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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

wohl verstanden) alle Privilegien, auch die kirchlichen, denn Straßburg war protestantisch; nur das Münster sollte den Katholischen wieder eingeräumt werden. Die Bürgerschaft sollte von allen Contributionen befreit sein. Daß diese Capitulation nicht gehalten, sondern sofort verletzt wurde, versteht sich bei Menschen wie Louvois und Ludwig dem Vierzehnten von selbst. Zu den Unterzeichnern gehörten von Zedlitz und Güntzer.

Am 30. September 1681 um vier Uhr Nachmittags rückten funfzehntausend Franzosen in Straßburg ein; das alte Bollwerk Deutschlands befand sich in Ludwig’s Händen! Dem Reiche war, wie man damals schon ganz richtig sagte, damit eine „unheilbare Wunde“ geschlagen. Aber weshalb hat dasselbe eine Stadt, an welcher ihm so viel gelegen sein mußte, ganz vernachlässigt und nicht alle seine vereinigten Kräfte aufgeboten, um sie sich zu erhalten?

Du siehst, lieber Alfred, welche Sünden und Fehler ein starkes Deutschland wieder gut machen muß, welche geschichtliche Gerechtigkeit es einst zu üben haben wird.

Was geschah in Straßburg nach der Besitznahme durch die Franzosen? Zu den schlimmsten Reichsverräthern gehörte Franz Egon von Fürstenberg, der katholische Bischof der Diöcese, welcher nicht in der protestantischen Stadt, sondern in Zabern wohnte. Er hatte, sammt seinem Bruder Wilhelm, seit Jahren als bestochener Söldner in Ludwig’s Interesse gearbeitet. Am 4. October mußten die Bürger den Eid der Treue ablegen; am 20. zog Egon von Fürstenberg unter dem Schall französischer Pauken und Trompeten in die evangelische Stadt ein, gefolgt von seiner Klerisei, und nahm Besitz von der Münsterkirche. Ludwig selbst eilte herbei, um das Kleinod, nach welchem er so lange gierig gestrebt und das er endlich geraubt hatte, persönlich zu besichtigen. Jener verrätherische Egon empfing den „königlichen Mordbrenner“, denn das war Ludwig, am großen Portale und dankte ihm, daß er durch des Königs Arm wieder in den Besitz der Arche gekommen sei, aus welcher die Ketzer seine Vorgänger vertrieben hätten. Dann fügte der „grauköpfige Schurke“, wie die Straßburger diesen Bischof nannten, die schamlosen Worte hinzu: „Ich kann mit dem alten Simeon sagen: Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Der Heiland dieses grauköpfigen Bischofs war der bluttriefende Verfolger der Hugenotten, der König, welcher das Elsaß und die Pfalz mit Mord und Brand verwüstete.

Am 1. April 1682 starb dieser Bischof Franz Egon von Fürstenberg.

Sein „Heiland“ war von den Straßburgern mit eisiger Kälte aufgenommen worden; alle Bemühungen, sie auch nur zu vereinzelten Lebehochrufen zu vermögen, scheiterten; seine eigenen Soldaten mußten Vive le Roi schreien. Der „große“ Ludwig verließ die Stadt in sehr übler Laune und ließ sie fühlen, was es hieß, einem so eiteln und kleinlichen Könige nicht zu schmeicheln. Zunächst wurden die Verräther belohnt. Güntzer erhielt die Stelle eines Syndicus und Kanzleidirectors, „weil er bei der Unterwerfung der Stadt großen Eifer für den königlichen Dienst und – das Beste der Stadt bewiesen habe.“ Zwei andere Verräther erhielten goldene Ketten im Werthe von dreitausend Livres.

