Seite:Die Gartenlaube (1859) 356.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

bedecken, dunkle, mit breiten gelben Schnüren besetzte Jacken und weiße Turbane. Von den großen Tornistern hängen graue Leinendecken zusammengerollt auf beiden Seiten herab, daneben der lange Stab und die hölzernen Pflöcke zur Befestigung des Zeltes. Ehrenzeichen glänzen an der Brust der Meisten, sie tragen die Krimmedaille; zwei und drei Medaillen und Orden bei demselben Manne ist keine Seltenheit, ein Sergeant trägt fünf Ehrenzeichen. Ihnen auf dem Fuße folgt die reitende Gardeartillerie, gleichfalls eben erst angekommen; die Pferde schreiten kräftig aus; die Munitionswagen sind mit sechs, die Geschütze nur mit vier Pferden bespannt. Kaum ist das Donnern der schweren Stücke auf den Straßen verhallt, so zieht in entgegengesetzter Richtung eine lange Reihe dicht besetzter Omnibusse an uns vorüber, die, von den einrückenden Truppen aufgehalten, nun eilen, ihre Passagiere in die Vorstädte zu vertheilen.

In der Morgenkühle des bei uns wegen seiner Kälte gefürchteten Pancratius (12. Mai) wandern wir durch den schönsten Spaziergang der Stadt, die Aqua sola, hinaus in die Nähe des Leuchtthurmes. Da plötzlich erschallt Trommelwirbel, Bärenmützen werden hoch über der Menge sichtbar. In Parademarsch rücken die Grenadiere der Kaisergarde in die Stadt, um bei Ankunft des Kaisers ihre Ehrenposten einzunehmen. Tüchtige Gestalten mit vollen Bärten und stolzer Haltung, aber wenig Decorationen, so marschiren zwei Bataillone, eine Staubwolke aufregend, an uns vorüber, von bewundernden Blicken der Italiener gefolgt, während die alten, kriegsergrauten Zuaven sie von der Seite ansehen und unverständliche Worte in den Bart murmeln. Vor dem Andrange weichen wir nach dem Hafendamme aus, der hinter dem Palaste Doria wegführt, von dessen Balconen und Fenstern lange, schwere, rohseidene Tücher herabflattern. Jetzt haben wir den Fuß des Leuchtthurmes erreicht, unter uns legen eben zwei breite, flache Fahrzeuge an, auf denen Reihen von Pferden aus den großen Transportdampfern an’s Land gebracht werden. Mit unsicherem Tritt klettern die Thiere über die Landungsbrücke und wiehern munter, sobald sie festen Boden unter den Hufen fühlen. Daneben liegen aufgeschichtet in großen Haufen eiserne Bettgestelle, zusammengeschlagen; vermuthlich für Lazarethe bestimmt, sind sie zum Schutze gegen die Witterung mit rothem Firniß überzogen. Auf der Spitze des Haufens thronen einige Sättel. Räder, Karren, Pferdezeug aller Art, Schaufeln und Hacken sind in gleicher Weise hier und da aufgestapelt. Das Kriegsschiff, welches wir gestern einlaufen sahen, suchen wir im Hafen vergeblich. Es hat die Suite des Kaisers und die Zuaven der Garde gebracht und ist bereits wieder abgedampft. – Die Böschungen der Hafendämme sind mit Zuschauern dicht besetzt. Alle Bewegungen im Hafen werden wohl beachtet, Ungewohntes mit lautem Geschrei allen Umstehenden angezeigt.

Wir schreiten durch das Thor, um aus dem Bereiche der Menge zu kommen. Ein weiter Ueberblick über das Meer eröffnet sich uns auch hier. Eine Flotille von vier Dampfern, der noch andere in größerer Entfernung folgen, naht rasch. Hier befindet sich der Kaiser. Das erste Schiff, nicht zu groß, hat nur wenig Flaggen aufgezogen, während die beiden folgenden Dampfer mit Wimpeln überdeckt sind; die meisten Stimmen sprachen sich dafür aus, daß das zweite Schiff den Kaiser trage. Als aber das erste Fahrzeug den Eingang des mit einer Menge bunter Kähne belebten Hafens und die Linie zwischen beiden in das Meer vorspringenden Hafendämmen erreicht hatte, löste sich eine schwere Rauchwolke von dem Quai des alten Molo los, sich allmählich über die kräuselnden Wellen der Brandung wälzend, und weithin dröhnend hallte der erste Schuß von den Bergen wieder; Masten und Raaen der Kriegsschiffe, von denen Flaggen aller Farben überall lustig im Winde flatterten, füllten sich augenblicklich mit Matrosen in weißen Festanzügen, die in langen Reihen sich auf den Segelstangen aufstellten; von allen Thürmen begann das Geläute der Glocken, und Schuß um Schuß von zwei Hafenbatterieen, denen sich später noch ein englisches Kriegsschiff zugesellte, rief einen ununterbrochenen Donner wach, der sich in den weiten Gebirgsthälern rollend verlor. Unterdeß hatte auch das zweite Fahrzeug Anker geworfen, welches der Reine Hortense, auf der der Kaiser die Ueberfahrt gemacht, von der Stadt aus mit der Suite des Kaisers und den ersten diplomatischen und städtischen Behörden zur Begrüßung entgegengefahren war. Von der Ausschiffung konnte man wegen der Anhäufung von Schiffen, Booten und Transportfahrzeugen im Hafen nichts unterscheiden.

