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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Originalmittheilungen vom Kriegsschauplatze.
II.
Vom Schlachtfelde von Montebello.[1]

Am Morgen des 21. Mai waren wir im Lager, ungefähr zwei Büchsenschüsse vor Voghera, rund um einen geräumigen Feldkessel sitzend, in welchem, zum Frühstück bestimmt, einige langgeschnittene Streifen Speck unter sehr viel Wasser lustig aufzuzischen begannen, als plötzlich ein ziemlich lebhaftes Geknatter von anbrechendem Flintenfeuer aus der Richtung der Anhöhen von Casteggio zu uns herüberschallte. Wir erhoben uns sofort mit großer Schnelligkeit, sprangen zu den Waffen und hielten uns in Bereitschaft. Während zehn Minuten bemerkten wir indeß weiter nichts. Dann begann das Gewehrfeuer von Neuem, und bald gewahrten wir eine starke Bewegung bei unseren Feldwachen.

Wir waren, nur zwei Compagnieen stark, als Unterstützung hierher cominandirt und also nicht zahlreich genug, einem ernsthaften Angriffe zu widerstehen. Unser Hauptmann ging ab und zu; die Schüsse kamen immer näher und schienen blos von Feldwachen herzurühren; – nichts von Voghera.

Lautlos horchten wir, mit der Hand den Lauf unseres Gewehres krampfhaft gepackt. Plötzlich ertönte der Ruf: „Halt! Wer da?“ von den äußersten Schildwachen; die ausgestellten Aufnahmsposten und Feldwachen wiederholten diesen Anruf. Da, im nächsten Augenblicke, raste ein Reiter in gestrecktem Laufe, entblößten Hauptes und mit Schmutz und Blut bedeckt, an uns vorüber; er trug die Officiers-Uniform der sardinischen Cavallerie. Vorgelegt auf die Mähne seines schnaubenden Rosses, zerfleischte er ihm mit den Sporen die blutenden Seiten, sein gezogener Säbel hing an der rechten Faust. „Zu den Waffen – die Oesterreicher!“ rief er im Vorbeijagen, und verschwand dann an der Wendung des Weges.

Wie mit einem Blitzschlage waren wir in Bewegung und Einige von uns bereits ungestüm vorangeeilt. Mit einem Sprunge in die Mitte der Straße stellte sich aber unser Hauptmann den Hitzigen mit der Drohung entgegen, daß er dem Ersten, der sich ohne Befehl vom Flecke rühre, den Degen durch den Leib bohren würde. Wir wußten, daß er es gethan hätte, und die Ordnung ward wieder hergestellt. Kaum waren fünf Minuten verflossen, seit der sardinische Officier vorübergesprengt, so erklang schmetternder Hörnerklang; fast in demselben Augenblicke erschien General Forey mit drei Adjutanten, jagte an uns vorüber und dem Feuer zu; ihm auf dem Fuße folgte das 17. Jägerregiment, welches uns aufnahm, und eine Viertelstunde darauf zerstreuten wir uns als dichtgeformte Plänklerkette längs der Ufer eines kleinen Flüßchens, dessen Name mir entfallen.

Unsere Aufgabe war, die Aufstellung einer Batterie zu schützen, welche die sichtbar gewordenen österreichischen Colonnenspitzen auf’s Korn nehmen und niederschmettern sollte. Entsprechend der Weisung des Lieutenants, begab ich mich in schnellem Laufe mit meinen zwölf Mann hinter einen kleinen Erdabschnitt, außerordentlich bequem, unser eigenes Feuer schützend zu bergen und uns selbst beinahe vollständig zu decken.

Kaum mit dem Bauche im Schmutze gelagert, eröffnete ein Häufchen tyroler Jäger, versteckt hinter den Baumgruppen zu unserer Linken, ein heftiges und wohlgezieltes Feuer gegen unsere viel weniger geschützten Cameraden. In einigen Minuten waren fünfzehn der Unsrigen zu Boden gestreckt. Dies brachte uns in fieberhafte Aufregung; meine Leute und ich – ohne uns zu berathen oder auch nur ein Wort zu sprechen – sprangen in’s Wasser und rannten mit dem Bajonnet gegen die dreißig oder vierzig feindlichen Jäger, welche uns sichtbar waren, hinter welchen wir aber sogleich wieder Andere erblickten. Unserem Beispiele folgten drei Compagnieen und bald darauf ein ganzes Bataillon vom 74. Regiment.

Dieser Heldenmuth bekam uns aber übel; empfangen durch ein ununterbrochenes Heckenfeuer, mußten wir wieder umkehren. Wir hatten allerdings nur einen kurzen Raum zu durchlaufen, jetzt aber waren es auch nicht mehr blos einige hundert Tyroler, welche längs des Eisenbahndammes in Schlachtordnung gegen uns vorrückten, sondern eine ungeheuere Colonne von wenigstens sechstausend Mann. Außerdem hinderten wir auch noch unsere eigene Artillerie am Schießen, und Commandant Lacretelle ließ deshalb zum Rückzuge blasen. Wir gehorchten, aber zitternd und schäumend vor Zorn. Glücklicherweise wichen wir noch nicht zurück; man postirte uns nahe an der Cassina-Nova, mit dem Befehle, ein möglichst lebhaftes Rottenfeuer zu unterhalten.

