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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

ich an seinem frischen Grabe stand, von wo man die verkohlten Reste des Waldhofes sehen konnte, da sagte ich zu mir selbst: die Rache ist süß!“

Schellenberg verhüllte sein Gesicht und stöhnte: „Es ist zu viel!“

„Soll ich aufhören?“ fragte Marx.

Nach einer Pause erwiderte Schellenberg: „Vollenden Sie Ihren grauenhaften Bericht. Aber es waren ja meine Eltern, von denen ich so schreckliche Dinge erfahre, darum ergreifen sie mich so.“

Marx fuhr fort: „Der Waldhof ging nunmehr an eine ziemlich entfernte Verwandte der Baronin über, die denn auch mit ihrer Magd in den Trümmern des Schlosses einzog. Mit diesen Leuten hatte ich keine Abrechnung zu halten, ich verübte also auch keine Feindseligkeiten gegen sie. Ich hatte nun Alles erreicht, was mir die Aufgabe meines Lebens gewesen war, ich hatte mich vollkommen gerächt: der Waldhof lag in Asche und Schutt, das Geschlecht von Lohfels war von der Erde verschwunden. Aber ich war doch nicht glücklich in meinem neuerbauten Hause, in meinem Wohlstande, in meiner vollführten Rache. So sehr ich mich gegen den Gedanken wehrte, so kam er doch immer mächtiger über mich, nämlich der Gedanke: die Rache ist bitter! Von den Beängstigungen meines Gemüthes, die sich immer stärker einstellten, will ich nicht reden, Sie können sich dieselben ohnehin wohl vorstellen. Als die Rede davon war, daß Soldaten hier an die Grenze gelegt werden sollten, bewarb ich mich selbst um Einquartierung, theils um jeden Verdacht fern zu halten, theils um das Auftreten der Soldaten unschädlicher für die Schmuggler zu machen. Wie Sie hier ankamen und ich zuerst Ihre Stimme hörte, erinnerte mich dieselbe auffallend an die Stimme des verstorbenen Barons, ich glaubte auch eine gewisse Gesichtsähnlichkeit zu erkennen. Darum schlich ich mich in der ersten Nacht in Ihr Zimmer und erkannte Sie an dem Ringe, den Sie um den Hals tragen.“

Schellenberg nickte blos, ohne den Redenden mit einem Worte zu unterbrechen, mit dem Kopfe.

„Obgleich ich längst gemerkt hatte, daß die Rache bitter sei, so lebte doch die Erinnerung an meinen Schwur fort, es erwachte in mir von Neuem der Zorn gegen das Geschlecht der Lohfels, und ich beschloß Ihren Tod. Wie Sie hinter meinen Anschlag gekommen sind, weiß ich nicht, will es auch nicht wissen, denn es interessirt mich nicht mehr. Als ich den Schuß bekommen hatte und mich hierher schleppte, als ich nachher einsam in meinem Bette lag und meinen Tod vor Augen sah, da ging mir die Einsicht auf, daß der Himmel meinen Thaten der Rache ein Ziel gesetzt habe, daß ich ein großer Sünder und Verbrecher sei und daß mir eine schwere Abrechnung bevorstehe. Und doch gehe ich meinem Tode mit Fassung und Muth entgegen. Aber um meine Verantwortung, wenn es möglich ist, etwas zu erleichtern, will ich an Ihnen so viel gut machen, wie in meinen Kräften steht. Ich habe Ihnen Ihre Herkunft mitgetheilt und Sie mögen nach Ihrem Gefallen danach handeln. Ich habe Sie in meinem Testamente zum alleinigen Erbin eingesetzt, denn Ihnen kommt der ganze Grundbesitz zu. Dort über dem Ofen ist in der Decke eine Klappe, die sich leicht aufheben läßt; stellen Sie einen Stuhl an den Ofen, steigen Sie auf diesen, heben Sie die Klappe auf und treten Sie in den kleinen Verschlag; Sie werden da zwei Brieftaschen und einige Rechnungsbücher finden – bringen Sie mir das Alles hierher. Aus dem Verschlage geht auch eine Thüre in Ihr Zimmer, die über nur von innen aufgedrückt werden kann. Eilen Sie, denn es kommt mir vor, als wollte meine Kraft mich verlassen.“

Schellenberg that nach den Worten des Sterbenden und legte die Brieftaschen und Bücher vor ihn hin.

„Diese Staatspapiere,“ fuhr Marx fort, „sind Ihr gutes ehrliches Eigenthum, sie sind, wie dieses eine Buch genau nachweist, aus dem Ertrage des Bodens erworben, der eigentlich Ihrer Familie gehört. Diese andere bedeutende Summe in Papiergeld, worüber in dem zweiten Buche Rechnung geführt ist, haben meine Handelsgeschäfte abgeworfen, die ich durch Feibes Itzig betrieb; daß diese Geschäfte auf Schmuggelei beruhten, wissen Sie, und Sie können sich darüber entscheiden, was Sie mit dem auf diese Weise gewonnenen Gelde anfangen wollen. Nehmen Sie die Brieftaschen und die Bücher mit auf Ihr Zimmer, denn das Gericht braucht seine Nase nicht hineinzustecken, wenn es vielleicht nach meinem Tode vorerst meine Habseligkeiten versiegelt. Nach Eröffnung des Testamentes wird man Ihnen alles Uebrige übergeben. Wahrscheinlich verkauft Ihnen das Fräulein von Schöneberg gern den Waldhof, dann können Sie das Schloß wieder herstellen und dort wohnen. Wenn es Ihnen da gut geht, so ist der Fluch gelöst, den ich einst in meinem Zorne ausgesprochen habe. Können Sie nun einem Manne, der so viele Verbrechen an Ihrer Familie verübt hat, ein gutes Wort mitgeben in seinen Tod, ein Wort der Verzeihung und Versöhnung?“

