Seite:Die Gartenlaube (1859) 422.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

nun wurde ich auf einmal wach. Meine Stube liegt nach dem Garten hin. Ich meinte, in dem Garten ein Geräusch zu hören, dicht unter meinem Fenster. Dort war das Beet, in dem ich mein Geld vergraben hatte. Ich sprang auf. Da sah ich einen Menschen, der in der Richtung von dem Beete fortlief. Ich erkannte ihn in der Dunkelheit nicht; aber er mußte mich bemerkt haben. Er lief fort und sprang über die Gartenhecke. Dann sah und hörte ich nichts mehr von ihm. Ich wartete noch eine halbe Stunde. Nun mußte ich aber wissen, ob ich bestohlen sei oder nicht. Ich ging in den Garten, nach dem Beete. Die Erde war aufgewühlt, an der nämlichen Stelle, an der ich mein Geld verborgen hatte. Ich mußte mich überzeugen, ob es noch da sei. Ich eilte in das Haus zurück, holte einen Spaten und grub die Erde weiter auf. Das Geld war noch da; ich hatte den Dieb unterbrochen. Aber es war einmal verrathen und ich nahm es zu mir, um es in das Haus zu tragen. In demselben Augenblicke erhielt ich einen Schlag in den Nacken, und der Beutel, in dem mein Geld war, wurde mir aus der Hand gerissen. Der Mensch, den ich vorher gesehen, mußte in der Nähe des Gartens geblieben und, als ich den Spaten holte, wieder hineingekommen sein. Während ich dann grub, hatte er sich an mich herangeschlichen, um mich des Geldes zu berauben. Nachdem er nun im Besitz desselben war, wollte er damit fortspringen, aber ich hatte ihn trotz des Schlages schon gefaßt, hielt ihn fest und rief um Hülfe. Er suchte sich loszureißen, aber es gelang ihm nicht; denn ehe er entkommen konnte, waren die Nachbarn da, und er mußte sich ergeben. Wir erkannten in ihm den Bauer Heimann. Das Geld wurde von den Nachbarn selbst noch in seinen Händen gefunden. Er hatte die freche, gottlose, aber, Gott sei Dank, einfältige Ausrede, ich hätte ihm das Geld gestohlen und er habe nur sein Eigenthum wiedergeholt.“

Das war die Erzählung des frommen Mannes. Sie war innerlich glaubwürdig, denn sie wurde mit allen Zeichen der Wahrheit vorgebracht. Ich selbst hätte, wenn ich nicht vor vier Nächten in dem Heimann’schen Hause gewesen wäre, in sie keinen gegründeten Zweifel setzen können, dagegen die Behauptung des Heimann, er habe nur sein ihm gestohlenes Eigenthum zurückholen wollen, für eine nicht seltene, aber in der That eben so freche, wie einfältige Diebesausrede halten müssen. Wie um so mehr fest und unerschütterlich mußte die Ueberzeugung der Leute sein, die in Keller nur den frommen, wohlthätigen Mann, in Heimann aber nur einen von Gott gezeichneten Dieb sahen! Die Ermittelung der Wahrheit mußte mir hier sehr schwer werden. Ich hatte bis jetzt nur wenige Fragen an den frommen Mann.

„In welcher Weise konnte an Heimann die Stelle verrathen sein, wo Sie Ihr Geld vergraben hatten?“

„Ich habe zuweilen in der Nacht, wenn ich mich allein glaubte, nach meinem Gelde gesehen. Der Spitzbube, der wußte, daß ich manchmal armen Leuten aus der Noth helfe, also Geld haben muß, mag schon lange um mein Haus herum spionirt haben.“

Die Angabe war glaublich.

„Seit welcher Zeit haben Sie das Geld draußen vergraben?“

„Seit einem halben Jahre, seitdem die vielen Diebstähle in der Gegend vorkommen.“

„Wie viel betrug die gestohlene Summe?“

„Gerade dreihundert Stück preußische Friedrichsd’or.“

„Lauter Preußische Goldstücke?“

„Es war kein fremdes darunter.“

„Seit wann hatten Sie die Summe liegen?“

„Ich habe sie schon vor neun Jahren mit hierher gebracht. Sie sollte mein Nothpfennig bleiben, der nicht angerissen wurde.“

Da mußte ich ihn haben. Es wäre ein kaum anzunehmender Zufall gewesen, wenn unter den dreihundert Goldstücken sich nicht ein einziges mit der Zahl eines der letzten acht Jahre gefunden hätte. Allein der fromme Mann war gewandt. Ruhig und unbefangen setzte er, fast ohne daß er sich unterbrochen hatte, hinzu:

„Aber ich habe eine Eigenheit; ich liebe die neuen, blanken Goldstücke, und wenn ich welche einbekam, so vertauschte ich damit ältere.“

