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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Han. Einfacheres kann es nichts geben, als die Einrichtung eines solchen Gasthauses; das ganze Meublement besteht aus einer an drei Wandseiten des Gemachs hinlaufenden breiten hölzernen Pritsche, die als Bett, Divan und Tisch dient. Hier saßen und lagen Türken jeden Alters und Standes; der Eine in süßer Ruhe, der Andere im Begriff, Toilette zu machen und den Turban um den Kopf zu winden, der Dritte mit ernster Miene seine Pfeife vorbereitend; man hätte denken sollen, unser plötzlicher Eintritt habe Verwunderung, Mißfallen erregen müssen – keineswegs, nur einen gleichgültigen Blick warfen die berechtigten Gäste auf die Eindringlinge, dann wurden diese nicht weiter beachtet. Nichts von jener dummen Neugier, die sich in öffentlichen Localen gewisser Städte des Abendlandes sogleich in allen Gesichtern spiegelt, wenn ein Fremder sich dahin verirrt; nichts von der unverschämten Zudringliehkeit, welche ein Examen beginnt mit Jedem, der das Unglück hat, in ihre Nähe zu gerathen; nichts von der Genialität gebildeter Kellner, die sich die Zähne stochern, wenn der Gast nach Bier schreit, wie der Hirsch nach frischem Wasser.

An der vierten Wand des Saales, neben der Eingangsthüre, hatte der unentbehrliche Kaffeewirth sein Büffet aufgeschlagen; es ist wahr, es sah etwas ärmlich aus und entsprach keineswegs den Anforderungen der Reinlichkeit, immer aber noch besser, wie in den fränkischen Locanden. Wir verlangten Kaffee; aus einer zinnernen Dose schüttete der Garçon das dunkelbraune, mehlfein zermahlene Pulver in die kleine, einem halben Ei ähnliche Tasse, ließ heißes Wasser darauf laufen, daß das Getränk schäumend emporwallte, und das Labsal war fertig. Es mundete trefflich und die anwesenden Türken schienen sich über unsere sichtbare Approbation zu freuen. Der Divan – um hochtrabend zu reden – der linken Seite des Saales war von einer Gruppe egyptischer Marinesoldaten eingenommen. In diesem Augenblick ließ sich Einer von ihnen, ein junger, frischer Bursche mit mehreren Medaillen auf der Brust, die Guzla reichen, die kleine persische Laute mit gekrümmtem Hals und mit nur drei Metallsaiten bezogen, und zu dem eintönigen Geklimper derselben begann er mit lauter, etwas von der rauhen Seeluft belegter Stimme einen merkwürdigen Gesang, dessen Melodie sich in nur wenigen Noten bewegte. Leider verstanden wir kein Wort davon, aber der Text, der augenscheinlich imvrovisirt und an uns gerichtet war, schien den allgemeinen Beifall zu erwecken. Lustig nickten die Krieger darein, die entfernter Placirten näherten sich, draußen auf der Gallerie erhoben sich die phlegmatischen Osmanlis, und ihre bärtigen Gesichter unter den bunten Turbanen bildeten einen höchst frappanten Hintergrund. Da waren wir mitten in Gulistan, und der Schenke kredenzte sodann, um das Märchen abzurunden, königlichen Scherbet in diamantenen Pokalen – aber ach, es zog uns sofort mit Gewalt in die alltägliehe Wirklichkeit zurück. Es war eine Art fader Mandelmilch, matt wie Louisens Limonade, und die Gläser, worin dieser altberühmte Trank servirt ward, waren mit ganz Anderem incrustirt, als mit Smaragden und Topasen. Ich wandte mich nach dem Versuch mit Ekel ab, da reichte mir gutmüthig ein Sohn des alten Nil den kurzen Tschibuk vom eigenen Munde weg, wobei er die ganz untürkische Aufmerksamkeit hatte, die kugelige Hornspitze mit Etwas abzuwischen, das er unter der Brustwatte des Waffenrocks hervorzog, und worüber ich noch im Zweifel bin, ob es ein Gewehrputzlumpen oder ein ähnliches Utensil der Reinlichkeit war; laut schrie ich ihm auf Deutsch zu, sein Mund ekele mich weniger an, wie alles Andere – worauf, als hätten sie’s verstanden, ein heller Ausbruch fröhlichen Gelächters folgte. Dann kam ein zweiter Wohlthäter, hob den Deckel von einer gläsernen, im Laufe der Zeit milchig trüb gewordenen Vase und lud uns ein, zuzulangen, indem er fortwährend ausrief: „Rachat lakum – buono, buono!“ Aber auch der süßliche Pomadengeschmack dieser rosenrothen Gallerte, einer im ganzen Orient berühmten Leckerei, vermochte uns nicht mehr zu fesseln. Wir verabschiedeten uns von den freundlichen Insassen des Han’s; ringsum ertönte in tiefen Gaumenlauten das „Salam alächum“ – die Alten auf der Gallerie nickten mit den Köpfen, wie chinesische Pagoden – und fernhin scholl noch der monotone Mollgesang zur Laute, vielleicht ein Abschiedslied für die Fremdlinge. So nahmen wir doch eine hübsche Erinnerung aus Sulina mit.

