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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Insel Saint Joseph verurtheilt. Zur Zwangsarbeit heißt aber mit anderen Worten stets: zum Tode.

Von dieser Zeit an herrschte auf der Mutterinsel beinahe dieselbe Strenge, wie in dem Bagno von Saint Joseph. Die Sterblichkeit ward größer. Der unbedeutendste Ungehorsam und die mindeste Unregelmäßigkeit bei Erfüllung der Befehle des Commandanten oder eines Aufsehers wurden mit den grausamsten Strafen belegt.

Die Gefangenen entwarfen mehrere Fluchtpläne, und im Januar 1853 gelang es auch wirklich zwölf von ihnen, nach Holländisch Guyana und von dort nach den Vereinigten Staaten zu entkommen, worüber damals die Zeitungen ausführlich berichtet haben.

Die Insel Saint Joseph ist von der Königsinsel nicht weit entfernt, und die Garnison der letzteren kann erstere mit überwachen. Hier mußten die Gefangenen arbeiten, ohne daß ihnen eine Vergütung dafür zu Theil ward. Wer sich weigerte, war der Strafe des Pfahles – worüber wir sogleich mehr hören werden – oder verschärfter Haft unterworfen.

Die in Saint Joseph eingeführte Tagesordnung war folgende: Um halb sechs Uhr Appell und Frühstück. Letzteres besteht aus einer Suppe, die nur durch den äußersten Hunger genießbar wird. Um sechs Uhr Beginn der Arbeit im Freien. Um elf Uhr Rückkehr in das Gefängniß und Mittagsessen. Dieses besteht aus einer Specksuppe, anderthalb Pfund elenden, aus Maniokmehl gebackenen Brodes und einem Quart Wein. Um ein Uhr Wiederbeginn der Arbeit. Um sechs Uhr Feierabend und Abendmahlzeit, zu welcher man trockene dumpfige Gemüse oder Stockfisch austheilt. Jeder Gefangene erhält überdies täglich eine Kanne Wasser, welches aber faul und salzig schmeckt.

Man denke sich also fünf Stunden Arbeit von sechs bis elf Uhr in diesem Klima, während in weit weniger heißen Ländern – in Italien, in Spanien – die Feldarbeit schon um zehn Uhr eingestellt wird! Was aber sagt man erst von den fünf Arbeitsstunden des Nachmittags?

Wenn der Gefangene von bereits fünfstündiger Arbeit ermüdet, keuchend und nach Luft schnappend in seiner Zelle liegt – wenn die Hitze den Erdboden spaltet, und die Sonnengluth mit feuriger Wucht auf der ganzen Natur lastet – wenn es keinen Schatten mehr gibt – wenn die Strahlen senkrecht herabschießen – muß der Gefangene wieder hinaus, wieder zu Hacke und Karren greifen und noch fünf Stunden arbeiten! Wenn ihm dann Hut oder Mütze vom Kopfe fällt, so raubt der ihn dann unmittelbar treffende Sonnenstrahl ihm den Verstand. Seine Haut wird rissig und runzlig, und wenn er es wagt, den nackten Fuß auf die glühende Erdkruste zu setzen, so bleibt die Haut der Sohle daran kleben.

Die Gefangenen werden durch Aufseher zur Arbeit geführt und, sobald es diese angemessen finden, durch Fußtritte und Stockschläge zum Fleiße angetrieben. Jeder Aufseher commandirt eine Abtheilung von zehn Mann. Empörungsversuchen ist durch die Gegenwart von vierzig Marinesoldaten und zwanzig Gensd’armen vorgebeugt.

Jeden Sonnabend werden die Gefangenen gemustert. Sie müssen dabei barfuß mit über die Kniee hinaufgewickelten Beinkleidern erscheinen. Eine zweite Musterung wird Sonntags abgehalten und schließt mit einem Vorbeimarsch vor dem Commandanten und dem Lieutenant, vor welchen die Gefangenen sich tief verneigen müssen. In derselben Ordnung begibt sich der Zug sodann in die Capelle zur Messe. Ein Jesuit besteigt die Kanzel, fulminirt gegen die Freidenker und Protestanten und ergeht sich in den heiligsten Ausdrücken. Was hätte er auch zu fürchten?

Nach zwei Jahren ward ich mit einer Anzahl meiner Unglücksgefährten auf die Teufelsinsel versetzt. Diese Insel war bis jetzt unangebaut und unbewohnt gewesen, sollte aber durch die Arbeit nun fruchtbar gemacht werden. Ein kleines, ziemlich in der Mitte unseres neuen Gebietes liegendes Bananenhölzchen war uns anfangs von großem Nutzen. Es dauerte nicht lange, so verlor die Insel einen Theil ihres wilden, uncultivirten Ansehens. Wir legten Gärten und Pflanzungen an. Der Contreadmiral Bonnard schickte Materialien, um Hütten zu bauen. Die Arbeit war frei, denn wir hatten keine Aufseher. Alle Dienstage, Donnerstage und Sonnabende brachte man den unfreiwilligen Colonisten Lebensmittel von Cayenne. Diese Lebensmittel waren dieselben, wie die in Saint Joseph; zum Glück brachten schon nach wenigen Wochen die Erzeugnisse unserer Gärten einige Abwechselung in unseren Küchenzettel. Süßes Wasser fehlte freilich, und wir bekamen täglich nur eine Kanne der Mann.