Ich schritt zur Vernehmung Heimann’s. Es war auffallend, wie er mir gegenüber trat. Wer ihn nicht kannte, wer nichts von meinem Verdachte gegen ihn wußte, konnte in seinem Benehmen nur das Bewußtsein des schuldigen und auch seiner Ueberführung gewissen Diebes finden. Er war ängstlich, gedrückt und konnte mich nur scheu ansehen. Ich hielt ihn dennoch für unschuldig an dem Diebstahle, und von meinem früheren Verdachte in Betreff seiner früheren Verbrechen konnte er nichts wissen. Ich hatte ihn gegen keinen Menschen geäußert, am allerwenigsten gegen ihn oder seine Frau. Letztere hatte er übrigens seit gestern nicht wieder gesehen. Sein Benehmen war mir gleichwohl erklärlich und eine Bestätigung meines Verdachtes. Er war bei aller seiner Verschlagenheit, bei allen seinen Verbrechen muthig und rasch entschlossen und zugleich ein Mensch, in dem ein besseres Gefühl nicht ganz ausgestorben war. Schon jene Alles aufopfernde und Alles wagende Liebe für das Mädchen, das er verführt hatte, für seine Frau zeigte das. Solche Menschen können – ich hatte das oft erfahren – niemals lange dem Criminalrichter, dem Inquirenten gegenüber den Standpunkt des frechen Leugnens festhalten; ihr besseres Selbst trägt bald den Sieg über ihre Verbrechernatur davon. So war es unstreitig auch ihm früher ergangen. Er kannte sich. Schon das Gefühl, sich wieder in den Händen eines Inquirenten zu sehen, drückte, ängstigte ihn jetzt wieder. Allein ich inquirirte ihn nur über den Diebstahl, und er ermannte sich bald, denn hier fühlte er sich unschuldig.

„Sie werden beschuldigt, heute Nacht einen Raubanfall gegen den Einwohner Keller verübt zu haben.“

„Herr Director, darf ich jener Nacht erwähnen?“ fragte er und zeigte dabei auf meinen Protokollführer.

„Gewiß.“

„Ich hatte Ihnen damals gleich gesagt, daß ich Verdacht hätte, wer der Dieb sei.“

„Sie hatten es.“

„Ich hatte Ihnen auch meine Verdachtsgründe angegeben.“

„Ich erinnere mich.“

„Der Einwohner Keller war der Mann, von dem ich sprach. Um mich zu überzeugen, ob ich Recht hatte, habe ich seitdem Nacht für Nacht an seinem Hause auf Wache gestanden. Ich dachte mir, der alte Dieb, der für sich allein lebt und nichts verzehrt, sei auch ein alter Geizhals, der seine zusammengestohlenen Schätze sich besehen und nachzählen müsse. Das werde er nur des Nachts thun, wenn er sich allein und vor Störung sicher glaube. Ich wollte ihn dabei ertappen, ihn überfallen und so wieder zu dem Meinigen kommen. Auf einem anderen Wege hätte ich es nicht wieder erlangt. Zwei Nächte wachte ich vergebens. Heute Nacht kam es, wie ich gedacht hatte, doch nicht ganz so. Der Dieb hatte nicht gewagt, das gestohlene Gut in seinem Hause zu verwahren; er hatte es draußen in seinem Garten vergraben, freilich gerade unter dem Fenster, an dem er schlief. In der Nähe dieses Fensters wachte ich. Es war auch heute Nacht dunkel in seiner Stube, wie in den beiden Nächten vorher. Aber bald nach Mitternacht hörte ich leise eine Thür im Hause gehen. Gleich darauf kam der Alte heraus in den Garten. Ich dachte anfangs, er wolle durch den Garten auf neue Verbrechen ausgehen; aber er blieb in der Nähe des Hauses und ging blos bis unter das Fenster seiner Schlafstube. Er hatte einen Spaten bei sich und fing an, mit demselben in dem Beete unter diesem Fenster zu graben. Nun wußte ich, was er wollte. Ich hielt mich in meinem Versteck ruhig, bis er mit Graben fertig war. Er hob etwas aus der Erde hervor. Ich zweifelte nicht, daß es mein Geld sei. Jetzt sprang ich auf ihn zu, entriß ihm mein Geld und wollte nun damit fort, aber er hielt mich fest und rief um Hülfe. Auf diesen Hülferuf kamen die Nachbarn herbei, und ehe ich mich von ihm losmachen konnte, hatten diese mich gefangen.“

Diese Erzählung klang für Jeden, der das Vorhergegangene nicht kannte, völlig erfunden; mir war sie desto glaubhafter. Auch der Protokollführer schenkte ihr Glauben, nachdem ich ihm meine Abenteuer in dem Heimann’schen Hause mitgetheilt hatte. Allein hier, zumal für den Augenblick, kam es auf etwas Anderes an. Die noch immer draußen harrende Menge mußte von der Wahrheit überzeugt werden, und nicht blos, um sie für den Augenblick zu beruhigen. Unzweifelhaft lag, wenn ich das von mir selbst Erlebte zu den Acten gab, die Sache schon jetzt so, daß kein Gericht Heimann als den Dieb bestrafen würde. Gleichwohl erklärte das allgemeine, tief und fest eingewurzelte Vorurtheil des Volkes ihn für den Dieb. Dieses Vorurtheil hielt dann jenen Richterspruch für einen ungerechten. Der Glaube an das Recht erlitt eine tiefe Erschütterung, – das schwerste Unglück, von dem ein Land betroffen werden kann! Das geheime Verfahren in der verschlossenen Inquirentenstube war nicht geeignet, das Vorurtheil zu vernichten, die Wahrheit zur allgemeinen Kenntniß zu bringen. Und doch lag mir

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_422.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)