Seite:Die Gartenlaube (1859) 407.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

unklare Empfindung hinaus, und begnügen sich mehr oder weniger entweder mit einem einseitigen technischen Vergnügen oder mit einer bloßen Gefühlsschwelgerei.

An diesem oft höchst oberflächlichen Musiktreiben bei der Mehrzahl ihrer Liebhaber, sind, wie überhaupt bei jedem Stocken, Rückschreiten oder Mißverstandenwerden der Kunst, die Künstler größtentheils selbst schuld, besonders die Lehrer, denen, auch wenn sie dazu fähig sind, in den seltensten Fällen beikommt, dem Lernenden nicht nur eine rein technische Seite der Musik zu zeigen, sondern ihm einen tiefern Einblick in die Geheimnisse der Kunst zu eröffnen. Höchst selten fällt es einem Lehrenden ein, mit dem Schüler die Kenntnisse der Harmonie und der musikalischen Gedanken- und Formenentwicklung zu üben, und so nach und nach ein tieferes Verständniß der Musik vorbereiten zu helfen, als es durch noch so vieles Clavierspiel, wenn es, wie häufig, rein mechanisch geschieht, zu ermöglichen ist.

Der die Kunst wahrhaft verehrende Liebhaber wird die anfänglich allerdings gehäuft erscheinenden Bemühungen nicht scheuen, aber in kurzer Zeit für die geistigen Genüsse, die ihm daraus erwachsen, dankbar sein. –

Die Musik ist, wie Sie wissen, die Kunst, durch Töne Empfindungen in uns zu erwecken. Diese Empfindungen können unmittelbar durch die Musik selbst in uns entstehen, sie können aber auch durch die Ahnung einer der Musik zu Grunde liegenden Idee hervorgerufen oder mindestens gesteigert werden. Entweder gibt uns der Künstler in seinem Werke ein freies Tonspiel, welches rein durch die Schönheit seiner Verhältnisse an sich das Gemüth und den Geist erfreut, oder die Musik dient, natürlich in den Grenzen, welche ihre Natur ihr auferlegt, einer höheren poetischen Idee zum Ausdruck.

Wir wollen uns zuerst mit derjenigen Musik beschäftigen, der wir außer dem rein musikalischen auch noch einen poetischen Inhalt zusprechen.

Der Quell aber, aus dem die Musik ihren idealen Inhalt schöpft, ist nicht die äußere Natur, auch nicht die Wissenschaft, sondern einzig und allein die Bewegungen des menschlichen Herzens. Die menschlichen Gefühle, Empfindungen und Leidenschaften in ihren verschiedenen Stärkegraden, Modifikationen, Wechseläußerungen und Widerspielen sind ihre Stoffe.

Also nur aus dem Gemüthe des Menschen nimmt die Musik ihren poetischen Inhalt, nicht aus der äußeren Natur. Eine Musik, welche Naturerscheinungen, Donner, Regen, Vogelgesang, Brausen des Meeres oder wirkliche Handlungen, z. B. Schlachten, Wettrennen etc. malend nachzuahmen sucht, greift in ein ihr nicht angehöriges Gebiet und steht ihrem idealen Gehalt nach auf niedriger Stufe. Sie opfert ihren eigenen Inhalt, und kann wirkliche Naturwahrheit doch nicht erlangen, hat daher höchstens decoratives Interesse.

Sie werden die Pastoralsymphonie von Beethoven kennen und mir entgegensetzen, daß sie trotz der darin enthaltenen Naturmalerei, Gewitter, Vogelgesang, Murmeln des Baches, Tanz der Bauern, doch ein sehr schönes Werk sei. Das ist auch wahr, aber nicht in der an und für sich vortrefflichen Naturnachahmung, sondern in der ganzen unendlich tief heitern und sonnigen Idee beruht seine Schönheit; die Naturmalerei könnte als solche füglich weggedacht oder gar nicht erkannt werden, und das Werk würde dadurch nichts verlieren. – Wie weit die Berechtigung der Tonmalerei im Komischen und andererseits in der Oper sich erstreckt, zu untersuchen, würde hier zu weit führen.

Die äußere Natur ist also für die Musik nicht da, ist kein Hülfsmittel für ihr Verständnis;, kein Maßstab für ihre Werke; aus unserer äußeren Naturumgebung heraus können weder Schönheiten noch Widersprüche oder Verkehrtheiten im Tonwerke nachgewiesen werden, wie es bei den bildenden Künsten der Fall ist. Hier wird uns ein Anhalt durch die Natur geboten, es erfreut sich unser von Kindheit an mit ihren Erscheinungen vertraut gewordener Sinn am erblickten Schönen, und verwirft das geradezu Falsche und Häßliche, indem es das Product des Künstlers entweder in Uebereinstimmung oder im Widerspruch mit der ihm bekannten Natur erblickt, womit jedoch keineswegs gesagt sein soll, daß die bildenden Künste nur auf der Naturnachahmung beruhten. In der Dichtkunst gelangen wir durch das Wortverständniß, wie bei der bildenden Kunst durch die Kenntniß der Natur, zum eigentlichen Inhalt des Kunstwerks. Die Producte der Musik sind aber eben so wenig durch das Wort zu versinnlichen, wie durch die äußere Natur zu begreifen.

