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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Skizzen und Naturbilder aus Mittel- und Südliefland.
Nr. 1. Fischerei.

In einem Lande, das bei einer ausgedehnten Meeresküste zugleich eine beträchtliche Anzahl fischreicher stehender und fließender Gewässer besitzt, wird die Fischerei eine Erwerbsquelle genannt werden können, deren Ausnutzung den Bewohnern im Allgemeinen sowohl einen bedeutenden Zuschuß an Nährstoffen sichern, als auch einem Theile derselben, den Fischern, das Hauptmittel zu ihrer ganzen Existenz verschaffen, endlich einen nicht gering anzuschlagenden Einfluß wenigstens auf den inneren Handelsverkehr ausüben muß.

Das so eben Ausgesprochene gilt auch für Liefland; seine Westgrenze bildet die Ostsee, in seinem Gebiete befinden sich viel Seen und Flüsse, die eine große Masse trefflicher Fische hergeben, welche fast nur im Lande verzehrt werden, durch ihren Ein- und Verkauf wird zugleich ein starker Geldumsatz erzielt, während schließlich eine Anzahl von Handeltreibenden in dem hierdurch bestimmten Geschäftszweige zu arbeiten vermag.

Dies Alles würde jedoch für eine Besprechung der liefländischen Fischerei nicht maßgebend sein, wenn nicht von der Art und Weise, wie einige Zweige derselben betrieben werden, Interessantes und, wie wir glauben, für viele Leser Neues zu berichten wäre.

Wir berichten vorerst Einiges über die Küstenfischerei, weiter unten soll dann besprochen werden, wie das Gewerbe bei uns auf den Flüssen und Landseen betrieben wird. – Die Ostseefischerei beginnt im Frühling, sobald das Küsteneis durch Sonne, Sturm und Regen entfernt wurde und die letzten Schollen aus den Flüssen in’s weite Meer hinausgeschwommen sind; denn jetzt erst erwärmt sich das seichtere Strandwasser allmählich und lockt die Fische, welche im Winter die wärmeren Tiefen der hohen See aufsuchten, wieder in die Nähe des Landes. Die Strandbauern haben schon lange diese Zeit herbeigewünscht, welche ihnen neuen Erwerb bringt, den ganzen Winter hindurch lebten sie kümmerlich von ihrem Ersparten und von der Feldernte des vorigen Jahres, welche aber an vielen Orten wegen der Unfruchtbarkeit des sandigen Küstenstriches schlecht genug ausfällt; an einigen Stellen sind die Leute sogar gezwungen, den nackten Dünensand mit großen Mengen Tangs zu bedecken, welchen sie einige Zeit faulen lassen und alsdann mit Hafer oder Gerste besäen, wobei natürlich nicht viel herauskommt. – Die Art und Weise, wie sie die Fischerei betreiben, bietet kaum Unterschiede von Belang im Vergleich mit der Fischerei an deutschen Ostseeküsten, doch ist bei uns das Meer an feineren Seefischen ziemlich arm; nur Schollen gibt es in großer Menge, während der Hering sehr selten ist, dagegen besuchen zwei seiner Verwandten unsere Seeufer in mächtigen Schaaren, der Strömling und der Brätling.

Der Strömling hat in der Gestalt viel Aehnlichkeit mit dem Hering, wird aber nur sechs bis zehn Zoll lang und hat eine mehr silberweiße Farbe, die auch auf dem Rücken wenig in’s Blaue spielt. Die ersten Strömlinge, welche im Mai auf die Märkte gebracht werden, sind besonders groß und fett und werden für eine Delicatesse angesehen; der Fisch wird überhaupt am besten geräuchert verspeist, er ist in anderer Zubereitung nicht so schmackhaft. Die späterhin gefangenen Strömlinge sind viel kleiner, dafür nimmt aber ihre Menge zu und wächst oft in’s Erstaunliche. Die Fischerbauern pflegen sie alsdann einzusalzen und in Tonnen zu verpacken um sie, sobald die Zeit der Fischerei vorüber ist, also im Winter, weit in’s Land hinein zum Verkaufe zu führen. Zwischen den Strandleuten und den näher wohnenden Landbauern existirt an manchen Orten eine Art Tauschhandel; Letztere pflegen dort zur Fangzeit an den Strand zu kommen und den Fischern sowohl Salz mitzubringen, als auch beim Einpökeln zu helfen; dafür erhalten sie einen Antheil vom Salzfisch und liefern noch im Herbste den Fischern eine angemessene Quantität an Korn.

Der Brätling ist ein drei bis fünf Zoll langes, sehr zartes, silberglänzendes Fischchen mit bläulichem Rücken, welches nur gleich nach dem Fange, also am Strande selbst, frisch verzehrt werden kann, da es gar zu leicht verdirbt; zu Markte wird er nur gesalzen gebracht. Der Fisch wird in großer Menge gefangen und bildet einen ziemlich wichtigen Handelsartikel, namentlich für Reval, Esthlands Hauptstadt, in welcher man ein geheim gehaltenes Verfahren kennt, ihn in einer pikanten Sauce vorzüglich gut einzumachen, so daß er sich, an einem kühlen Orte aufbewahrt, Jahre lang eßbar erhält und selbst mit der Zeit an Wohlgeschmack gewinnt. Diese sogenannten Revaler Külloströmlinge oder Küllos, auch in Deutschland unter dem Namen der russischen Sardellen bekannt, werden weithin verschickt und stehen ziemlich hoch im Preise. Schon in Riga kostet ein mit Küllos gefülltes, etwa ein preußisches Quart haltendes Glas an zwanzig bis fünfundzwanzig Neugroschen. In früheren Zeiten erschienen manchmal arme esthländische Studenten in Dorpat mit einer Wagenladung eingemachter Küllos, von deren Erlös sie die Kosten ihres dortigen Aufenthaltes bestritten.

