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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

O Straßburg, o Straßburg,
Du wunderschöne Stadt!
Sendschreiben an meinen Sohn, den preußischen Landwehrmann.
(Zweiter Brief. Schluß.)

Schon vorher war der berühmte General und Festungsbaumeister Vauban insgeheim nach dem Elsaß abgegangen. Louvois und Ludwig waren gleichfalls vorbereitet, dorthin zu reisen. Den Auftrag, Straßburg zu nehmen, hatte General Montclar erhalten; ein Heer von fünfunddreißigtausend Mann stand ihm zur Verfügung. Alles war für einen gewaltthätigen Schlag vorbereitet; merke aber wohl, wie in dieses nichtswürdige Gewebe auch noch wälsche Tücke und Hinterlist hineinspielen. Ludwig ließ, um die Straßburger recht sicher zu machen, durch den Residenten ein sehr verbindlich abgefaßtes Schreiben überreichen, in welchem er der Stadt seine ganz besondere Huld und Zuneigung ausdrückte. Unmittelbar nachher, mitten im Frieden, ohne irgend eine vorhergegangene Erklärung, am 27. September, überrumpelten französische Dragoner bei nächtlicher Weile die Zollschanze bei Straßburg, und damit begann die Ausführung des lang gehegten Planes.

So standen heuchlerische Versicherungen und Gewaltthaten neben einander. Kein Bürger Straßburgs täuschte sich mehr über die Absichten der Franzosen. Vom ehrwürdigen Münster erscholl sofort die Sturmglocke, die Bürger eilten aus dem Bett auf die Wälle, pflanzten noch mehr Geschütze auf und waren zur Vertheidigung entschlossen. Man sandte durch einen Trommelschläger ein Schreiben an den französischen Befehlshaber und fragte, weshalb er den Frieden gebrochen habe. Die Antwort lautete: Seine Majestät habe erfahren, die kaiserlichen Völker wollten die Stadt und den Rheinpaß besetzen, und das könne er nicht zugeben. Uebrigens, fügte er lügenhaft hinzu, werde er die Zollschanze nur ganz kurze Zeit besetzt halten. Als man ihm entgegnete, kaiserliche Truppen seien weit und breit nicht vorhanden und auf fünfzig Stunden im Umkreise kein kaiserlicher Soldat zu sehen, entgegnete er: auf Verhandlungen könne er sich nicht weiter einlassen, das sei Angelegenheit des Generals Montclar, der sich bald einfinden werde.

Die Aufregung und mit ihr zugleich die Wuth und Verzweiflung der Bürgerschaft stieg immer höher. Der Resident Frischmann wagte sich nicht aus seiner Wohnung, die Zünfte bedrohten den Rath mit Ermordung, weil sie mit richtigem Instinct vermutheten, er werde die Franzosen einlassen. Man wollte aus den straßburgischen Flecken und Dörfern einige tausend Landleute in aller Eile in die Stadt ziehen, aber Montclar hatte alle Zugänge abgesperrt; nur wenige Bauern schlichen sich durch und überbrachten in dieser „Angstnacht“ die Mittheilung, daß schon alle Ortschaften von den Franzosen besetzt, alle an den Kaiser und an den regensburger Reichstag gerichteten Briefe der Stadt von Louvois aufgefangen und unter lautem Gelächter der Officiere erbrochen worden seien.

Am 28. September, einem Sonntage, fing Montclar an, die Stadt zu berennen, und sagte den Abgeordneten derselben: Straßburg sei seinem Könige durch den westphälischen und den nimwegischen Frieden überlassen worden. Wenn dieser bislang noch nicht für gut befunden habe, sich seines Rechtes zu bedienen, so erfordere doch jetzt sein Interesse, daß er Straßburg nehme, denn er wisse, daß eine kaiserliche Truppenmacht in demselben sich festsetzen wolle. Er, Montclar, sei ein alter Freund der Stadt, und es solle ihm Leid thun, wenn sein liebes Straßburg sich durch Halsstarrigkeit in’s Verderben stürzen wolle. Morgen werde der Herr Marquis von Louvois mit der Hauptarmee ankommen, und die Straßburger möchten vernünftig sein. Der König wünsche, die Stadt bei ihren Freiheiten zu erhalten, sie durch Vermehrung ihrer Privilegien glücklich zu machen, aber die Bürger dürften sich nicht als rebellische Unterthanen gebehrden, sondern müßten der französischen Krone Treue geloben und halten.

So voll Lug, Trug und Unverschämtheit war dieser General Montclar, ein würdiger Diener seines Herrn.