Der Contreadmiral Bonnard schien, wie man sieht, die auf der Insel Saint Joseph begangenen Grausamkeiten wieder gut machen zu wollen. Es ward sogar einem Krämer von Cayenne gestattet, sich bei uns zu etabliren und Tasia oder Zuckerbranntwein, Zwirn, Nadeln, Federn, Papier und andere dergleichen Dinge zu verkaufen. Uebrigens beschränkten sich unsere Nahrungsquellen nicht blos auf die Erzeugnisse unserer Cultur, denn wir hatten auch noch den Fischfang und die Jagd.

Der Fischfang war allerdings sehr schwierig, denn die gewöhnlichen zu demselben erforderlichen Geräthschaften waren uns beinahe alle verboten. Das Meer ist in diesen Breitengraden, wie ich schon oben gesagt habe, mit gefährlichen Fischen bevölkert. Die Colonie ist übrigens auch sehr geeignet, diese Thiere anzulocken, denn in der Fieberzeit gibt es Tage, wo man zehn bis zwanzig Cadaver in’s Meer wirft. Es ist deshalb gefährlich, am Ufer Wäsche zu waschen oder sich auch nur die Füße zu baden. Die Muränen und Haifische streifen dicht am Lande hin. Um zu fischen und dabei doch diesen Freunden der europäischen Ordnung aus dem Wege zu gehen, hatten wir auf der Südseite ein Bassin gegraben, welches zur Zeit der Fluth sich allemal mit Wasser füllte. Zuweilen geriethen dann Fische mit hinein, die dann beim Eintritt der Ebbe sitzen blieben, so daß wir sie fangen konnten.

Die Jagd war weniger regelmäßig und auch weniger ergiebig. Unser Wild bestand in weiter nichts als einigen Eidechsen und dann und wann einer Schlange. Diese Thiere sind nicht leicht zu fangen, obschon sie bei Weitem nicht so gefährlich sind, als man sie ausgeschrieen hat, während sie dagegen als wohlschmeckendes Nahrungsmittel noch lange nicht so gewürdigt zu werden scheinen, wie sie es verdienen.

Der erste Gedanke, der in uns Allen erwachte, als der Contreadmiral erklärte, er werde keinen Aufseher auf die Insel schicken, war der Gedanke an Flucht, obschon der Contreadmiral, der diese Gedanken natürlich errieth, ausdrücklich zu uns sagte: „Versuchet ja nicht zu entfliehen, denn dies würde Euren unvermeidlichen Tod zur Folge haben.“

Eines Tages sahen wir, als wir auf dem Cayenne gegenüber liegenden Strande standen, eine schwärzliche ungefähr zwanzig Ellen breite und vierzig Ellen lange schwimmende Masse in westlicher Richtung treiben. Wir glaubten, es sei ein von unsern Unglücksgefährten auf einer der andern Inseln gebautes Floß, auf welchem sie das Weite suchten. Wir zitterten, daß sie verfolgt werden möchten, und in der That stießen nach wenigen Minuten von dem Fort der Königsinsel acht bemannte Boote ab, welche das vermeinte Floß verfolgten. Fast gleichzeitig jedoch gewahrten wir, daß es sich hier um kein Floß, sondern um ein Stück Ufer des Amazonenflusses handele. Während der Regenzeit werden nämlich zuweilen sehr umfangreiche Erdstücken, die der Fluß schon unterminirt hat, durchweicht. Mit Bäumen und durcheinander geschlungenen Lianen und tausenderlei verschiedenen Pflanzen beladen, stürzen sie dann in’s Wasser, und die Strömung führt sie fort.

Es dauerte nicht lange, so sahen die Verfolger, die uns mittlerweile immer näher gekommen waren, ihren Irrthum ebenfalls ein, und da sie uns am Ufer stehen sahen, so kamen sie auf uns zugerudert und stiegen an’s Land. Wir sahen sofort, daß sie von Ingrimm und Wuth über ihre getäuschte Erwartung erfüllt waren und sich vorgenommen hatten, sie unter irgend einem Vorwande an uns auszulassen.

„Ha!“ sagte einer von uns – ein Pariser, in welchem das Unglück die Spottsucht noch nicht zu ertödten vermocht hatte – „ha! wenn wir Preßfreiheit und einen Charivari hätten, so ließe sich über diesen Vorfall ein sehr witziger Artikel schreiben.“

Nicht sobald waren diese Worte gesprochen, als die Soldaten sich auf diesen Unglücklichen und zwei seiner Cameraden stürzten, welche neben ihm standen und ihn entschuldigen wollten. Weit entfernt, ihre Meute zurückzurufen, sahen die Officiere mit wilder Freude zu.

(Schluß folgt.)

Zur Nachricht.

Mit Nr. 26 schließt das 2. Quartal; wir ersuchen demnach unsere Abonnenten, ihre Bestellungen schon jetzt aufzugeben. Bilder und Schilderungen vom Kriegsschauplatze folgen von jetzt ab regelmäßig.

Die Verlagshandlung.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_360.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2023)