Trotz des großen Verbrauches ist doch an Strömlingen und Brätlingen keine Abnahme zu bemerken, eine desto größere an Lachsen. Vor einigen hundert Jahren gab es in Riga so viel Lachse, daß in der damaligen Stadtverordnung sich ein Paragraph vorfindet, welcher den Herrschaften ausdrücklich vorschreibt, ihre Dienstboten nicht mehr als zwei Mal in der Woche mit Lachs zu beköstigen. Heutzutage dagegen ist der Lachs schon so ziemlich ein Luxusessen geworden, denn obgleich man in guten Jahren noch immer einen Lachs von fünfundzwanzig Pfund für wenig mehr als zwei Thaler kaufen kann, so steigt doch der Preis für einen eben so schweren Fisch andererseits wohl auf zwölf bis sechzehn Thaler. Dem geräucherten Dünalachs kann man an Wohlgeschmack und schöner Farbe höchstens den besten Rheinlachs an die Seite stellen; man räuchert ihn in kleinen, halb offenen Hütten, indem man feuchtes Stroh auf glühende Kohlen schüttet und die leicht besalzenen Stücke des zertheilten Fisches eine Nacht lang in diesem Qualme hängen läßt.

Von der eigentlichen Flußfischerei bietet der Neunaugenfang den großen Vortheil, daß er vorzugsweise im Winter vorgenommen werden kann, und zwar ist er am bedeutendsten in der Düna, weniger wichtig in den kleineren Flüssen. Im Sommer fängt man die Neunaugen mitunter auf eine eigenthümliche Weise. Man durchbohrt Wände und Boden eines hölzernen Kastens mit trichterförmigen Löchern, deren innere Mündung gerade nur so groß ist, daß der Fisch bequem hineinschlüpfen kann, legt ein Stück nicht mehr ganz frisches Fleisch in den Kasten, verschließt denselben und versenkt ihn darauf an einer Stelle des Flusses, wo sich Neunaugen aufhalten. Diese schlüpfen alsbald durch die Löcher in den Kasten und saugen sich in großer Menge an das Fleisch an; nach einigen Stunden wird dann der Apparat hervorgeholt und die Fische, welche sich manchmal so fest an das Fleisch angesogen haben, daß man sie mit Gewalt davon entfernen muß, herausgenommen. Auf gleiche Weise kann man auch Krebse fangen.

Der Winterfang der Neunaugen beginnt, sobald das Eis so stark geworden ist, daß es einen Menschen zu tragen vermag, etwa um die Weihnachtszeit. Alsdann begeben sich die Fischer mit Aexten auf den Fluß und befreien durch Aushauen einen Platz von 4–5 Fuß Breite und oft mehr als 100 Schritt Länge vom Eise. Sobald dies geschehen ist, beginnt das Einsenken der Fangkörbe. Diese sind aus langen Weidengerten zusammengeflochten, haben die Gestalt eines Zuckerhutes, sind gegen fünf Fuß lang, haben vorn eine zwei Fuß breite Mündung und laufen nach hinten in eine feste Spitze aus. Sie werden, an lange Stangen befestigt, mit der Oeffnung gegen die Strömung gekehrt, in’s Wasser hinabgelassen und zwar dort, wo dieses nicht sehr tief ist und recht rasch fließt. Sobald ein Korb an seinem Platze ist, wird die dazu gehörige Stange über dem Eise mit einigen Holzstücken befestigt, damit sie nicht von dem Wasser unter das Eis gezogen, vielmehr auch der Korb in wagrechter Lage erhalten werde. Allmählich füllt sich die ganze offene Stelle mit einer langen Reihe neben einander versenkter Körbe, deren Stangen, aus der Ferne gesehen, einen Zaun zu bilden scheinen. In der Nähe von Riga, bei dem Gute Dahlen, werden die meisten Dünaneunaugen gefangen, dort ist die ganze Fläche der daselbst fast 1500 Schritt breiten Düna mit vielen Reihen solcher Neunaugenfänge besetzt, eine gefährliche Einrichtung für diejenigen Reisenden, welche, wie es bei schlechter Landbahn vorkommt, zu Schlitten auf dem Strom nach Riga fahren, wobei in dunkler Nacht die Pferde leicht in die Eislöcher gerathen können. Bei starkem Froste friert die Oeffnung in einer Nacht wieder fest zu, wo dann die Fischer, welche stets des Abends die Körbe versenken, natürlich am andern Morgen sie erst wieder auseisen müssen, um sie emporziehen zu können.

Die Neunaugen, welche sich gern an flachen, strömigen Stellen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_433.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)