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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Alle zwei Tage durften wir einmal zwei Stunden lang auf’s Deck, um frische Luft zu schöpfen. Die übrige Zeit blieben wir in unseren Zellen liegen. Diese waren so niedrig, daß wir nicht einmal auf unsern Hängematten sitzen konnten, sondern, wie gesagt, liegen bleiben mußten. Die Luft drang nur durch kleine, in die Bretwand gebohrte Löcher herein, und wir bekamen davon so wenig, als die väterliche Regierung Ludwig Napoleons nur wünschen konnte.

Ich hatte das ziemlich seltene Glück, von der Seekrankheit verschont zu bleiben. In der Straße von Gibraltar hatten wir einen ziemlich heftigen Sturm zu bestehen, der auch im atlantischen Ocean noch mehrere Tage fortdauerte, und die meisten von uns waren während der ganzen Ueberfahrt seekrank. Unsere Reise dauerte verhältnißmäßig lange, und erst am neunundvierzigsten Tage hörten wir die Kanonen der Insel Enfant perdu, welche die Flagge unseres Gefängnisses begrüßte. Man ließ uns nun auf’s Deck heraufkommen, und wir sahen in der Ferne einige Spitzen der Schreckensorte, nach welchen wir bestimmt waren.

Die Sonne war eben im Untergehen begriffen. Das in dieser Nähe des Landes mit Sand und Schlamm gefüllte Meer hatte eine gelbe Farbe. Die Stadt Cayenne, der man sich wegen der ungeheuren Schlammmassen mit größern Schiffen nur bis auf zwei und eine halbe geographische Meile nähern kann, erschien uns wie eine Wolke. Die übrigen Inseln boten einen reizenden Anblick. Wir zählten deren drei große. Nach Osten sahen wir einen Theil der Teufelsinsel, die kleine sogenannte Mutterinsel, die Königsinsel, welche dem Festlande am nächsten liegt, und die kleine Insel Saint Joseph. Diese Inseln steigen in schroffen Felsenmassen empor und nur auf der Insel Saint Joseph ist anmuthig grünende Vegetation vorherrschend. Auf der Spitze der Teufelsinsel sahen wir einige Leute hin und her gehen, und neugierig nach unserer Kriegsbrigg ausschauen.

Da wir so lange Zeit in der Nacht des Zwischendecks zugebracht hatten, so wünschten wir lebhaft, recht bald an’s Land gebracht zu werden. Wir wußten nicht, ob man uns auf einer der Inseln in ein Gefängniß oder auf den Ponton „der Castor“, den wir hier vor Anker liegen sahen, bringen würde. Mehr als einer meiner Unglücksgefährten, der jetzt Land und Sonnenschein als eine Erleichterung der unterwegs ausgestandenen Leiden betrachtete, sollte schon binnen wenigen Tagen unter unerhörten Qualen seinen letzten Seufzer aushauchen.

Im Augenblicke unserer Ankunft herrschte das gelbe Fieber nämlich schon seit acht Monaten. Es beginnt in der Regel mit den ersten Tagen der trockenen Jahreszeit und zieht sich oft noch lange in die Regenzeit hinein. Keiner der Matrosen und Seesoldaten durfte an’s Land und auch wir mußten beinahe noch einen Monat auf dem Schiffe bleiben. Benutzen wir diese Zwischenzeit, um ein wenig das Land und das Klima zu schildern.

„Es ist,“ sagte der Moniteur, „eine wahrhaft philanthropische Idee gewesen, welche zur Aufhebung der Bagno’s in Frankreich und zur Errichtung der Strafkolonien in Cayenne geführt hat.“

Weil nämlich die Bagno’s in Frankreich zu gesund befunden wurden, verlegte man sie nach Cayenne. Die Philanthropie, welche Cayenne schuf, ist dieselbe, welche Mazas schuf. Die trockene Guillotine gehört derselben Inspiration an, wie das Zellengefängniß.

Die Küste von Guyana, zu welcher Cayenne gehört, liegt zwischen dem vierten und fünften Breitengrade und folglich ganz nahe am Aequator. Das französische Guyana grenzt nördlich an den Ocean, östlich an den Fluß Oyapok, südlich an das brasilianische Guyana und westlich an den Fluß Maroni, der es von dem holländischen Guyana trennt. Reich an allen Erzeugnissen der Wendekreise, zählt diese Colonie, die dem Flächeninhalte nach halb so groß ist, wie Frankreich, doch nur zehn- bis zwölftausend Einwohner. Der Handel ist hier sehr schwach und die Cultur des Bodens und der Gewerbfleiß sind hier erst im Entstehen begriffen.

Woher rührt diese vollständige Vernachlässigung eines so fruchtbaren Landes in so dichter Nähe der Antillen? Warum wenden sich alle Einwanderer lieber nach Brasilien oder den Vereinigten Staaten. Worin liegt der Grund des Verfalles sämmtlicher Gebäude, die in Cayenne nicht dem Staate angehören? Das Leben kostet hier fast gar nichts, und dennoch will Niemand hier leben. Der Grund ist, weil Bonaparte, indem er dieses fruchtbare Land zu einem fluchbeladenen macht, indem er es in eine Plantage von Galgen, in eine Pflanzschule von Gensd’armen, in eine Cloake von Henkersknechten verwandelt, die Colonisten hinwegscheucht, welche es in einen wohnlichen und gewinnbringenden Aufenthalt umgestalten könnten.

