Seite:Die Gartenlaube (1859) 354.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Fontaine ziert, welche ununterbrochen ihre starke, silberhelle Wassergarbe bis zur Höhe des zweiten Stockes der benachbarten Häuser schleudert, um sie als schneeigen Staub in ein weites Wasserbassin herabfallen zu lassen, das den ganzen Tag von Volksgruppen umgeben wird, die sich mit den klaren, kühlen Wellen Gesicht und Zunge netzen, bietet der Sitz an einem Marmortische hier einen immer wechselnden Anblick. Unter den Arcaden drängt sich hier Alles vorüber, während auf der Straße große, zweirädrige, schwere Karren dahinrollen, welche mit Maulthieren, drei bis vier voreinander, bespannt, deren Schellen ein fortwährendes Klingeln unterhalten, große, festgeschnürte Ballen Heu, Kisten aller Formen mit dem verschiedenartigsten Inhalte, auch Arzneistoffe, Säcke mit Proviant, über den Mont-Cenis kommend, hier vorbei nach Alessandria führen. Auf einem breiten Bande, welches die in blaue Blousen gekleideten Fuhrleute um den Arm tragen, ebenso wie auf dem Vordertheil ihrer Fahrzeuge, lesen wir in großen deutlichen Buchstaben die Worte: „Transport auxiliaire de l’armée française.“ Solche Karrenzüge folgen sich unablässig den ganzen Tag über, ziehen in langen Reihen mit unaufhörlichem Gepimpel, dem Geschrei der Treiber und dem Knarren der großen, breiten Räder auf der Landstraße herbei, und wenden sich hier vor unsern Augen in rechtem Winkel der Straße nach Alessandria zu.

Plötzlich allgemeine Bewegung, man hört einen Gesang aus kräftigen, schon etwas heiseren Kehlen sich nähern. Ueber den Platz, ein grün-roth-weißes Fähnchen an der Spitze, zieht ein kleines Häufchen Freiwilliger, eben angekommen, ihrem Enthusiasmus durch Singen Luft machend, ihrem Quartiere zu. Hier und da werden sie mit Viva l’Italia empfangen. Man zeigt geringe Theilnahme, das Schauspiel ist schon veraltet. Vor Ausbruch des Krieges und der Revolution in Toscana sollen täglich Hunderte angekommen sein; jetzt treten nur noch kleine Gruppen von 12–18 Mann auf. Von den 20,000 Mann, die sich so gesammelt, bemerkte man in den Straßen nichts. Sie sind schon zu ihren Corps gestoßen. Nur ein Savoyarde, in dunklem, an den Hüften vom Gurt des Hirschfängers zusammengeschnürten Rock, weiten, unter den Knieen zusammengezogenen Beinkleidern, grauen Gamaschen, mit rothen, vollen Epauletten und schwarzem Carbonarihut, bewaffnet mit einer Doppelflinte, ein kräftig gewachsener Mann, gefiel sich, einige Tage seine schmucke Erscheinung in Turin zu zeigen.

Am Morgen des 10. Mai, früh 6 Uhr, verließ unser Zug, trotz ungeheurem Andrang, pünktlich den Bahnhof, dessen verschiedene Gleise mit Wagen aller Art überfüllt waren, die eine große Anzahl Pferde, Maulesel und Rinder für die Armee enthielten. Dazwischen waren Bauhölzer, Räder und andere Materialien in großen Haufen zu baldiger Weiterbeförderung aufgeschichtet. Die sonst in Italien sehr aufhaltende, langsame Expedition auf den Bahnhöfen wurde abgekürzt, und so brachten zwei mächtige Locomotiven den großen Zug in 2½ Stunden nach Alessandria. Hier kündigte sich die Concentration der Truppen um so stärker an, je mehr wir uns der Festung näherten. Aus allen Gehöften leuchteten die rothen Hosen der französischen Infanterie. Auf den mit Stroh belegten Steinböden der Säulenhallen der Landhäuser lagen Tornister, Feldkessel, Stiefeln, Gewehre und andere Ausrüstungsstücke umher. In einigen Dörfern faßte die Mannschaft eben ihr Commißbrod, Weizenbrod von schöner, weißer, lockerer Krume, dessen Rinde, heller als bei uns in Deutschland, ihm das Aussehen gibt, als sei es nicht gut ausgebacken. Unweit der Festung weideten Infanteristen mit Ruthen in der Hand eine große Rinderheerde. In Alessandria nahm eine großartige Halle, deren zierliche eiserne Bogen mit leichtem, hellem Glasdach überwölbt sind, den langen Zug auf.

Dem Besuche der Stadt ward kein Hinderniß in den Weg gelegt; es schien sich Niemand um den Eintritt Fremder zu kümmern. Zwischen Stadt und Bahnhof dehnt sich eine weite Fläche, die zu beiden Seiten der Straße von Artillerie und Train zu Lagerplätzen benutzt wurde. Hier waren die Feldschmieden aufgestellt, in reger Thätigkeit, die Beschädigungen, welche der Marsch dem Eisenzeug der Thiere und dem der Fuhrwerke zugefügt, rasch wieder auszubessern. Die Pferde lagerten auf dem Boden, der mit wenig Stroh bedeckt war, ohne Dachung und Schutz gegen Regen und Sonnengluth, während die Mannschaft in der Stadt untergebracht zu sein schien. Diese war mit Truppen und Armeematerial überfüllt. Unweit des Bahnhofes hatte sich eine Abtheilung Artillerie in einer Kirche gelagert; die mit etwas Stroh überdeckten Marmorplatten gaben einen herrlichen Schlafsaal ab. „L’eglise est libre pour tout le monde,“ rief man uns zu, so traten wir ein. Man eilte, das Lederzeug zu einer Inspection in gehörigen Stand zu setzen, zu reinigen, zu schwärzen, glänzend zu wichsen. Alles war geschäftig, während nur hier und da ein spät von der Wache Gekommener sich schläfrig die Augen rieb und sich auf dem Strohlager hin und her drehte.