Es begannen große Tropfen zu fallen, und man bemerkte nun erst, daß schwere, dunkle Gewitterwolken von den Apenninen herab über die Stadt gezogen waren. Alles eilte zurück. In den Straßen bildeten Gardezuaven und Gardegrenadiere auf der einen, Nationalgarde auf der anderen Seite Spalier, verließen aber eben ihre Posten, da der Kaiser schon vorübergefahren war. Unter Hunderten von blau-roth-weißen und grün-roth-weißen Fahnen, die aus den oberen Fenstern der Häuser quer über die Straße gezogen waren, und fast das Pflaster berührten, hindurch riß uns der Strom der Menge glücklicher Weise bis zur Via nuova, wo wir noch im Café de la Concordia Platz fanden. Bald füllten sich die engen Räume mit Officieren aller Waffengattungen, zwischen denen nur hier und da eine muthige Genueserin mit ihrem Cavaliere sichtbar wurde. Unter Orangenbäumen, deren Zweige, von der Last ihrer reifen Früchte gebogen, köstlichen Duft verbreiteten; beim Geplätscher einer Fontaine, inmitten einer Menge der prächtigsten Uniformen, der Vertreter der ganzen Armee, machte sich das Gefühl geltend, daß man im Beginne der bedeutungsvollsten Ereignisse für die Geschichte Europa’s stehe und daß dieser Tag der wichtigste und glänzendste Genua’s seit Jahrhunderten sei.

Diese kleine zwischen Häusern eingeschlossene Terrasse in der Mitte der Stadt bot der interessantesten Scenen mancherlei. Hier trafen sonnengebräunte Männer, die das Geschick nach Beendigung des Krimfeldzuges nach Nord und Süd auseinander gerissen, zum ersten Male wieder zusammen. Manch herzliches Willkommen, manche leidenschaftliche Wiedererkennungsscene fand hier statt. Gemeinsam Erduldetes, gemeinsame Waffenthaten wurden in Erinnerung gebracht, manchem dahingeschiedenen braven Waffenbruder ein stilles Andenken geweiht. Fast Aller Brust zierten Ehrenzeichen. Die jungen Officiere der Gardecavallerie, in prächtiger Uniform, dunkel mit Goldtressen, mit intelligenten Gesichtern, aber ohne den Ausdruck ertragener Kriegslasten, saßen abseits; sie hatten unter den kriegsergrauten Cameraden noch wenig Freunde. – Soldaten kamen, um hier Meldung zu machen und Befehle zu erhalten. Bei dieser Gelegenheit sah ich auch die ersten Turcos, die sich malerisch und sehr en negligé hingelagert hatten und ihr Abendbrod bereiteten. Ich sende Ihnen für die Gartenlaube eine photographische Abbildung, die sehr getreu ist. Von Oberofficieren wurden Dispositionen für ihre Corps ertheilt. Hier wurden Briefe abgegeben für Officiere, die man nicht finden konnte; hier suchten sich Bekannte, nachdem sie nach dem Marsche oder der Ausschiffung ihr Quartier bezogen, um hier den Abend und die Illumination zu erwarten. Das Gewitter gegen Mittag hatte nach wenig Tropfen wieder aufgehört, jetzt aber, gegen Abend, begann es stärker zu regnen und drohete die Illumination zu vereiteln, als sich die Wolken wieder zertheilten. Der Regen hatte die schwüle Luft abgekühlt und den lästigen Staub gelöscht. In wenigen Minuten füllten sich die leergewordenen Straßen wieder mit Menschen. Die bunten Lampen und große Wachsfackeln wurden nun allenthalben an den Façaden der Häuser angezündet, und Gasröhren strahlten an Balconen und Portalen helle Gasflammen in vielgestaltigen Formen aus, unter denen überall der Namenszug Napoleons vorwaltete. Die flatternden Fahnen, von Tausenden von Flammen beleuchtet, machten einen großartigen Eindruck. Transparente waren außer den von der Stadt selbst besorgten nicht sichtbar. Das Gedränge erreichte namentlich am Theaterplatze, wo französische Gensd’armerie zu Pferde Raum für den Wagen des Kaisers schaffen sollte, einen gefährlichen Grad. Doch verhielt sich die Menge ruhig, auch beim Vorüberfahren des Kaisers, dem nur seine Franzosen zujubelten. Von großem Enthusiasmus für den Civilisations-Kaiser seitens der Genueser habe ich nichts bemerkt. Die feenhafte Beleuchtung von Kirchen und Palästen, der Wiederschein aller dieser Lichter aus der gemischten bunten Menge, aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt. Alles bot einen zauberhaften Anblick. Als aber gegen neun Uhr wiederum dichter, feiner Nebel niederfiel, und mein im Gedränge verlorener Gefährte mich wiedergefunden, eilten wir, von dem Lärmen und dem Umhertreiben des Tages ermattet, im Hotel national Ruhe zu finden.



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_356.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2023)