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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

sich nach einer Stunde. Fußvolk kommt an von Genua, darunter einige Zuaven, die ersten, die wir bemerken. Es sind die Quartiermeister, welche ihrem Corps vorangehen.

Eben wird ein Transport Maulthiere ausgeladen und in Eile von dem Bahnhofe entfernt, um dem Personenzuge von Turin Platz zu machen, den man eben herandonnern hört. Er bringt wenig Reisende, aber viele Soldaten aller Truppengattungen. – Um uns sammelt sich ein Bataillon sardinisches Fußvolk in langen grauen Mänteln und Czako’s. Auch eine kleine Abtheilung Bersaglieri findet sich ein, den Hut mit schwarzem Federbusche keck auf der Seite, mit dunkler Uniform, ein hölzernes Tönnchen als Trinkgeschirr an der Seite, die kräftigste Truppe aus Piemont, meist aus Savoyarden bestehend. Alle diese gehen nach Turin ab. Man erwartet seit einer Stunde den Zug von Genua. Endlich braust der unabsehbare Wagenzug heran, Helme und Gewehre blitzen aus allen Fenstern desselben. Bald ist der Zug leer. Es sind französische Truppen, für Alessandria bestimmt. Hier nehmen die Sardinier Abschied. Manches Lebewohl erschallt, Händedruck, thränende Blicke, ein altes Mütterchen umarmt noch einmal ihren Sohn, ein bartloses Bürschchen, da zwingt der schrille Pfiff zum Einsteigen. Fort reißt die Locomotive die Krieger. Die Franzosen sind munter ausgestiegen, fröhlich, ihre Bestimmung erreicht zu haben. Von Natur lebhafter, sieht man aus jedem Gesichte unbesorgte Heiterkeit, lustige Scherze erklingen von vielen Lippen. Da tönt auch unser Abschiedssignal. Wir sagen der Festung Lebewohl!

Es war spät geworden. Wir erreichten den Eingang in die Schluchten der Scrivia mit Anbruch der Nacht. Hier war ein ganzes Armeecorps, auch viele sardinische Artillerie postirt, vielfach unter Zelten campirend. Mehrere Bataillone Zuaven hatten Lager aufgeschlagen in einem weiten Thale, von dem kleinen Flusse Scrivia durchflossen, von hohen Bergen umgeben, deren pittoreske Formen, durch Klöster und Kirchen gekrönt und von der Abendsonne beleuchtet, das malerische Schauspiel einfassen. Die Officiere und Soldaten, Spazierstöcke in der Hand, ließen es sich in dem schönen Lande wohl sein. Jede Abtheilung der Zuaven wurde von den Passagieren des Zuges mit einem donnernden „Viva l’Italia!“ und „Vive la France!“ begrüßt, bis wir, unter dem ersten großen Tunnel der Schlucht angelangt, die Lager unseren Blicken entschwinden sahen. Spät kamen wir in Genua an und fanden endlich nach langem Umherirren in den menschenleeren Straßen noch ein Kämmerchen im Hotel national. Ueber den Tag des Eintreffens des Kaisers herrschte noch immer Ungewißheit. Am Morgen indeß ersah man aus verschiedenen Ausrufen der städtischen Behörden, welche ihre Bürger, die Schiffscapitaine, die Nationalgarde zu würdigem Empfange des kaiserlichen Gastes aufforderte, und aus den getroffenen Vorbereitungen, daß man denselben schon am nächsten Tage bestimmt erwartete. Wirklich wurde seine Abreise von Marseille durch eine Abends veröffentlichte Depesche bestätigt.

Um zunächst einen allgemeinen Blick auf die Stadt und den Hafen zu erlangen, wurde die Höhe der Kirche S. Maria di Carignano erstiegen und die benachbarten Festungswälle zu einem Spaziergange benutzt. Hier erblickte man nach Norden tief unter sich in dem wasserleeren Flußbett eines kleinen Gebirgswassers, dessen breites, mit Quadern gepflastertes Bett anzeigt, daß es zuweilen schnell gefährliche Macht gewinnt, zwischen langen Zeltreihen und allerlei Fuhrwerk das muntere Leben eines großen Lagers. In das ärmliche Wasser wurden die Pferde schwadronenweise hinabgeführt. Jetzt biegt unser Weg rasch nach Süden, und das Meer liegt vor uns. Weit hinaus über die blaue Wasserfläche schweift der Blick von dieser Höhe, fernhin sehen wir die felsige Küste nach Morgen hin sich verlieren, die oft schroff in’s Meer abfallende Riviera di Levante, während nach Abend hin die Küste in weicheren Formen und in abgerundeten Umrissen sich allmählich nach dem Meere zu abflacht und ein reiches Land, mit Garten und Landhäusern übersäet, überblicken läßt. Nah und fern wird das Meer von Fahrzeugen aller Art durchzogen, da fesselt unsere Aufmerksamkeit ein großes Kriegsschiff, eine Fregatte mit zwei Reihen Geschützen, das sich ohne Segel mit ziemlicher Schnellichkeit dem Hafen nähert. Nur zuweilen bemerkt man eine rasch aufsteigende und rasch verschwindende Dampfwolke aus seinem Schlot. Es ist ein Schraubendampfer. Die Officiere eines Bataillons französischer Linieninfanterie, das auf dieser Höhe garnisonirt, sprechen sich über die Schwerfälligkeit der Festungsgeschütze einem so leicht beweglichen Kriegsdampfer gegenüber aus. An manchen Wachtposten von Freiwilligen der Nationalgarde, jungen Genuesern aus guten Familien, die eine mit rother Schnure besetzte Mütze und eine schmale grün-roth-weiße Schleife am Arme tragen, steigen wir, immer das Meer zur Seite und vor uns, an den mächtigen Festungsmauern zum Hafen nieder. Das Kriegsschiff läuft eben ein. – Wir treten durch das Hafenthor und gehen an den Quai’s entlang, an denen jetzt Hunderte von Transportschiffen liegen, im Ein- und Ausladen begriffen. Wir sind im Freihafen, der hauptsächlich Kauffahrern zum Gebrauche dient, während gegenüber im Kriegshafen die Ausladung der eigentlichen Kriegsbedürfnisse und Truppen stattfindet. Dort hat auch der eben eingelaufene Kriegsdampfer Anker geworfen und beginnt bereits die Ausschiffung.