Am Markte war in einem noch unvollendeten Hause ohne Fenster ein Bataillon Schützen einquartiert. Man ließ uns ungehindert eintreten. Im Hofe, der in Folge anhaltenden Regens einem Sumpfe glich, brodelte über lebhaftem Feuer das Wasser in den Feldkesseln, man bereitete eben die Suppe, während im Thorwege ein gefälliger Bursche unter allerhand munteren Bemerkungen seinen Cameraden die Bärte abnahm. In einer engen Gasse nebenan, die mit Bretern überlegt und ebenso überdacht worden war, hatte man Stallung für sardinische Lanciers hergerichtet. Ebenso war in vielen andern kleinen Straßen verfahren. Ueberall lebhafte Thätigkeit. Durch die Festungsthore ziehen Maulthiere, schwer beladen mit Holzbündeln, ein, die man von den rings um die Werke niedergehauenen Wäldern gewinnt, andere führen Proviant hinaus in die verschiedenen Standquartiere der Truppen. Ein bedeckter grauer Wagen von schwerfälligem Bau und traurigem Aussehen kommt langsam herbei; er trägt die Aufschrift: „Ambulance“. Acht bis zehn bleiche Gesichter, in Uniformen verschiedener sardinischer Regimenter, erregen durch ihren leidenden Ausdruck unsere Theilnahme. Es sind Fieberkranke aus den überschwemmten Reisniederungen, deren giftige Dünste der Armee gefährlicher werden, als die Kugeln ihrer Feinde. Aus einem Hofe tönt lautes Gespräch; wir treten in die Mitte einer Gruppe Franzosen, die ihrem Salat eben die dritte Flasche Essig zufügen, ohne ein saures Gemisch zu erhalten. Man ladet uns ein; wir kosten. In der That, der Essig ist fürchterlich gewässert. Man macht aber kein saures Gesicht dabei, sondern verzehrt unter Witzen das schlechte Kraut, um rasch noch zur Parade sich fertig zu machen, da eben die Trommel zum Aufbruch mahnt.

Jetzt stoßen wir wieder auf eine geräumige Kirche, die Jägern von Vincennes zur Caserne angewiesen ist. Während ich den Vorbereitungen folge, welche eine Marketenderin in der glanzlosen Uniform der Vincennesjäger trifft, um bei dem bevorstehenden Ausrücken in’s Feld ihren Leuten die nöthigen Getränke und Fleischvorräthe bieten zu können, war mein Begleiter, ein Schweizer, in das Kirchenschiff eingetreten, als ich ihn plötzlich in der Mitte von Soldaten unter lebhaftem Reden wieder erscheinen sehe. Ein Sergeant, in übertriebenem Diensteifer die neugierigen Fragen meines Genfers für verfänglich haltend, beordert einen Corporal mit vier Mann, ihn und unschuldigerweise auch mich zum Platzcommandanten zu führen. Die vier Mann Ehrenwache wußte nun zwar unser Corporal, dem dieser Auftrag sichtlich unangenehm war, zu beseitigen, allein durch Gassen und Gäßchen kreuz und quer, in denen sich unser Führer selbst nicht zurechtfand, gelangten wir endlich zur Commandantur, in der eben die höheren Officiere versammelt waren. Nach wenigen Worten entließ man uns höflich, ohne auch nur Legitimation unserer Personen zu verlangen, die meinem Begleiter übrigens sehr unbequem geworden wäre, da er weder Paß, noch sonst einen Nachweis hätte beibringen können. Der Verdacht des Vorhandenseins von Kundschaftern war durch mehrere verdächtige Erscheinungen im Festungsrayon rege geworden. Ja, man hatte bereits in der Nähe einen überführten Spion kriegsrechtlich erschossen, wie uns unser Führer, dem es lieb war, uns ungehindert entlassen zu können, mit bedenklicher Miene mittheilte.

Nachmittags fanden wir vor dem Bahnhofsgebäude, dessen Restauration lebhaft besucht war, einen zur Beobachtung des kriegerischen Treibens trefflich geeigneten Platz. Truppenzüge langen fortwährend an, namentlich von Susa und Turin her, während andere abgehen. Eben trifft ein langer Wagenzug mit einigen Schwadronen Chasseurs d’Afrique ein. Rasch werden die Pferde aus den Wagen gezogen, Sattelzeug, Decken, Mäntel mit einigen Bürstenstrichen gereinigt, und schon ertönt das Signal zum Aufsitzen. Die Officiere treiben die Lässigen an. Schnell ist Alles im Sattel. Die kleinen, zierlichen Pferde, munter, festen Boden unter den Hufen zu haben, wiehern laut; die gewandten Reiter nehmen rasch ihre Ordnung ein: das starke Trompeterchor, auf Schimmeln reitend, spielt unter Paukenbegleitung einen kräftigen Marsch auf, und schon verschwindet die Spitze der Reiter in den engen Straßen, während die letzten langsam durch die Lindenallee traben. Dasselbe Schauspiel wiederholt

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_354.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2023)