Am Nachmittag versuchten wir unser Jagdglück an dem linken Ufer, und wanderten im heißesten Sonnenbrand auf gut Glück hinein in das Schilf, einem schmalen ausgetretnen Pfade folgend. Weiter und weiter drangen wir in das Schilfmeer. Mit bleierner Schwere lag die Gluth des Himmels über dem Morast, eine schwüle, dicke, fast greifbare Atmosphäre umgab uns und schien sichtbar aus dem morschen Boden zu brodeln. Man konnte sich zwischen den Bayous in Louisiana wähnen, und es fehlten auch nicht die Peiniger „mit den scharfen Gesichtern“, denn Milliarden von Fliegen und Mücken waren die einzigen Thiere, die wir zu sehen bekamen, aber mit dem Unterschied, daß sie uns jagten und Blut abzapften nach Herzenslust. Diese nichtswürdigen „Gelzen“, welche die ganze untere Donau unsicher machen, sind eine von den allerverwünschtesten Landplagen, und einfache Bekleidung hilft nicht einmal gegen ihre perfiden Saugrüssel.

Etwa eine Stunde lang waren wir im Schweiße unseres Angesichts – oder vielmehr Leibes – in dem Schilfwald umhergestelzt, tättowirt am ganzen Körper, Antlitz und Hände gezeichnet, als seien wir Reconvalescenten der Pocken – immer drückender lastete die dumpfe Hitze auf uns, die Zungen klebten am Gaumen und wir betrachteten den Himmel, um uns nach der Sonne Stand zum Rückweg zu wenden – da schreckte mich plötzlich ein dringliches Zeichen meines um hundert Schritte voraus geeilten Begleiters, des Ingenieurs, aus der apathischen Ermüdung auf, die mich gänzlich hatte vergessen lassen, daß ich eine Flinte trug und auf der Jagd war. Nun aber erwachte auf einmal wieder der alte Eifer, mit gespanntem Hahn schritt ich aufmerksam voran, bis ich den Gefährten ereilte, der in großer Aufregung mir ganz leise zuflüsterte: „Ein Eber! – zwei – noch einer!“

Unsere Jagdfreude dauerte indeß nicht lange, denn je näher wir kamen, je sonderbarer sahen diese Wildsauen aus – sie trugen dicke Pelze, einige sogar Hörner – mit einem Wort, sie verwandelten sich in eine ehrsame Schafheerde, und zwar noch gerade zu rechter Zeit. Jetzt trat auch der bulgarische Hirt mit zwei riesigen Hunden hervor, und alle drei blickten und knurrten nicht schlecht, als sie uns plötzlich wie aus dem Boden gewachsen mitten im unwirthbaren Schilf erblickten. Auf welcher Seite beider Parteien übrigens das Mißtrauen größer gewesen ist, wage ich nicht zu entscheiden. Ohne Gruß und Wortwechsel, aber mit öfterem Umblick, entfernten wir uns von der wilden Gestalt, mit der breitmäuligen Tromblone auf der Schulter und den beiden wölfischen Wächtern. Und nunmehr drang auch das Rauschen der Brandung deutlich an unser Ohr, ward unser Führer, der uns nach einem halbstündigen Marsch an das sandige Meeresgestade nördlich von Suline Bogasi brachte.

Wir bedurften sehr der Ruhe, noch mehr der Erfrischung; die schäumenden Wellen lockten so verführerisch, daß wir nach kurzer Rast auf dem feuchten Sand uns in ihre wohlige Umarmung schwangen. Wie herrlich war dies Bad in der kühlen, wallenden See! Ein paar hundert Schritte von uns entfernt ragte ein schwarzes Wrack aus der Tiefe empor; wir schwammen darauf zu, und umkreisten es mehrmals, aber an Bord zu kommen, war nicht möglich, denn einerseits war von Bord nicht viel mehr vorhanden, und sodann brach das Holz, sobald man es ergriff, in morsche Späne auseinander. Wir konnten uns sobald von dem erfrischenden Elemente nicht trennen – so oft wir das Ufer gewonnen hatten, zogen uns die schelmischen Wellenmädchen wieder zurück in ihre feuchten Arme – wir sanken hin und wurden nicht mehr gesehen, bis auf dem Kamme der nächsten Woge. Vom Strand aus konnten wir den Leuchtthurm und ein Stück der Stadt Sulina sehen. Plötzlich lagerte sich auf derselben ein dichter rother Qualm, gleich darauf züngelten hohe Flammen empor.

„Die Stadt brennt!“

„Lassen Sie dieselbe in Gottes Namen abbrennen!“ sagte mein Begleiter sehr ruhig, „sie ist nichts Besseres Werth.“

„Wollen wir nicht hin, helfen, retten?“

„Fällt uns gar nicht ein,“ erwiderte er, „hier ist es viel gemüthlicher. Die deutsche Feuereimersucht ist dort nicht am Platz; Sie wurden riskiren, geprügelt oder bestohlen zu werden; hier zu Land löscht Niemand, als wer dazu verpflichtet ist.“ Er hatte sehr recht, der erfahrene, schon lange im Orient ansässige Mann, doch aber mußte ich oft hinüber schauen nach der rothen qualmenden Wolke und Gewissensbisse ob meiner Unthätigkeit in solcher Gefahr bekämpfen.

Nach einer Stunde begaben wir uns auf den Heimweg, und schlenderten gemächlich das Ufer entlang, bis an die äußerste Ecke, wo vor einer Stunde ein Dampfer der „Messagerie imperiale“ Anker geworfen hatte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_416.jpg&oldid=- (Version vom 28.7.2023)