Es erschien, der Gewalt gegenüber, lächerlich, daß die Straßburger seinen erlogenen Behauptungen die Wahrheit entgegenstellten; auch erwiderte er auf ihre Einwendungen weiter nichts, als daß er gekommen sei, des Königs Willen bekannt zu machen; es zieme sich für ihn nicht, darüber zu raisonniren. „Sie müssen sich platterdings unterwerfen, oder sich einer Execution gewärtig halten.“

Damit entließ er die Abgeordneten, welche in der Stadt Montclar’s Aeußerungen berichteten. Sogleich versammelten sich die dreihundert Schöffen, die Professoren der Universität, der Kirchenconvent, und auch der kaiserliche Resident wurde zur Berathung herbeigezogen. Die Zünfte stellten sich an den Lärmplätzen auf, Weiber und Kinder strömten in die Kirchen. An Truppen waren nur fünfhundert dienstfähige Söldner in der Stadt; diese, mit etwa dreitausend Mann waffenfähiger Bürger, reichten nicht aus, um die weitläufigen Festungswerke gegen ein Angriffsheer zu vertheidigen, das jetzt mehr als vierzigtausend Mann zählte. Man sah wohl, daß Straßburg verloren sei.

Am 29. September traf Louvois in dem benachbarten Illkirch ein, und ließ hochmüthig dem verächtlichen, weil verrätherischen, Rathe zu wissen thun, daß einige Abgeordnete zu ihm hinauskommen möchten; er werde ihnen im Auftrage seines Königs etwas eröffnen. Es kamen Abgeordnete, welchen der Mordbrenner genau mit denselben frechen und unwahren Behauptungen entgegentrat, die schon am Tage vorher Montclar geäußert hatte. Als die Abgeordneten dieselben als ganz unrichtig nachwiesen, ergrimmte Louvois, ließ jede Maske fallen und rief: „Ich verlange eine kurze deutliche Erklärung, ob Straßburg den König von Frankreich für seinen souverainen Herrn erkennen, seinen Soldaten die Thore öffnen und eine Besatzung einnehmen, oder ob die Stadt in einen Aschenhaufen verwandelt sein will.“ Er fügte hinzu, man habe lange genug Bedenkzeit gegeben, an der Sache selbst lasse sich nun einmal nichts ändern; der König wolle es so, und wenn man verstockt bleibe, dürfe man nicht ferner auf Gnade hoffen. Dann drehete er sich mit stolzer, verächtlicher Miene um und ließ noch fallen, daß man sich bis Mittag entschlossen haben müsse. Die Abgeordneten kamen in die Stadt zurück, in welcher ein ungeheurer Jammer sich erhob. Man war von Kaiser und Reich im Stiche gelassen, die Verräther drängten zur Uebergabe, und unter den Gründen, welche von anderer Seite geltend gemacht wurden, fiel einer am schwersten in’s Gewicht. Man sprach nämlich die Erwartung aus, daß das Reich unmöglich seinen „Hauptschlüssel“ auf die Dauer in den Händen des gefährlichsten Reichsfeindes lassen, also die französische Besitznahme nur vorübergehend sein werde.

Der Rath bat in Anbetracht seiner „Ew. Excellenz bekannten Gesinnungen“ um Aufschub bis zum 30. December Mittags, weil er die Bürgerschaft zu befragen habe und sie auf das Unabänderliche vorbereiten müsse. Nachdem die Sachen einmal so weit gekommen waren, blieb dieser freilich keine Wahl mehr; nur allein die Schneiderzunft, wie ich schon hervorhob, erklärte sich bereit, bis auf den letzten Mann zu kämpfen, und wollte von keinem Vergleich und von keiner Unterwerfung unter den Reichsfeind etwas wissen. Von ehrlichen Leuten wurden damals manche Gründe hervorgehoben, welche eine Uebergabe als unvermeidlich erscheinen ließen. Zuerst das alte, klägliche und leider wahre Lied, daß man vom Kaiser keine Hülfe erhalten habe, auch in größter Bedrängniß eine solche nicht erwarten dürfe; ferner seien die Festungswerke, aus Mangel an Geldmitteln, in nicht vollkommenem Zustande. Durch die langjährigen Quälereien der Franzosen sei der Wohlstand der Kaufleute wie der Handwerker völlig untergraben worden; die Stadt habe keinen Credit mehr und deshalb die Besatzung entlassen müssen, als sie derselben am nöthigsten bedurfte; es seien nicht einmal Leute genug vorhanden gewesen, die Wälle zu besetzen; ein Widerstand, der unter so kläglichen Umständen doch nicht von Erfolg sein könne, werde die Stadt nur völlig zu Grunde richten, und Ludwig der Vierzehnte so wie so seinen Willen erreichen.

Ich habe schon gesagt, daß Straßburg als Festung eine reine Jungfrau geblieben war. Weder Karl der Kühne von Burgund noch Heinrich der Zweite von Frankreich, noch die Schweden während des dreißigjährigen Krieges hatten dasselbe erobert. Nun, von Kaiser und Reich verlassen, von Verräthern gedrängt, von der Noth bezwungen, öffnete es seine Thore. Es schloß am 30. September eine Capitulation mit dem Mordbrenner Louvois, der Vollmacht hatte, die Stadt Straßburg „unter Seiner Majestät Gehorsam anzunehmen.“ Dieser bestätigte ihr (auf dem Papier,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_427.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)