„Das kann ich,“ rief Schellenberg, „und thu’ es aus vollem aufrichtigem Herzen! Von meinem Vater ist schwer gegen Sie gefehlt, ich als Sohn spreche Verzeihung und Versöhnung mit Bereitwilligkeit aus, und auch vor einem höheren Richterstuhle wird das, was Sie gelitten, zur Abrechnung gegen das, was Sie gethan, in’s Gewicht fallen. Gott schenke Ihnen einen sanften, ruhigen Tod und einen milden Spruch!“

„Amen!“ sprach langsam mit einer gewissen Befriedigung der Kranke. „Gehen Sie jetzt mit diesen Sachen fort und schicken Sie mir den Knecht herein. Mein Gesinde werden Sie nicht fortschicken, es ist ehrlich und treu. Es gehe Ihnen gut!“

Schellenberg war so ergriffen, daß er nicht sprechen konnte; er drückte sanft die Hand des Sterbenden, über dessen starre und strenge Züge jetzt eine gewisse milde Verklärung sich ausbreitete. Dann verließ Schellenberg das Zimmer, begab sich auf das seinige und überließ sich in ungestörter Einsamkeit den mannichfachen Empfindungen und Gedanken, welche die Erfahrungen der letzten Stunde in ihm hervorgerufen hatten.

Als der Knecht Hans Heinrich eintrat und mit tiefer Trauer verkündete, daß sein Herr so eben gestorben sei, da beugte der junge Mann sein Haupt und weinte bitterlich.



VIII.

Die nächsten Tage vergingen einförmig. Die ergriffenen Schmuggler wurden in die gewöhnlichen Strafen verurtheilt, da sie aber weder auf Feibes Itzig, noch auf den verstorbenen Marx aussagten, so knüpfte sich eine weitere Untersuchung nicht daran, nur hatte Feibes bei dem Vorfalle einen so großen Schaden erlitten, daß er zu einem ferneren Versuche nicht aufgelegt zu sein schien. Daß sich ein Mann, wie Marx, dazu hergegeben hatte, mit den Schmugglern gemeinschaftliche Sache zu machen, fiel in diesen verwilderten Grenzbezirken nicht sehr auf und man bedauerte ihn nur, daß er dabei eine tödtliche Wunde erhalten hatte; von dem eigentlichen Beweggrunde seines Auftretens mochte wohl nur Feibes Kunde haben, und dieser zeigte sich vollkommen verschwiegen. Schellenberg wurde vom Gerichte vorgeladen und in Kenntniß des Testamentes gesetzt, welches ihn zum alleinigen Erben von Marx einsetzte, weil dieser „im Lieutenant Schellenberg den einzigen rechtmäßigen Erben des Gutes Waldhof erkannt habe“. Dem außerordentlichen Aufsehen, welches hierdurch hervorgerufen wurde, trat der junge Officier mit der Erklärung entgegen, daß allerdings Marx an untrüglichen Zeichen in ihm den früher verloren gegangenen Sohn des Herrn von Lohfels zu entdecken geglaubt und ihn darum zum Erben eines Besitzthumes, das aus den Bestandtheilen der Lohfels’schen Güter gebildet sei, eingesetzt habe; er selbst lasse die Wahrheit dieser Entdeckung auf sich beruhen, da er jedenfalls als Adoptivsohn des Majors Schellenberg dessen Namen beibehalten werde. Er verschwieg auch nicht, daß ihm von dem Verstorbenen eine Summe Geldes eingehändigt sei, was übrigens auch Marx den Personen, die bei Abfassung seines Testamentes anwesend gewesen waren, mitgetheilt hatte, als eine freiwillige Schenkung bei Lebzeiten, damit nicht etwa weitläufige Untersuchungen über den Verbleib des baaren Geldes angestellt werden möchten. Da keine Spur von sonstigen Erbberechtigten vorhanden war, so wurde gegen Erlegung der üblichen Erbschaftssteuer das Testament in Kraft gesetzt. Man sprach in dieser Zeit von nichts, als von der wunderbaren Begebenheit, daß Marx den todtgeglaubten Sohn des Barons von Lohfels aufgefunden und zu seinem Erben gemacht habe, und man wunderte sich am meisten darüber, daß der Erbe keine Schritte thue, seine Abkunft sicher zu stellen und seinen adligen Namen in Anspruch zu nehmen; er selbst wies jedes hierauf zielende Ansinnen mit dem Bemerken zurück, daß der Glaube des verstorbenen Marx sich nie durch genügende Beweise würde zur Gewißheit erheben lassen. Mit Feibes Itzig hatte er eine lange und geheime Unterredung, aus welcher der Jude ungewöhnlich ernst hervorging und welche

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