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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

dreihundert Goldstücke hier in dem Garten vergraben hatte, wo kein Dritter sie vermuthen konnte, so wird er auch das übrige gestohlene Gut hier verborgen haben. Und wie das weiße Stäbchen, an das die Rose dort festgebunden ist, ihm zum Wahrzeichen für das Wiederfinden dienen konnte, so kann es auch mit den anderen Stäbchen der Fall sein. Graben Sie, Executor.“

Die Bauern wollten mich wohl kopfschüttelnd ansehen. Aber als sie dann den angeblichen Beraubten, Keller, ansahen, wie den frommen Mann unterdeß auf einmal alle seine Ruhe, all sein Trotz verlassen hatte, wie er leichenblaß geworden war, wie er zitierte, und wie er sogar vergaß, fromm zum Himmel und demüthig zur Erde zu blicken, da schüttelten sie die Köpfe nicht mehr, ihre Gesichter wurden bedenklich, sie wurden sehr still und sahen mit der gespanntesten Erwartung nach dem Executor mit dem Spaten. Und auch rund um den Garten, wo man meine Worte gehört hatte, war die tiefste, erwartungsvollste Stille eingetreten.

„Hier rechts von der Blume graben Sie, Executor.“

Ich sprach es laut, daß Alle es hören konnten. Der Executor grub. Keller wurde zusehends blässer, und ich um so sicherer, daß ich auf der richtigen Spur war.

„Drei Fuß rechts von der Blume, Executor. Gerade so weit war auch jenes Geld von der Rose entfernt.“

Keller konnte sich kaum noch aufrecht erhalten. Der Executor hielt an mit Graben.

„Was gibts?“

„Ich stoße auf etwas Hartes.“

„Graben Sie es los.“ Er grub weiter.

„Es ist ein Topf.“

„Nehmen Sie ihn heraus.“

Er holte einen Topf aus der Erde hervor und übergab ihn mir. Ich nahm den Deckel ab. In dem Topfe lag ein lederner Beutel, den ich herauszog. Er war gefüllt. Ich hielt ihn in die Höhe, daß Alle ihn sehen konnten.

„Mein Beutel!“ rief der alte kleine Bauer, der heute das größte Wort geführt hatte.

„Irrt Ihr Euch nicht?“

„Mein Beutel! Es müssen achtzig Thaler darin sein, gerade achtzig, in harten Thalerstücken, darunter zwei Mannsfelder Bergsegen.“

„Wir werden zählen.“

„Und auch mein Ring muß darin sein, wenn der Spitzbube ihn nicht anders untergebracht hat.“

Ich öffnete den Beutel und zählte das Geld, offen, laut, daß alle Anwesenden folgen konnten.

„Achtzig Thaler, gerade! Und hier sind auch die beiden Mannsfelder.“

Auf dem Grunde des Topfes lag noch ein zusammengewickeltes Papier, das ich gleichfalls vorzeigte.

„Das wird mein goldener Ring sein!“ rief der alte Bauer.

„Beschreibt ihn.“

„Der Trauring meiner seligen Frau, die Buchstaben F. K., müssen darin stehen.“

Ich öffnete das Papier. Ein goldener Trauring lag darin, er trug die Buchstaben F. K. Alle sahen es.

„Mein Ring!“ rief der Bauer.

Die Bauern um mich her standen wie erstarrt. Aber draußen an der Hecke des Gartens brach der Zorn, die Wuth des Volkes desto lauter, stürmischer, wilder los. Zu der Wuth gegen den endlich entdeckten wahren Dieb kam der Zorn, daß sie sich hatten täuschen lassen, daß sie einen Unschuldigen für den Dieb gehalten hatten.

„Der Heuchler, der Schleicher, der Räuber! Er muß gehängt werden! Der höchste Galgen ist für ihn noch nicht hoch genug!“

Der entdeckte Dieb stand vernichtet. Einen Augenblick noch wollte er einen Versuch der Rettung machen. Es war der letzte Versuch der Verzweiflung, der Strohhalm, nach dem der Ertrinkende greift.

„Ich weiß von nichts,“ stammelte er. „Das hat ein Anderer gethan, um mich unglücklich zu machen. Der Heimann selbst –“

Aber da sprang wüthend das kleine alte Bäuerlein vor. „Schurke, Dieb, Räuber! Hat er Dir auch die dreihundert Goldstücke hierher gebracht und hier, recht dicht unter Deinem Fenster vergraben?“

Das Argument war schlagend genug.

„Graben wir weiter,“ sagte ich. „Wir müssen noch mehrere Schätze finden.“

Aber der entdeckte Bösewicht konnte sich nicht mehr halten, und das Volk umher wurde lauter, drohender. Er mußte Gewalt gegen sich, die roheste Gewalt befürchten, wenn er fortfuhr, zu leugnen, und das weitere Nachgraben auch seine anderen Verbrechen herausstellte. Hatte er doch die Volkswuth in gleicher Weise gegen den unschuldigen Heimann aufzustacheln gewußt! Seine letzte Kraft war in ihm gebrochen.