Wenn nun die äußere Natur, ein Kunstwerk oder eine Dichtung, überhaupt ein nicht unmittelbar im Gemüth des Künstlers, sondern außer ihm Bestehendes nicht durch die Musik dargestellt werden kann, so kann doch der Künstler dadurch zur Production angeregt werden. Die durch eine Naturerscheinung oder durch ein Kunstwerk angeregte Phantasie des Künstlers vermag zwar nicht diesen Gegenstand selbst, wohl aber die durch denselben in ihm erweckten Gefühle wiederzuspiegeln. Die Anschauung, welche der Künstler von dem Gegenstande empfangen hat, kann auf sein Gemüth und seine musikalische Phantasie derart wirken, daß er in seinem Tonwerk durch musikalische Mittel eine ähnliche Gemüthswirkung auf uns hervorbringt, wie das Kunstwerk oder die Natur auf ihn ausgeübt hat. Das ist aber himmelweit von jener unmittelbaren Nachahmung verschieden. Dort war der Gegenstand selbst Stoff für die Musik – hier ist er nur Anregung des Gefühls und der Phantasie.

Von der Natur unmittelbar empfängt die Musik nur den Ton (eigentlich nur den Schall und den Laut) als unorganisches Material, wie der Maler und Architekt die rohen Farben und Bausteine. Die Kunst selbst hat diese unorganische, von der Natur dargebotene Tonwelt erst durch Unterwerfung unter Regeln und Gesetze sich dienstbar gemacht, und jene unorganischen Klänge zum ausdrucksfähigen Kunstmittel geordnet.

Eben so wenig wie die Musik unsere äußere Natur zu schildern vermag, ist sie im Stande, Begriffe und philosophische Ideen unmittelbar auszudrücken – mit unzweifelhafter Sicherheit könnte es nur die Dichtkunst, wenn es überhaupt Zweck der Künste wäre. Wenn auch die bedeutendsten Kunstwerke stets auf der Grundlage einer solchen allgemein religiösen oder sittlichen Idee entstanden sind (wie Händel’s Messias, Bach’s Matthäus-Passion, Beethoven’s 9te Symphonie), ein höheres Kunstwerk einer solchen Idee überhaupt gar nicht entbehren kann, so kommt doch diese nicht ihrem wissenschaftlichen Inhalt nach zum Ausdruck.

Eines selbstständig für sich in Worten denkbaren oder gedachten Inhaltes, der sich von der Musik, wie diese von ihm, abtrennen ließe, so daß (worauf es bei der Programmmusik hinausläuft) die Musik nur als Illustration eines für sich ausgearbeiteten poetischen Planes erscheint, bedarf die Tonkunst nicht. Bei der Gesangmusik scheint nun allerdings ein solcher Wortinhalt gegeben, aber nicht diesen Wortinhalt nach seiner wörtlichen und begrifflichen Bedeutung, sondern nur den dahinter ruhenden Gefühlsinhalt bringt die Musik zum Ausdruck. Diesen Gefühlsinhalt vermag sie aber in der Vocalcomposition zu einer Geltung zu erheben, zu der es der Wortausdruck allein nicht bringen kann.

Aus der Vereinigung der Poesie und Musik in der Vocalcomposition geht daher eine begriffliche Klarheit, verbunden mit einer Intensität des Gefühlsausdrucks hervor, daß in der That Veranlassung dazu wäre, dieser Musikgattung die höchste Stellung in der Tonkunst anzuweisen, besonders da die Musik keineswegs genöthigt ist, bei der Verbindung mit der Poesie von ihrer Eigenthümlichkeit etwas zu opfern. Sie soll beim engsten Anschluß an die Dichtung doch für sich selbstständig freie Kunst bleiben, nicht aber dienende Magd des einzelnen Wortes werden.

Bei der reinen Instrumentalmusik aber, welche ihre eigene Logik, abgetrennt von jedem Worte, für sich hat, erscheint ein erklärendes, gemeinhin nur an Aeußerlichkeiten anknüpfendes Wortprogramm nur störend. Es ist ganz der Natur unserer Kunst zuwider, uns zwingen zu wollen, daß wir Dinge aus der Musik herausverstehen sollen, die doch die Kunst selbst, ihrer innersten Bestimmung nach, nicht klar darzustellen vermag. Der ganze Kunstgenuß, von welchen, bei solchen Programmmusiken deshalb fast nie die Rede ist, wird auf eine kleinliche Spielerei des Verstandes reducirt.

Also ebensowenig, als wir die Formen der Musik in der äußeren Natur vorgebildet fanden, ist auch ihr Inhalt bis in’s Einzelne bestimmt in Worten darstellbar und mittelst unserer Sprache faßlich. Der einem Musikwerke zu Grunde liegende Gedanke kann nur geahnt werden und hüllt sich vor jeder bestimmteren Erklärung durch das Wort in einen undurchdringlich geheimnißvollen Schleier. Als Ersatz für den Mangel an bestimmt ausgesprochenen Ideen führt uns die Musik in jene höchsten und tiefsten Regionen der Empfindung und des Gefühls, wohin, wie gesagt, nur unsere Ahnungen reichen, die aber jeder Wort- und Bildsprache verschlossen bleiben.

Wodurch vermag nun aber die Musik einen Gefühlsinhalt so darzustellen, daß der Hörer denselben mit zu empfinden im Stande ist und zu verstehen glaubt?

Das einzige Mittel ist die Analogie, das Gleichniß, wie es

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_407.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)