In dieser Stellung blieben wir nun volle zwei Stunden, abwechselnd aufrechtstehend, knieend, versteckt und bloßgestellt, bald rechts und bald links laufend, bald wieder unbeweglich. Die ersten unserer Patronen hatten wir schon verschossen und waren jetzt höchstens noch 250 Schritte vom Feinde entfernt. Die Officiere hielten uns zurück, denn wir waren nicht zahlreich genug, um an „die Gabel“ (das Bajonnet) zu laufen; es war dies auch das Klügste. Unser Feuer wüthete jetzt tüchtig unter den Oesterreichern, während das ihrige uns nur wenig Schaden zufügte. Die Spitzkugeln von unserer Seite schlugen tief in ihre dichtgedrängten Reihen ein, die ihrigen dagegen Pfiffen an unseren Ohren vorüber, und ließen uns ruhig in mehr oder minder sicherer Stellung.

Es war dies das erste Mal, daß ich in’s Feuer kam, und ich war nicht der Einzige, dem es so ging. Nun wohl, ich war mit mir zufrieden. Allerdings, ich bückte mich vor den ersten Kugeln, das ist wahr; aber Heinrich der Vierte, sagt man, that dasselbe am Anfange jeder Schlacht. Außerdem ist dies ja auch nur eine körperliche Wirkung und unabhängig von der Willenskraft.

Sobald aber dieser Tribut der Natur bezahlt ist, solltet Ihr sehen, wie jeder neue Knall den Körper und Geist aufschnellt. Es ist wie ein jäher, spitzer Stachel in den Weichen eines edlen, kampflustigen Renners. Die Kugeln sausen vorüber, Hohlgeschosse wühlen den Boden ringsum auf, tödten die Einen, verwunden die Anderen; doch kaum gibt man darauf Acht. Der Pulverdampf berauscht, er packt an der Gurgel und steigt auf zum Gehirn. Das Auge wird blutunterlaufen, der Blick starr, wild auf den Feind gerichtet; alle Leidenschaften des Menschen vereinen sich in dieser fürchterlichen Wuth, welche den Soldaten beim Anblick des Blutes und im Getöse des Kampfes erfaßt.

Wie ich schon früher gesagt, hatte unsere Compagnie durch diesen stundenlangen Uebungskampf im „Scheibenschießen“ nicht viel zu leiden. Mein Unterlieutenant war in dem Augenblicke verwundet worden, als er einen Oesterreicher mit dem Kolben des Gewehres, welches er unserem von zwei Kugeln, die eine im Kopfe, die andere im Halse, getroffenen Sergeant-Major entrissen, niederstreckte.

Während dieser Zeit hatte unsere Artillerie Wunder gewirkt; ihre Kugeln lichteten zusehends die Reihen der Feinde, welche übrigens, aufrichtig gesagt, das donnernde Zwiegespräch in höchst anständiger Weise erwiderten.

Alles dies endete, wo es hätte anfangen sollen. Oberst Dumesnil stürzte verwundet vom Pferde, man umringte ihn, man rief „zum Bajonnet!“ und wir stürzten uns wie rasend auf die Kroaten. Sie empfingen uns festen Fußes; dies verdoppelte unsere Wuth; unser Lieutenant rief: „Cameraden, mit dem Kolben!“ und alle Kolben flogen in die Höhe. Der Feind wehrte sich verzweifelt gut, doch kam Unordnung in seine Reihen. Wir griffen wieder zur „Spicknadel“ (Bajonnet), und trieben ihn lustig bis Montebello zurück. Da wurde aber die Sache wieder ernster; der Feind verschanzte sich in den Häusern, schoß aus allen Fenstern auf uns,

  1. Um einen Einblick in das tiefe innere Getriebe des Krieges zu gewinnen, ist es nothwendig und für den Laien sicher auch anziehend, die bald blutig rohen, bald rührenden und mitunter komischen Episoden, wir möchten sagen, die „häuslichen“ Scenen dieses bewegten Treibens im Spiegelbilde ummittelbarer Anschauungen näher zu betrachten. Durch die Strenge des österreichischen Generalcommando’s ist es unsern zwei Correspondenten, die sich im Interesse unserer und dreier anderen Zeitschriften in’s österreichische Lager begeben halten, fast eine Unmöglichkeit geworden, dergleichen Bilder aus unmittelbarer Anschauung zu liefern, und wir sind deshalb unserm Schweizer Correspondenten sehr dankbar, daß er uns durch Uebersendung der obigen Skizze in den Stand setzt, unserm Versprechen nachzukommen. Die obenstehende Mittheilung ist dem Briefe eines Schweizers an seine Angehörigen in Tessin entnommen, der augenblicklich als Unterofficier in der französischen Armee dient. Wir hoffen schon in der nächsten Zeit auch aus dem österreichischen Lager ähnliche Bilder liefern zu können.      D. Redact.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_384.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)