„Ich will Alles bekennen!“ sagte er. „Ich habe auch die andern Diebstähle begangen, ich allein, und all das gestohlene Gut ist hier vergraben, neben den weißen Stäbchen.“

Es fand sich, wie er sagte. Er war ein alter, diebischer Geizhals.

Die Wuth des Volkes war befriedigt. Das Geständniß des Verbrechers hat eine magische Wirkung, es söhnt ihn mit sich und mit den Menschen aus. Das ist die Kraft des sittlichen Elements im Menschen.

Ich ließ den Verbrecher in das Gefängniß des Gemeindehauses abführen. Es konnte ohne Störung geschehen. Die Menge war sogar sehr still geworden. Jener Befriedigung war die Scham über das eigene Unrecht gefolgt, das sie einem Schuldlosen zugefügt hatten.

„Herr,“ trat verlegen das alte, kluge Bäuerlein auf mich zu, „Volkesstimme ist doch nicht immer Gottesstimme. Aber,“ fügte er, sich und die Anderen entschuldigend, bei, „warum trägt der Mensch das Kainszeichen im Gesicht? Denn das hat er, dabei bleibe ich.“

„Ja, das hat er,“ mußte ich unwillkürlich bestätigen. Und ich mußte mich zusammennehmen, um nicht ebenfalls laut hinzuzusetzen: „Und die Volkesstimme ist doch Gottesstimme.“

„Will der Herr den Bauer Heimann nicht freilassen?“ fragte mich der Bauer.

„Ich weiß es noch nicht.“

Die Leute sahen mich wieder erstaunt an. Sie mußten auch die Trauer sehen, die sich meiner jetzt mit doppelter Gewalt wieder bemächtigt hatte.

„Was ist es?“

„Geht nach Hause, Leute. Ihr habt heute den Sieg des Rechts gesehen. Vertraut immer dem Rechte. Es wird zuletzt immer siegen, wenn es auch noch so gewaltsam, noch so lange unterdrückt werden sollte, wenn selbst die es unterdrücken und zu tödten suchen, die es wahren und pflegen sollen. Geht jetzt Alle ruhig nach Hause. – Was hier noch weiter sein wird? Gott gebe, keine neuen Verbrechen.“ –

Sie gingen, ruhig, still. Auch ich ging still, sehr still, aber in mir war es desto unruhiger. Ich ging wieder einer der schwersten Stunden entgegen, die der Criminalrichter für sein Menschenherz hat.

Auch die Frau Heimann hatte ich in dem Gemeindehause zurückgelassen; ich begab mich dahin und ließ die Frau zu mir vorführen. Sie wußte schon, daß die Unschuld ihres Mannes erkannt, daß der rechte Dieb aufgefunden war. Das ganze Dorf wußte es ja. Sie trat mit einer stillen, demüthigen und doch so erhabenen Freude, den schlafenden Säugling auf dem Arme, zu mir ein, die Unglückliche!

Hätte ich nur das Kind aus ihrem Arme entfernen können!

Auf das Haupt einer Mutter den Todesstreich führen, während sie den Säugling auf den Armen trägt, davor bebt selbst der Mörder zurück. Das Amt ist kälter. Es muß es sein.

Das schöne, blasse Gesicht der Frau erblaßte tiefer, als sie den tiefen Schmerz in meinem Gesichte sah. Tauchte die nächste schreckliche Minute in ihrem Herzen auf?

Eine Minute nur, aber die Vernichtung ihres ganzen Lebens! Eine Minute, die sie von ihrem Gatten, von ihren Kindern, von dem Säugling an ihrer Brust, die sie von dem Leben, von Allem riß, von Allem, nur nicht von den entsetzlichen Mauern des Zuchthauses! Ich konnte sie, ich konnte mich nicht länger martern.

„Heißen Sie Madline Lenuweit?“ fragte ich sie.

Ich hatte mir Gewalt anthun müssen, mit meiner zitternden Stimme die Worte auszusprechen.

Sie brachten einen furchtbaren Eindruck auf die Frau hervor. Sie sah mich starr an. Ihr ganzer Körper war erstarrt, nur die Hände, mit denen sie das Kind hielt, drückten sich krampfhaft zusammen.

„Und Ihr Mann,“ mußte ich unbarmherzig fortfahren, „heißt Ansos Szellwat?“

„Allmächtiger Gott!“ schrie sie.

Das Kind glitt aus ihren Armen; sie fiel nieder. Ich nahm das Kind auf.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_424.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)