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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Dieb, oder waren es ihrer mehrere, die alle diese Verbrechen verübten. Noch weniger wußte man, wo man sie zu suchen hatte.

Die ganze Gegend war natürlich in großer Unruhe. Zu der Unsicherheit des Eigenthums trat das geheimnißvolle und unheimliche Dunkel des Verbrechens und des Verbrechers hinzu. Die Diebstähle dauerten nach meiner Ankunft fort. Ich mußte ihnen näher auf die Spur kommen. Zu diesem Zwecke war ich selbst nach jener Gegend hingereist, und ich hatte die Ortsvorstände, die Pfarrer der einzelnen Dörfer, die Bestohlenen und einige zuverlässige Personen des Bezirkes zu einer Versammlung eingeladen, um ein Gesammtbild des Geschehenen zu erhalten, und dadurch zugleich Anstalten zu wirksamerer Vorbeugung neuer Verbrechen, sowie zur Ermittelung und Habhaftwerdung der Verbrecher einleiten zu können.

Leider war die Zusammenkunft abgelaufen, wie die meisten ähnlichen Versammlungen. Es war viel gesprochen und wenig geschehen. Ermittelt war fast nichts Neues; es wurde nur festgestellt, wer die Thäter nicht sein könnten. Meinen Vorschlägen zu gemeinsamem Wirken, zur Bildung von Wach- und Sicherheitsvereinen, wurde entgegengesetzt, man könne sein eigenes Eigenthum nicht Preis geben, um das Anderer zu beschützen; man habe ja Polizei und Gensd’armen im Lande. Ja, Polizei, Gensd’armen und – Egoismus, sie bedingen einander!

Ich hatte unverrichteter Sache die Versammlung auflösen müssen und befand mich nun auf dem Rückwege nach Hause, den ich noch am späten Nachmittage angetreten, weil ich am nächsten Tage auf dem Gerichte mancherlei Geschäfte hatte.

Zu den eingeladenen Bestohlenen hatte der alte, kleine Bauersmann gehört, den ich in der Heide wieder traf. Er hatte in der Versammlung eben so wenig etwas gewußt, wie die Andern. Jetzt schien er etwas zu wissen. Er that wenigstens geheimnißvoll genug dazu.

„Wer war der Mann?“ fragte ich ihn.

Er hatte vorher für sich gelacht, jetzt sah er mich mit einer gewissen ängstlichen Besorgniß an.

„Könnte ich mich darauf verlassen, daß der Herr mich nicht verrathen wird?“

„Ei, Mann, ich bin ja Beamter, und die erste Pflicht des Beamten ist die Amtsverschwiegenheit.“

„Der Herr muß mir nicht übel nehmen, wenn ich etwas ängstlich, bin. Jeder ist sich der Nächste, und es gibt viel schlechtes Volk in der Welt, das man zu fürchten hat. Daß der Herr da in der Versammlung nichts herausbekommen würde, das hätte ich ihm vorhersagen wollen. Wer wollte vor allen den Leuten sagen, was er wußte?“

Da hatte ich auch ein Stück Lebensweisheit und so recht mitten aus dem Volke. Ich habe sie und das alte Bäuerlein, von dem ich sie erhielt, nicht wieder vergessen.

„Es hätte also wohl Mancher in der Versammlung etwas erzählen können?“

„Wenn er nur gewollt hätte.“

„Und auch Ihr wohl?“

Er erschrak doch noch, der mißtrauische, vorsichtige Mann.

„Ich habe nichts gesagt, Herr.“

„Aber Ihr wolltet etwas sagen.“

„Wollte ich?“

„Von dem Manne, mit dem ich vorhin sprach.“

„Ja, ja, aber ich kann mich doch auf den Herrn verlassen?“

„Wie auf das Evangelium.“

Endlich hatte er seine Angst überwunden.

„Herr, dem Menschen da ist nicht zu trauen.“

„Auch wegen der Diebstähle nicht?“

„Eben das meinte ich.“

„Ihr wißt also Näheres über ihn?“

„Vor ungefähr einem Jahre kam er hier auf einmal in der Gegend an. In dem ersten halben Jahre blieb er ruhig; er mußte die Leute sicher machen. Dann ging es los.“

„Wie kam er hierher?“

„Da hinten an der Grenze war ein Bauerhof zu verkäufen, ein hübsches Gut. Den kaufte er, und darauf wohnt er seitdem.“

„Ich finde darin nichts Verdächtiges.“

„Er bezahlte den Hof und Inventarium und Alles sogleich baar.“

„Der Mann erscheint um so weniger verdächtig.“

„So, Herr? Er brachte viel Geld mit. Er ist ein simpler Bauersmann. Wie war der zu so vielem Gelde gekommen? Und wenn er es ehrlich erworben hatte, warum blieb er nicht, wo er war, und warum kaufte er sich denn gerade hier in diesem Winkel an, in den kein Mensch kommt?“

Darin lag schon mehr Logik. „Und so nahe an der Grenze,“ hätte der kleine Bauer hinzusetzen können.