Ludwig’s Buhlerin, die Maintenon, die frömmelnd war und von den Jesuiten gelenkt wurde, brauchte keine Anstrengungen zu machen, um ihren königlichen Liebhaber zur Verkürzung der Privilegien Straßburgs zu bewegen. Auf ihren Betrieb wurden die Katholiken auf Kosten der Protestanten begünstigt, die Stadt mußte ein königliches Abonnement von hunderttausend Livres zahlen; dreihundert städtische Kanonen und für fünfzehntausend Mann Waffen wurden sammt allem Kriegsgeräthe von den Franzosen weggenommen. Auch die Weinkeller wurden von den Siegern als Eigenthum betrachtet. Gleich im Jahre 1682 strömten katholische Geistliche und Mönche in Menge herbei, namentlich Jesuiten, Kapuziner, Antoniter, Johanniter; der Bischof verlangte die Rückgabe einer Anzahl von Kirchen und Stiftern, und der protestantischen Bürgerschaft wurde die Zumuthung gestellt, am 15. August an einer katholischen Procession zu Ehren des Königs sich zu betheiligen; dadurch werde sie ihre Unterthanentreue beweisen, und Seiner Majestät Huld und Gnade erwerben. Sie nahm an der Procession nicht Theil. Ludwig’s Absicht ging dahin, die ganze Stadt der evangelischen Lehre abwendig zu machen; wer zum Katholicismus übertrat, erhielt manche Begünstigungen; er war z. B. drei Jahre lang von Abgaben und Truppenauflagen befreit, eben so lange durfte ihn kein Gläubiger verfolgen oder auch nur Zahlung verlangen; er wurde bei Besetzungen von Aemtern bevorzugt. Die Rechte der Stadt wurden so schamlos verletzt, daß hingegen kein evangelischer Prediger Proselyten annehmen durfte; gemischte Ehen wurden verboten, die Protestanten sahen sich gezwungen, die katholischen Festtage mit zu feiern; alle unehelichen Kinder von Protestanten mußten katholisch getauft werden; wenn ein Theil eines protestantischen Ehepaars katholisch wurde, mußten alle Kinder desselben, welche noch nicht communicirt hatten, katholisch werden. In jedem Dorfe, in welchem sich auch nur sieben katholische Familien befanden (und wo dergleichen nicht waren, schickten die Jesuiten hin, so viel als nöthig erschien), mußte ihnen das Chor der Kirche eingeräumt werden, und die Kircheneinkünfte fielen ihnen zur Hälfte zu, während die Protestanten für katholische Pfarr- und Schulhäuser sorgen mußten; endlich konnte kein Protestant im Elsaß, das doch zur überwiegenden Hälfte evangelisch war, Amtmann, Amts- oder Gerichtsschreiber, Schultheiß oder Fiscal werden. Schon 1687 befahl ein Erlaß Ludwig’s, daß in dem protestantischen Straßburg alle Stadtämter und Ehrenstellen zur Hälfte mit Katholiken besetzt werden sollten, natürlich „ohne der Gewissensfreiheit irgend Eintrag zu thun.“ Im Jahre 1686 wurden den Protestanten abermals drei Kirchen weggenommen, und die protestantischen Stiftsfrauen wurden dermaßen gepeinigt und geärgert, daß 1698 die letzte Administratorin, Henriette Vitzthum von Eckstädt, ihre Würde niederlegte, „weil sie wegen allzuviel Aergerniß dieselbe nicht mehr behalten konnte.“ Der König bedrängte den Magistrat so lange, bis derselbe ihm mit dem Frauenstift St. Stephan ein freiwilliges Geschenk machen mußte.

Der Wunsch, wieder mit Deutschland vereinigt zu werden, war dringend, aber vergeblich. Denn im Ryswicker Frieden (October 1697) wurde Straßburg vom Reiche definitiv an den französischen König abgetreten.

Die unwillkommene Ehre, aus einer Reichsstadt zu einer französischen Provinzial- und Kriegsstadt degradirt zu werden, mußte von vorne herein in jeder Beziehung sehr hoch bezahlt werden. Der Bau neuer Kasernen für die Franzosen kostete 800,000 Livres, eine Wohnung für den Intendanten 60,000, ein Mehlmagazin für die Soldaten 70,000, ein Spital für die Soldaten 120,000, dem Hofe mußte ein „freiwilliges“ Geschenk (don gratuit) von 300,000 und 1694 abermals ein solches von 160,000 Livres gezahlt werden; also in wenigen Jahren anderthalb Millionen, und binnen achtzehn Jahren 3,315,000 Livres! Straßburg hatte ferner, in Folge königlichen Befehls, die Generalität, die Kasernen, Spitäler, die zweiunddreißig Wachtstuben mit Holz und Licht zu versorgen, die Wälle zu unterhalten „und die vornehmsten königlichen Beamten durch ansehnliche Geschenke sich geneigt zu machen.“ Vergiß nicht, daß die Stadt ohnehin ausgesogen und tief verschuldet war.

Auf solche Weise ist Straßburg in französische Gewalt gekommen, und seitdem ist der Herrscher in Paris auch Gebieter am Oberrhein. Die alte deutsche Grenze läuft auf dem Kamme der Vogesen, und ehe diese für Deutschland nicht wieder gewonnen ist, kann für uns von einer Sicherstellung gegen Frankreich keine Rede sein. So lange die Franzosen das Elsaß behalten, werden sie auch nach Belgien und den Landen am mittlem und untern Rhein gieren; sobald die wirkliche natürliche Grenze, nämlich die uralte, geschichtliche, volksthümliche Sprach- und Gebirgsscheide wieder auch unsere politische Grenze wird, kann Ruhe eintreten. Erst dann ist wieder ein vernünftiges, volksrechtliches Verhältniß da.

Im heutigen Elsaß ist seit zweihundert Jahre Vieles verwälscht worden; ich glaube, daß die Elsässer, die sich nun einmal, wenn auch schwer, an Frankreich gewöhnt haben, anfangs nur widerwillig bei uns sein würden; aber darauf kommt vorerst nichts an. „Es nimmt ein Kind der Mutter Brust nicht gleich von Anfang willig an, doch bald ernährt es sich mit Lust.“ Was ihnen Napoleon bietet, würden sie freilich bei uns nicht haben: keine Censur, keinen Zwang, keine unerschwinglichen Steuern, auch keine hohle Gloire. Ludwig der Vierzehnte hat sie nicht nach ihren „Sympathien“ gefragt, als er sie raubte; man braucht auch heute nicht nach Sympathien zu fragen, wenn man wiedernimmt, was einst entfremdet wurde. Die Sympathien finden sich von selbst, und die Rückführung natürlicher Verhältnisse trägt ihre Berechtigung in sich selbst.

Freilich, es wird keine leichte Arbeit sein, den geraubten Schatz

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_428.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)