Von der Wanderung und der Gluth der von den Felswänden zurückprallenden Sonnenstrahlen ermüdet, suchten wir unser Hotel wieder auf, dessen Terrasse Ruhe, Schatten und den Ueberblick über Alles gewährt, was der Dampf zu Wasser und zu Lande der Stadt zuführt. Hinter uns das mit schlanken Thürmen, täuschend gemalten Ritterstatuen und gothischen Bogen gezierte schloßähnliche Hotel, vor uns den Platz Aqua verde und den Straßenzug, der von dem Hafen und der Vorstadt St. Pierre d’Arena und der großen Heerstraße von Nizza und Turin in’s Innere der Stadt führt, seitwärts die große Freitreppe, auf welcher man zu den höheren Stadttheilen und den mächtigen Citadellen emporsteigt, von deren riesigen Steinwällen die Bajonnete der auf- und abschreitenden Wachen herabblinken, gegenüber die großartigen Bogen des im Bau begriffenen Bahnhofsgebäudes, davor in der Mitte des Platzes auf Felsquadern ruhend der mit Schiffsschnäbeln gezierte Sockel des Monumentes, dessen abgestumpfte Säule von weißem Marmor die Statue des Columbus noch immer vermissen läßt, für die sie seit Jahren bestimmt ist, darüber am Bergeshange terrassenförmig der Park des Palastes Doria, mit der aus grüner Baumgruppe hervorleuchtenden riesigen Herkulesstatue, und über Allem thronend neben den Festungsmauern, welche auf den Höhen hinlaufen, die stattlichen Umrisse eines doppelt gethürmten Klosters, fällt unser Blick unter uns auf eine geschäftige Menge, die geräuschvoll aus der Stadt heraus- oder in dieselbe zurückströmt.

Der Platz, auf dem gestern noch junge Genueser von guter Familie als Freiwillige ihre ersten militairischen Uebungen unter Leitung eines bärtigen, strengen Unterofficiers vornahmen, wobei sie ihre Glanzstiefelchen bei Schwenkungen durch feuchtes Terrain geschickt zu wahren suchten, ist heute zum Marktplätze für den Verkauf von Maulthieren und Pferden umgewandelt, auf dem der Verkehr überaus lebhaft ist. Zögernd bringen die Landbewohner ihre Thiere zum Verkauf, werden dreister, wenn sie die blanken Zwanzigfrankenstücke sehen, welche ihre Bekannten von den Franzosen lösten, und bieten entschlossen ihre Waare an. Die nicht kräftig genug aussehenden Thiere werden von Officieren mit Kennerblick gemustert und der Preis ohne weitere Prüfung geboten. Man versteht sich nicht. Dollmetscher sind bei der Hand, ihre Dienste anbietend. Unnöthig. Im Weinladen unter uns wird rasch Verständigung erzielt und der Verkäufer verläßt mit fröhlichem Gesicht, die Anweisung zur Auszahlung des Preises in der Hand, den Markt. Dort kauft ein Officier für eigenen Bedarf; er hat weniger Hebung und ist vorsichtiger in der Wahl. Er läßt das Thier von einem Soldaten besteigen; das Langohr, gewöhnt, italienisch angesprochen und bei seinem Namen gerufen zu werden, wird störrisch, aber der Chasseur versteht die Sache, mit gewandtem Sprunge sitzt er dem widerspenstigen Thiere auf dem Rücken, alle Capriolen helfen nichts mehr, es muß vorwärts, wer sich nicht zu retten weiß, wird umgeworfen, und im Trabe geht es in die Stadt. Hier hat der Verkäufer keine Mühe mit dem Eincassiren, der Preis rollt in klingender Münze in seine Hand. So ist es seit dem frühesten Morgen gegangen. Tausende von Maulthieren und einige Pferde wurden verkauft. Der Markt wird leer.

Neben uns unter blühenden Sträuchern hat ein Officier sein Bureau aufgeschlagen und fertigt eilig einen Rapport ab, daneben stellt auf langer Tafel ein Zahlmeister dichte Reihen blanker Goldstücke auf. Trommelwirbel ertönt, er nähert sich, um den Bahnhof schwenkt, Officiere zu Pferde voran, eine Colonne Gardezuaven, so eben von dem eingelaufenen Kriegsschiffe gelandet; ihre langen Hirschfänger auf den Gewehren, schwer bepackt, Tornister auf dem Rücken, marschiren sie in strammer Haltung ein, sie tragen weite, graue, orientalische Beinkleider, vom Knie bis zum Knöchel gelbe Ledergamaschen, an die sich weiße leinene anschließen, welche die Schuhe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_355.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2023)