungsweise. Jetzt bleiben die Verurtheilten auf dem Deck des Schiffes liegen, wo sie mit den Füßen an eiserne Querstangen angeschlossen sind und folglich die größte Beengung, Sturm, Regen, Hitze, Kälte und die stete Gegenwart ihrer Hüter zu ertragen haben.

Unsere Behältnisse befanden sich sämmtlich an dem einen Ende des Zwischendecks. An dem andern Ende war ein Bretverschlag mit einer kleinen Seitenthür. Während der ganzen Dauer der Reise trat, so viel wir bemerken konnten, Niemand in das verschlossene Gemach, zwischen welchem und unseren Behältnissen ein ziemlich großer, freier Raum blieb.

Nach Beendung der Reise sagte einer der Officiere zu uns: „Ihr habt wohl daran gethan, Euch ruhig zu verhalten, denn hinter jenem Bretverschlag steht ein bis an die Mündung mit Kartätschen geladenes Geschütz, und bei der geringsten Widersetzlichkeit wäret Ihr sofort Alle zusammengeschossen worden.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_347.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)