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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

sie einmal von Kaiser und Reich keine Hülfe mehr erwarten konnte, über kurz oder lang doch fallen mußte.

Ludwig hatte erklärt, er werde Straßburg mit Gewalt der Waffen zwingen, und dem Kaiser Leopold saßen die Türken und die rebellischen Ungarn auf dem Halse. Das System, welches ihm die Jesuiten angerathen hatten, und das er, stupid wie er war, treulich befolgte, rächte sich an ihm. Der Franzose gewann im Westen freie Hand. Frischmann schmiedete Ränke; der Stadtrichter Johann Georg von Zedlitz war mit ihm im geheimen Einvernehmen; er wird in einem Briefe an Ludwig als „Wohlgesinnter“, d. h. für die französischen Absichten brauchbarer Mann geschildert, welcher bedauere, daß die Stadt so unglücklich gewesen sei, sich eine Minderung in Sr. Majestät Huld und Gnade zugezogen zu haben. Diese Besorgniß habe er mit tiefer Unterthänigkeit und Ehrfurcht für Se. Majestät begleitet. Zedlitz sei bereit, mit ihm, Frischmann, in einen angelegentlichem Verkehr zu treten, als die übrigen Mitglieder des Rathes. In einem andern Briefe meldet Frischmann dem Könige, die Rathsherren seien gegeneinander von tödtlichem Haß erfüllt, alle hätten einzeln ihm ihre Dienste angeboten, aus gegenseitiger Eifersucht. Zu diesen Verräthern gehörten, außer dem Stadtrichter von Zedlitz, der Stadtschreiber Güntzer und die Senatoren Obrecht und Stößer. Obrecht war der Verworfenste; er hatte schon früher dem französischen Hofe insgeheim Vorschläge gemacht und hervorgehoben, wie zweckmäßig es sei, wenn derselbe einen königlichen Prätor in Straßburg bestelle, welcher die Aufsicht über das ganze Stadtwesen führe und des Königs Interessen wahrnehme. Der Hof ging darauf ein, und Obrecht, um Prätor zu werden, wurde katholisch. Derselbe König Ludwig, welcher das Edict von Nantes aufhob und die Protestanten durch Dragoner niedersäbeln ließ, arbeitete auch darauf hin, den ganzen Magistrat von Straßburg katholisch zu machen, und auch der Rathsschreiber Christoph Güntzer ließ sich bekehren, nachdem ihm Amt und Gehalt eines königliehen Consulenten zugesichert worden war. Der vierte Verräther, Stößer, galt vor den Leuten für gut deutsch und kaiserlich, und Frischmann war in nicht geringem Maße überrascht, als jener sich erbot, für die französische Sache zu arbeiten. „Ich unterlasse nicht, Herrn Stößer fortwährend zu liebkosen, und ihm in der Ferne die Aussicht zu zeigen, wie er sich des Wohlwollens Eurer Majestät würdig machen könne.“

Also Verrath war in Straßburgs Mauern allerdings; alle Einzelheiten desselben sind uns freilich nicht bekannt geworden, und das liegt in der Beschaffenheit der Sache. Genug, daß die Sache selbst feststeht. In dieselbe spielen mancherlei interessante, geheimnißvolle Dinge hinein, welche erst 1817 an’s Licht kamen und die ich Dir mittheilen will, weil sie zeigen, in welcher Weise man am Hofe Ludwigs des Vierzehnten intriguirte.

Im Monat August 1681 waren alle Vorbereitungen getroffen, um in den nächsten Wochen den entscheidenden Schlag zu führen. Mordbrenner und Kriegsminister Louvois schrieb an den französischen Intendanten der Provinz Elsaß, La Grange, der in’s Geheimniß gezogen war: Am 10. September würden die Verhaltungsbefehle, über welche er mit ihm (Louvois mit La Grange) in St. Germain persönliche Rücksprache genommen, in der Abtei Lurn (in der Franche Comté, Freigrafschaft Burgund) anlangen. Der Intendant möge dafür sorgen, daß zwei zuverlässige Leute die Ueberbringer in dem Wirthshause neben der Abtei in Empfang nehmen. Diesen solle La Grange einen versiegelten Brief an einen Herrn Mezières geben, in welchem die Worte stehen müßten: „Ich bitte Sie, denen, welche Ihnen diesen Brief überreichen, das Ihnen von Herrn von Louvois anvertraute Paquet einzuhändigen.“ Zugleich solle der Intendant sich nach Belfort begeben und eine Besichtigung der dortigen Festungswerke zum Vorwande nehmen; dort habe er die Rückkunft seiner Leute abzuwarten, die am Hute ein blaues und gelbes Band tragen müßten, damit die von Louvois beauftragten Männer sie sogleich zu erkennen vermöchten.

