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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Gefahr glaubte, oder sei es, daß die Beamten selbst Gefallen an diesem gereizten Leben hatten. Wie dem auch sei, die Funken der Februarrevolution fanden auch nach Oesterreich ihren Weg und setzten im Nu das ganze morsche Gebäude in Flammen. Kaum gelang es dem greisen Staatskanzler, vor der Wuth der aufgestandenen Menge sein Leben zu retten und von der Stelle, von wo aus er fast vierzig Jahre lang die Cabinete Europa’s beeinflußt hatte, flüchtig als Greis nach dem gastlichen Albion zu gelangen.

Wer weiß es nicht, welcher Jubel und Rausch mit der Kunde von dem Sturz des Fürsten Metternich durch ganz Deutschland zog? Wer entsinnt sich nicht der Flüche, die dem einstigen Allmächtigen in’s Exil folgten? Man glaubte damals in jener glaubensvollen Zeit, daß nun das große Hinderniß der allgemeinen Freiheit für immer gefallen sei und eine neue Aera nicht allein für Oesterreich, sondern für ganz Deutschland anbrechen werde. – Heute, wo die Leidenschaften verraucht, das Blut ruhiger wallt, heute, wo man weiß, daß Vieles, was man dem Fürsten Metternich aufbürdete, von ganz anderen Persönlichkeiten ausging, hat sich dieser Grimm gegen die Person des Fürsten Metternich verloren, und man blickt gemeinhin auf seine einstige Herrschaft wie auf eine in die Nebel der Zeiten gesunkene Epoche, wie auf eine Mythe hin. Er selbst ist längst zurückgekehrt zur Stätte seiner einstigen Macht und steht, wie ruhig auch sein Dasein sei, und wie sehr die Gegenwart sein Wirken dementire, den Ereignissen am Abend seines Lebens nur noch theilnahmvoll zur Seite.

Und dieser greise Fürst selbst ist kein Charakter, der Bitterkeit über den Sturz seiner diplomatischen Herrschaft empfindet.

„Ich habe,“ äußerte er sich, „nur das Beste und die Wahrheit gewollt, und wußte nie etwas von systematischer Feindseligkeit gegen irgend wen. Das halbe Jahrhundert, welches ich dem Kaiser gedient habe, ist die Geschichte meiner Zeit, nicht allein meiner Person. Durch ein günstiges Geschick habe ich inmitten aller Ereinisse gestanden, und was ich gethan, wird einst die Geschichte beurtheilen. Es ist ein erklärlicher Irrthum der Leute, daß sie mich erbittert glauben, aber ich bin es nicht und kann es nicht sein. Ich handelte, so lange ich auf meinem Platze stand, nach meinem Gewissen, und wenn sich jetzt die Zeit geändert hat, so weiß ich dies wohl zu würdigen, und stehe ihr nicht als ein Feind gegenüber. Auch kann ich mich, beehrt durch das Vertrauen des Kaisers, noch immer nützlich machen. Man glaubt und es wird auch davon gesprochen, daß ich meine Memoiren schreibe. Ich habe aber, wie gesagt, einen solchen Platz inne gehabt, daß ich nur die Geschichte meiner Zeit beschreiben könnte, und das mögen die thun, die nach mir kommen. Meine Memoiren, das sind die Documente und Acten, welche in den Archiven liegen.“

Das Portrait des Fürsten Metternich, wie es hier zu geben versucht ward, kann leicht, je nach dem Parteistandpunkt, in tieferem Colorit gehalten werden. Er ist unstreitig ein Mann von höchster Bedeutung für Europa, für Deutschland, für Oesterreich und, wie er selbst fühlt, für die Geschichte seiner Zeit gewesen. In ihm vermag man aber vor Allem die prächtigste und blendendste Blüthe der alten, vom vorigen Jahrhundert her überlieferten falschen Staatskunst der Kaunitze, Thugut, Hertzberg und Haugwitz zu erkennen, die ihre Stützen hauptsächlich in den Rechten der Throne fand, und den Staat nur mit dem Monarchen identificirte. Ihr gegenüber steht setzt in Uebermacht und getragen von der öffentlichen Meinung, die neue Staatskunst, welche ihren genialen Gründer im Freiherrn von Stein erhalten, und welche vor Allem auf das Wohl der Nationen, auf den Staat als Begriff von Fürst und Volk als eine Einheit basirt ist. Die Zeit, in der es ein Einzelner wagen durfte, den Fortschritt ganzer Nationen einzuzwängen und aufzuhalten, ist hoffentlich für immer begraben.




Die freie Rede.
Ein Wort für Lehrer und Lernende von Friedrich Gerstäcker.