„Woher kam er?“ fragte ich.

„Das weiß eben kein Mensch, Herr.“

„Er muß sich doch legitimirt haben, namentlich bei der Polizei.“

„Er hat die besten Papiere. Er nennt sich Heimann aus Amerika. Dort will er auch geboren sein; sein Vater sei dort schon eingewandert, der sei aus dem südlichen Deutschland gewesen. Gerade so soll es auch mit seiner Frau sein.“

„Er ist verheirathet?“

„Er brachte eine Frau mit einem kleinen Kinde mit. Ein zweites hat sie hier geboren, vor ungefähr einem halben Jahre. Mit der Frau ist es auch eine eigene Geschichte.“

„Wie so? Hält er die Frau nicht gut?“

„O, im Gegentheil, Herr. Er selbst scheut sich vor keiner Arbeit, aber die Frau darf keinen Finger rühren, das leidet er nicht. Er trägt sie auf den Händen, als wenn sie ein Engel wäre. Nun, eine schöne, junge Frau ist sie.“

„Und die Frau, wie benimmt sie sich gegen den Mann?“

„Sie möchte ihn ganz so halten, wie er sie. Sie sind Ein Herz und Eine Seele, das muß die ganze Gemeinde anerkennen. Es soll das Alles auch so besonders unter ihnen sein.“

„Wie besonders?“

„Ich kann das nicht sagen, Herr. Die Leute, die sie beisamen gesehen haben, meinen, die Beiden seien so ganz eigen, so still freundlich zu einander, daß es Einem ordentlich traurig um das Herz werde, wenn man es ansehe.“

Das waren allerdings Mittheilungen, die Interesse erregten. Die Frau jung und schön. Auch er war ein schöner Mann. Und dieses eigenthümlich zärtliche, wehmüthig zärtliche Verhältniß! Die Liebe der schönen, jungen Frau zu dem finsteren, unheimlichen Manne, der auch sie so innig liebte!

Allein der Criminalrichter hatte Anderes, als Liebesgeschichten, zu verfolgen.

„Warum traut Ihr dem Menschen nicht?“ fragte ich weiter.

„Niemand traut ihm, Herr.“

„Aber aus welchem Grunde nicht?“

„Man weiß eben nichts von ihm.“

„Um so weniger könnte man Schlechtes von ihm behaupten.“

„So, Herr? Hat man, ehe er da war, ein Wort von Diebstählen hier in der Gegend gehört?“

„Auch das ist kein Grund.“

„Wer sollte sie denn begangen haben, wenn nicht er? Wir Andern kennen uns unter einander von Kindesbeinen an.“

„Es könnte dennoch ein heimlicher Verbrecher unter Euch sein. Und habt Ihr nicht die Grenze in der Nähe?“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, nein, Herr. Und dann – ich habe den Herrn schon vorhin gefragt. Hat der Herr dem Manne recht in’s Gesicht gesehen?“

„Ich sah ein hübsches Gesicht.“

„Ja, Herr. Aber in der Bibel steht von einem Kainszeichen. Ein solches Kainszeichen hat er in seinem Gesichte.“

„Ich habe nichts Besonderes bemerkt.“

„Das echte Kainszeichen, Herr, ist eben nichts Besonderes. Gott der Herr hat es dem Menschen in das ganze Gesicht gelegt. Das sieht man, aber weiter kann man nichts davon sehen und nichts davon sagen.“

Auch darin hatte das alte Bäuerlein wieder Recht. Hatte ich nicht selbst so das Kainszeichen an dem Fremden erkannt, daß der Anblick mich beinahe durchschauert hatte? Hatte nicht der Kutscher sich vor ihm entsetzt?

„Wenn der Mensch,“ fuhr der Bauer fort, „kein Verbrechen auf der Seele hat, so gibt es keine Verbrecher in der Welt mehr.“

„Und doch,“ mußte ich ihm erwidern, „habt Ihr mir bis jetzt noch kein Wort sagen können, das einen Beweis dafür abgäbe.“

Er wurde eifriger und in seinem Eifer brachte er nun noch einen Umstand vor, der, wenn er auch einen Verdacht für ein Verbrechen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_379.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)