Werfen wir einen flüchtigen Blick auf das Land.

Bis zur Insel Cayenne ziehen sich vom Süden unermeßliche Wälder herab, in welche noch niemals die lichtende Axt gedrungen ist und die von Sümpfen und schlammigen Strichen gleich denen an den Küsten durchschnitten sind. Diese Wälder ziehen sich von einer Gebirgskette herab, auf welcher zahlreiche Flüsse entspringen, deren Wasser kein Bett hat, eine Menge vegetabilische Trümmer mit fortführt, mit Beginn der Regenzeit austritt und während der trockenen Jahreszeit stehende Tümpel bildet, aus welchen pestilenzialische Dünste emporsteigen. Nach Osten zieht sich zwischen Cayenne und dem Amazonenstrome ein Gebiet hin, dessen Name ein ziemlich charakteristischer ist, es heißt nämlich das „ersäufte“. Nach Westen sieht man dieselben qualmenden, dampfenden Moräste. Folglich: Sümpfe und Wälder im Süden, Sümpfe im Osten und Westen, zahlreiche Flüsse ohne Bett und nach Norden ein seichtes Meer mit schlammigem Boden – das ist die unbestreitbare und unbestrittene Geographie dieser von der Philanthropie errichteten Colonie.

Was das Klima betrifft, so kann man sich ungefähr einen Begriff davon machen, wenn ich sage, daß selbst in der kühlen Jahreszeit das Thermometer im Schatten noch mindestens 55° F. (10° R.) zeigt. Man denke sich erst die Wirkung der Sonne, wenn ihre Strahlen senkrecht auf diesen Morast- und Schlammpfuhlen brüten!

Das Jahr wird hier in vier Jahreszeiten getheilt, nämlich zwei Winter und zwei Sommer. Diese beiden Sommer beginnen der eine am 21. März, der andere am 21. September. Die Winter sind die Regenzeiten. Der Regen fällt dann unaufhörlich und in Strömen. Während dieser sogenannten Winter ist die Hitze noch immer sehr groß und die Sonne, wenn sie einmal die Wolken durchdringt, gefährlicher als je. Wenn die trockne Jahreszeit herrscht, verdunsten die von den Flüssen in den Niederungen zurückgelassenen Wasser. Giftige Miasmen – mit andern Worten das gelbe Fieber, oder mit noch anderen Worten, der Tod – erfüllen die Atmosphäre, welche ohne Strömung und durch die Wälder gehemmt, sich nicht reinigen kann. Alles gährt. Alles lebt und stirbt, vegetirt und verwest mit einer Schnelligkeit und in einem Verhältnisse, welches uns unbegreiflich erscheint. In der Luft wimmeln die Miasmen und Insecten in förmlichen Wolken; in dem Wasser, auf der Erde alle Ungeheuer des heißen Schlammes, alle lebendig gewordenen Gifte – Schlangen, Krokodile, Scorpione, ungeheure Kröten, riesige und gefährliche Fledermäuse. Ringsum schwärmen Millionen von kaum sichtbaren giftigen Insecten, die fliegenden Läuse, die Sandflöhe, welche sich unter Fuß- und Fingernägel und in die Schweißlöcher einbohren und ihre Eier darein legen, die amerikanischen Mücken und die Muskitos, deren Saugrüssel durch die beste wollene Decke dringen, und gegen welche das Muskitonetz keinen Schutz gewährt.

Das Meer und die Flüsse sind mit Haifischen, Kaimans, Muränen und einer Menge giftiger Thiere bevölkert. Sich in diesen Gewässern zu baden, ist rein unmöglich.

Die Nacht folgt auf den Tag ohne Dämmerung in zehn Minuten. Auf den sengend heißen Sonnenschein folgt eine sehr kalte Nacht. Athmen heißt sich vergiften; zu gewissen Stunden thätig sein, heißt sein Leben preisgeben; ausruhen heißt allerdings weniger leiden, aber immer noch leiden. Dies ist das Klima. Ist es der Aufmerksamkeit einer väterlichen philanthropischen Regierung nicht vollkommen würdig?

Man war es endlich müde, uns an Bord der Fortuna zu bewachen, und schickte uns auf den Ponton oder das Gefängnißschiff „der Castor“, der auf der Rhede vor Anker lag. Es war ein altes, entmastetes, halb verfaultes Schiff, welches von einigen Marinesoldaten bewacht ward. Hier mußten wir zuerst das Deck und dann die für uns bestimmten Zellen säubern. In den ersten, die uns zu diesem Zwecke geöffnet wurden, war die Luft so verpestet, daß wir es nicht länger, als eine halbe Stunde nach einander, darin aushalten konnten, und dann allemal wieder einige Zeit auf’s Deck hinaufgehen mußten.

(Fortsetzung folgt.)

Die „Originalberichte vom Kriegsschauplatze“ beginnen in nächster Nummer mit „Briefen aus Turin und Alessandria“.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_348.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2023)