Wir leben in einer Zeit, wo sich das Menschengeschlecht in auffallend rascher Weise entwickelt und fortbildet. Fast in allen Zweigen der Kunst und Wissenschaft sind neue Entdeckungen, neue Erfahrungen gemacht, und größere Forderungen werden von Jahr zu Jahr an den Menschen gestellt, wenn er eben auf der Höhe seiner Zeit bleiben, wenn er mit der Welt fortschreiten will.

Auch die Schulen sind darin nicht zurückgeblieben – obgleich in ihnen noch Manches gethan werden könnte, alte Vorurtheile zu beseitigen. Neue Methoden sind in manchen Branchen an die Stelle der alten, unpraktischen getreten, den Kindern das Lernen zu erleichtern und sie auf faßliche und interessante Weise zu belehren, und es geschieht – so wenig man auch noch immer für die Lehrer thut – für die Kinder außerordentlich viel. Leider wollen die meisten Menschen aber noch immer nicht einsehen, daß der Lehrer eigentlich der wichtigste Mann im Staate, eben so wie er am schlechttesten besoldet ist, und während sie die ganze Zukunft des Liebsten was sie auf der Welt haben – ihrer Kinder – in seine Hand legen, geben sie ihm einen Gehalt, bei dem er kaum nothdürftig existiren kann und leider nur zu oft Hunger und Kummer leiden muß. Und doch soll gerade der Lehrer die Jugend dahin bringen, allen diesen neuen, vermehrten Ansprüchen zu genügen, und doch bin ich selber eben im Begriff, dem Lehrer eine neue Last aufzuerlegen. Aber ich hoffe auch, daß die Zeit nicht mehr fern ist, wo der Lehrerstand sowohl in pecuniärer Hinsicht gesichert als auch zu der Stellung emporgehoben wird, die er, seiner Würde nach, einnehmen sollte, d. h. nicht unter, sondern neben dem Geistlichen zu wirken, in Dorf wie Stadt, und wenn er dann besser besoldet und nicht mehr gezwungen ist, die wenigen ihm bleibenden Freistunden, die Niemand nöthiger braucht, wie gerade er, zu Privatstunden zu verwenden, um seine Familie und sich am Leben zu erhalten, wenn es nicht mehr heißt „der Herr Pastor und der Schulmeister“, dann dürfen wir auch hoffen, daß sich die Lehrer mit Lust und Liebe ihren Stunden hingeben, daß sie freudig an der anwachsenden, sich fröhlich unter ihnen entwickelnden Jugend wirken werden.

Doch davon wollte ich eigentlich jetzt nicht reden, obgleich dies Capitel nie zu oft erwähnt werden kann. Nur einen Vorschlag möchte ich den Lehrern machen, auf eine leichte, wie für Lehrer und Schüler interessante Weise die Letzteren an öffentliche Vorträge zu gewöhnen.

Ich verwahre mich dabei gegen die Vermutung, als ob ich selber hierin eine neue Methode entdeckt hätte. Das ist nicht der Fall, sondern ich möchte unseren deutschen Schulen nur etwas an das Herz legen, das schon seit langen Jahren mit großem Erfolge in England und Amerika betrieben wird.

Wir leben nicht mehr in einem Zeitalter, wo nur einzelne bestimmte Classen dazu gelangen, in öffentlicher Versammlung ihre Meinung auszusprechen. In den Häusern der Abgeordneten wird jetzt von Jedem gefordert, daß er seine Ansicht frei und offen, aber auch in verständlicher Sprache und nicht etwa stotternd und ohne Ideenverbindung sage. Wo aber sollen die Knaben und jungen Leute das lernen, wo sich üben?

Bei uns wird in den Schulen unter „frei sprechen“ das fehlerfreie Auswendiglernen und Hersagen von Gedichten oder Aufsätzen – das sogenannte Declamiren – verstanden, was aber damit bezweckt? Nichts weiter, als daß der Schüler die Ideen anderer Menschen mit gutem Ausdruck und in deren Sinn eingehend hersagen lernt, aber nie wird er dabei im Stande sein, einen eigenen Gedanken zu fassen und ihn auszuführen. Das Mechanische der Sache studirt er, aber die eigentliche Seele der Rednerkunst bleibt ihm fremd, und diese ist: einen eigenen Gedanken in klare und verständliche Worte zu fassen und ihn auszusprechen.

Die Folgen solchen „Declamirens“ liegen zu Tage. Von Tausenden sind kaum zwei im Stande, das, was sie wirklich fühlen und wissen, vor einer Versammlung mit deutlichen Worten und in richtigem Satzbau anzusprechen, und wenn sie es wirklich könnten, so getrauen sie sich doch nicht, den Mund aufzuthun, denn sie hatten keine Uebung.

Das Hersagen von Gedichten u. s. w. ist ganz gut, den Ton der Stimme zu üben, wenn aber nicht tiefer dabei gegriffen wird, und es eben nur bei dieser Tonübung bleibt, so kann die eigene Intelligenz des Knaben in der freien Rede nie geweckt, sein Geist

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_371.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)