Diese geheime Geschichte, so viel ist ausgemacht, steht mit dem Raube Straßburgs ebensowohl im Zusammenhange, wie eine andere, die nicht minder mysteriös, aber noch viel spannender ist. Louvois ließ in Paris einen Herrn von Chamilly zu sich entbieten und gab ihm Verhaltungsbefehle zu einer wichtigen Sendung: „Sie müssen noch heute Abend nach Basel in der Schweiz abreisen und binnen drei Tagen dort angelangt sein. Am vierten Tage Schlag zwei Uhr müssen Sie auf der dortigen Rheinbrücke stehen, Papier, Feder und Tinte bei sich haben, Alles, was um Sie her vorgeht, mit der größten Genauigkeit zwei Stunden lang beobachten und sorgfältig aufschreiben. Schlag vier Uhr nehmen Sie Postpferde, fahren Tag und Nacht und bringen mir Ihre Beobachtungen. Sofort, nachdem Sie hier eingetroffen sind, kommen Sie zu mir, gleichviel, welche Stunde es sein möge.“

Chamilly that, was ihm befohlen war, stand zur anberaumten Zeit auf der Rheinbrücke in Basel und schrieb Alles, was er sah, genau auf. Eine Frau ging mir Marktkörben vorüber, Leute trugen Lasten, Wagen fuhren hin und her und dergleichen mehr. Etwa um drei Uhr blieb mitten auf der Brücke ein Mann stehen, der Hose und Weste von gelber Farbe trug; er trat an die Brüstung der Brücke, lehnte sich hinüber, sah nach dem Rheine hinab, trat dann einen Schritt zurück und pochte mit seinem großen Spazierstocke drei Mal stark auf das Pflaster des Fußweges. Chamilly notirt auch diesen Vorfall, setzt sich um vier Uhr in den Wagen, eilt so rasch als möglich nach Paris und begibt sich gleich nach seiner Ankunft um Mitternacht zu Louvois, dem er sein Papier überreicht. Der Mordbrenner greift hastig zu, liest von der Marktfrau, dem zerlumpten Bauer, dem Manne zu Pferde im blauen Rocke und dergleichen mehr. Dann, als er bei dem Manne mit der gelben Weste ankommt, springt er vor Freude auf. Sogleich eilt er zu seinem Könige und fertigt, nachdem er mit demselben längere Rücksprache genommen, vier Eilboten ab, die schon bereit gehalten waren. Wenige Tage nachher, an dem unglückseligen 30. September 1681, war Straßburg in französischer Gewalt. Wohl nicht mit Unrecht hat man vermuthet, das dreimalige Pochen mit dem Stocke auf der Baseler Rheinbrücke sei das verabredete Zeichen über das Gelingen des in Straßburg eingeleiteten Verrathes gewesen, und eben so wahrscheinlich hat der Mann in der gelben Weste von dem, was das Aufpochen bedeuten sollte, nichts gewußt.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Aus dem Skizzenbuche eines Weltmannes.[1] Nr. 1. Während eines längeren Aufenthaltes in Frankreich, namentlich in Paris in den Jahren 1841 bis 1848, wohnte ich daselbst au 2ième de la rue du Helder, da wo die rue Taitboud, vom Boulevard des Italiens kommend, gerade auf das Portal des Hauses zustößt. Eigenthümer desselben war ein alter emeritirter Präsident eines Tribunals der Seine, Mr. de Grand’ Maison; er bewohnte den ersten Stock mit seiner Gattin allein.

Es sind mir in meinem reich bewegten Leben selten zwei Personen vorgekommen, die in ihrer ganz besondern charakteristischen Eigenthümlichkeit mir auf einmal ein so lebhaftes Interesse einzuflößen vermocht hätten. Er, ein stattlicher großer Herr (in vertrauten Abendstunden noch mit der zuckerhutähnlichen in Frankreich gewöhnlichen Nachtmütze geziert), der Alles mit einer gewissen Abgemessenheit that, die aber nie die Grazie und heitere Gemächlichkeit vermissen ließ. Madame de Grand’ Maison war, obgleich etwas sehr stark und rund, dennoch überaus graziös in allen ihren Bewegungen, und bei der geringsten Veranlassung trat eine Lebendigkeit hervor, die verrieth, was sie in ihren früheren Jahren gewesen sein mußte. Beide gaben ein treues Bild jenes Geschlechtes, das wir nächstens nur aus Büchern kennen werden. Ihrer Stadtwohnung sowohl wie dem in reizender Umgebung gelegenen Landhause in Ecouen (bei St. Denis) war ganz der Charakter ihrer Herrn aufgeprägt, inwendig und auswendig. Die unfehlbar geraden Steige und Pappelalleen draußen correspondirten mit den die Wände regelmäßig entlang stehenden, reich vergoldeten, aber entsetzlich harten Sesseln im Hause. Dabei fehlten im Garten eben so wenig manche geschmackvolle Blumenanlagen, als im Innern die gefällig um den Kamin geordneten Fauteuils oder die kostbaren Bronzeverzierungen, die Pendulen, Wandleuchter etc. Die dichtverhüllten Fenster mit den dicken, reichen Teppichen verliehen dem Ganzen das Gemächliche. Vorsäle, Fußböden, Treppen waren spiegelglatt. Mr. de Grand’ Maison (wie direct oder indirect seine Gemahlin ihn stets nannte) war alt, sehr alt und mit einem schneeweißen Haupte geschmückt. Nichts war interessanter, als in den Dämmerstunden von dem Herrn des Hauses, er auf der einen, sie auf der andern Seite des Kamins in steif ceremonieller Haltung sitzend, in der ihm eigenthümlichen, scherzhaften Weise Erinnerungen aus seinem Leben erzählen zu hören. Wenn ich auch nur wenige Schritte zu ihm herunter hatte, selbst die Thüren offen fand, so mußte dennoch der Diener beide Flügelthüren öffnen und laut meinen Namen in das Zimmer hineinrufen, worauf Herr und

  1. Unter diesem Titel werden wir eine Reihe memoirenartiger Mittheilungen geben, die wir der Freundlichkeit eines hochgestellten deutschen Staatsmannes verdanken, dessen Namen man an deutschen, sowie an den englischen und französischen Höfen sehr gut kennt.
    D. Redact.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_419.jpg&oldid=- (Version vom 28.7.2023)