Seite:Die Gartenlaube (1859) 363.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

die Wirkung auf ihn zu haben schien, daß er der Schmuggelei ganz und für immer entsagte. Diese schien überhaupt völlig aufgehört zu haben und man machte dem jungen Officier kein geringes Verdienst daraus, daß sein Auftreten von einem so außerordentlich günstigen Erfolge begleitet war. – Den Müller vom Waldhofe hatte man wieder entlassen. Weil sich zwar großer Verdacht hinsichtlich seiner Mitwissenschaft erhob, aber kein bestimmter Beweis führen ließ.

Es fiel Schellenberg sehr auf, daß Winrich in den letzten Tagen auffallend gedrückt und tiefsinnig zu sein schien. Bei nächster Gelegenheit sprach er ihn an: „Was ist das mit Ihnen, Winrich? Sie sind ja gar nicht mehr der Alte? An, Ende beneiden Sie mich um das freilich seltsame Glück, welches ich in diesen Bergen so unerwartet gefunden habe.“

„Gewiß und wahrhaftig nicht, Herr Lieutenant! Möge mich Gott strafen, wenn ich nicht einen herzlichen Antheil an dem Guten nehme, was das Schicksal Ihnen bescheert hat.“

„Nun also, warum sind Sie denn so traurig und niedergeschlagen? Das Glück kann Sie in diesen Bergen so gut finden, wie mich, und Sie hatten ja schon einige allerliebste Pläne, deren Ausführung doch eigentlich nun näher gerückt ist. Denn es ist kein Zweifel, daß man mit unserer Thätigkeit zufrieden sein wird und daß sowohl für den Oberjäger, wie für Sie, eine Belohnung in Aussicht steht. Eine Anstellung als Grenzjäger kann ich Ihnen fast sicher versprechen, wenn auch nicht gleich, doch nach einiger Zeit.“

„Ach, Herr Lieutenant, Sie wissen, warum ich eine solche Anstellung wünschte. Die Henriette will aber nach den letzten Vorfällen nichts davon wissen, die Frau eines Grenzbeamten zu werden.“

„Nun, Winrich, ich habe die feste Absicht, für Sie und Ihre Henriette zu sorgen, so gut ich irgend kann. Ist’s nichts mit der Stelle als Grenzaufseher, so findet sich etwas Anderes. Wie wäre es z. B., wenn ich meinen Abschied nähme und mich hier in dem Besitzthume niederließe, das mir auf so wunderbare Weise zu Theil geworden ist? Ich würde einen tüchtigen Forstmann und Sie als dessen Unterbeamten anstellen; Sie haben ja früher schon die Lehrjahre bei einem Förster durchgemacht. An einer hübschen Wohnung und einem hinreichenden Auskommen soll’s nicht fehlen.“

Einen Augenblick lang erheiterten sich Winrich’s Gesichtszüge, dann aber nahm auf ihnen wieder die frühere Niedergeschlagenheit Platz, und er sagte traurig: „Auf solche Weise erfüllten sich freilich meine liebsten Wünsche, aber ich will es nur offen heraussagen, daß ich mein Herz nun einmal zu sehr an die Henriette gehängt habe, um ohne sie glücklich zu sein, wenn ich auch Oberförster würde. Die Henriette aber will mit aller Gewalt bei dem Fräulein von Schöneberg bleiben.“

„Nun, und Fräulein von Schöneberg ist ja eben hier.“

„Da steckt’s gerade. Fräulein von Schöneberg will in irgend eine Stadt ziehen, um sich ihren Unterhalt mit weiblichen Arbeiten zu verdienen, und die Henriette will ihre bisherige Herrin nicht verlasse.“

„Wie? Fräulein von Schöneberg will fort? Und warum denn?“

„Weil sie gehört hat, daß nun der eigentliche Erbe vom Waldhofe sich gefunden hat, so will sie ihm den Wohnsitz räumen, auf den sie kein Recht hat, wie sie meint.“

„Dummes Zeug! Gehen Sie gleich auf den Waldhof, Winrich, und lassen Sie durch Henriette sagen, ich wünsche Fräulein von Schöneberg zu sprechen, und zwar würde ich bereits in einer halben Stunde eintreffen.“

Winrich entfernte sich rasch mit zwar unbestimmten, aber doch neu aufgefrischten Hoffnungen, und Schellenberg machte einige Toilette, um sich einer Dame vorstellen zu können. Es hatte ihn ein unklares Gefühl bisher abgehalten, zum Waldhofe zu gehen und die Bekanntschaft der einsiedlerischen Dame zu machen, die ja sogar seine Verwandte war; eines Theils war er noch nicht ganz mit sich im Reinen, welcher Art die Vorschläge sein sollten, die er dem Fräulein machen und wodurch er ihm eine gesicherte und möglichst angenehme Zukunft bereiten wollte; andern Theils fühlte er sich höchst befangen, jenes Mädchen wieder zu sehen, das von Anfang an einen tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht und zuletzt seinem ganzen Geschick eine unerwartete Wendung gegeben hatte, ja seine Lebensretterin geworden war. Er machte sich jetzt ernste Vorwürfe, seinen Dank so lange verzögert und zugleich die alte Dame in Ungewißheit gelassen zu haben, ob er als näherer Erbe den Waldhof in Anspruch nehme; er ging daher jetzt festen und eiligen Schrittes den Weg zum verfallenen Stammhause seiner Familie hinunter.

Winrich empfing ihn auf dem Hofraume und sagte ihm, daß er vom Fräulein erwartet würde. Er trat also durch die diesmal offene Hausthüre und wurde von einem blühenden Mädchen empfangen, in dessen hübschem Gesicht sich Gutmüthigkeit und Entschlossenheit vereinigte; es öffnete ihm eine Stubenthüre und bat ihn, einzutreten. Er fand Niemand in der Stube, als seine alte Bekannte, die in gewählterer, aber doch einfacher Kleidung ihm mit würdigem Anstande entgegentrat, während sich das Mädchen, das ihn empfangen hatte, zurückzog. Verwirrt blieb er stehen und vermochte seine Gedanken nicht sogleich zu ordnen; er brachte mit verlegenem Stottern die Worte hervor:

„Ich hatte Fräulein von Schöneberg um eine Unterredung ersuchen lassen – –“

Sie unterbrach ihn mit niedergeschlagenen Augen und leiser Stimme: „Ich bin Thekla von Schöneberg.“

Wie ein Blitz durchzuckte es Schellenberg. „In welchem seltsamen Irrthum bin ich befangen gewesen!“ rief er überrascht, „wie unendlich fühl’ ich mich beschämt!“ Aber in seinem Herzen flüsterte eine leise jauchzende Stimme: „Wie unendlich fühl’ ich mich beglückt!“

Mit einem Tone, der immer mehr an Sicherheit gewann, sagte sie: „An diesem Irrthum bin ich allein Schuld. Sie verwechselten mich bei unserem ersten Zusammentreffen mit meiner Henriette, und sowohl der bescheidene Aufzug als die Beschäftigung, worin Sie mich trafen, machten diesen Irrthum sehr erklärlich, ich aber konnte durchaus nichts Beschämendes darin finden, mit meiner treuen Henriette verwechselt zu werden, die mir mehr eine Freundin als eine Dienerin ist. Für den Augenblick fand ich keine Veranlassung, das Mißverständniß aufzuklären, und später - - fand sich keine rechte Gelegenheit dazu.“

Schellenberg legte die Hand an die Stirn und sagte: „Wo in aller Welt hatte ich meine Augen, und noch mehr – wo hatte ich meinen Verstand, daß ich Sie für eine Dienerin halten konnte? Nie werde ich mir diesen unverzeihlichen Fehlgriff verzeihen.“

Sie blickte in ihrer bezaubernd gütigen Weise zu ihm auf, indem sie erwiderte: „Ich versichere nochmals, daß die Verwechslung auch nicht das geringste Unangenehme für mich hatte, ich freute mich im Gegentheil, daß sie mir die wohlthuende Gelegenheit gab, von Ihnen die gütigen Gesinnungen zu vernehmen, die Sie für die einsame Bewohnerin des Waldhofes hegten, ohne sie zu kennen.“

„Was habe ich Ihnen nicht Alles zu verdanken, mein Fräulein!“ rief er lebhaft. „Ohne Sie wäre ich ohne Zweifel als das Opfer der Rachsucht gefallen, durch Sie ist mir nicht blos das Leben bewahrt, sondern auch ein eben so bedeutender als unerwarteter Zuwachs äußern Glückes zu Theil geworden.“

„Ich habe mich recht gefreut,“ sagte sie herzlich, „daß Ihnen eine glückliche Enthüllung Ihre Familie und Ihr Erbe wiedergegeben hat. Ich selbst habe hierbei nicht das geringste Verdienst, denn eine That läßt sich nie nach ihren zufälligen Folgen, sondern nur nach ihrem eigentlichen Werthe schätzen. Ich wollte weiter nichts, als Sie vor einer Gefahr schützen, über welche mich der Zufall in Kenntniß gesetzt hatte, ich konnte natürlich nicht entfernt ahnen, daß meine Entdeckung so tiefgreifende Folgen für Sie haben und mich um einen Verwandten bereichern würde.“

„Ja, das ist wahr,“ rief er, „wir sind ja verwandt! Denn wenn ich auch vor der Welt meine Abkunft von der Familie Lohfels nicht beweisen kann und will, schon um dessen willen nicht, dem ich die Enthüllung des Geheimnisses verdanke, so bin ich doch von der Wahrheit der Enthüllung überzeugt. Zu meiner Freude scheinen Sie diese Ueberzeugung zu theilen, da Sie mich als Verwandten betrachten.“

„Gewiß, ich theile sie.“

„Aber wie stimmt damit die Nachricht, die mir Winrich mitgetheilt hat, daß Sie daran dächten, den Waldhof zu verlassen?“ Sie senkte wieder das Gesicht und erwiderte: „Es versteht sich wohl von selbst, daß ich eben darum, weil ich in Ihnen den rechten Erben erkenne, mein Anrecht aufgebe, welches ja nur auf dem Irrthum des Ausgestorbenseins der Familie Lohfels beruhte, und daß ich Ihnen also den Platz räume, der einzig Ihnen zukommt.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_363.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)