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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

hübsch finde, Lenchen füllte ihre Stelle bei der Mama vortrefflich aus, aber meinen Ansprüchen genügte sie nicht!“

„Gottlob,“ flüsterte Elisabeth zufrieden vor sich hin, denn bei der Charakterfestigkeit des Doctors war zu erwarten gewesen, daß das thörichte Frauenzimmer, welches in unverstandener Gefühlsaufregung Pläne auf die Wirkungen ihrer Schönheit gebaut hatte, wirklich zu ihrer Schwägerin erhoben sein würde, sowie ihres Bruders Interesse geweckt wäre. Der Gedanke an diese Möglichkeit bewegte sie fast zum Zorne. Hier fand sich die Ader des Stolzes, welcher ihr Wesen charakterisirte. Eine Heirath von Gründen rein sinnlicher, erbärmlicher Art geschlossen war eine Erniedrigung für sie, und sie würde in festgehaltener Consequenz die Häuslichkeit ihres Bruders gemieden haben, wenn dort ein Wesen gewaltet, das sich aus untergeordneten Regionen, sowohl des Geistes, als des Standes, zu der Würde einer Hausfrau emporgearbeitet hätte.

„Seit wann ist Lenchen beim alten Herrn Mettling?“ fragte das Fräulein sehr ruhig.

„Genau weiß ich es nicht,“ erwiderte Matthias, der inzwischen Hut und Regenschirm ergriffen hatte und zum Fenster getreten war, um nach dem Wetter zu sehen.

„Wahrscheinlich vierzehn Tage,“ sprach sie eben so ruhig und fädelte ihre Nähnadel mit fester Hand ein.

„Warum? Wie kommst Du darauf?“

„Weil Felix Mettling seit vierzehn Tagen unser Haus nicht betreten hat!“

Der Doctor sah überrascht zu ihr hin, konnte aber nur ihre wolkenlos heitere Stirn sehen, da sie das Gesicht emsig thätig auf ihre Stickerei niedergesenkt hielt, vielleicht tiefer, als eigentlich nöthig war.

„Du magst Recht haben!“ erklärte er. „Vierzehn Tage lang bin ich nicht beim alten Herrn gewesen.“

„Mußt Du heute hinaus?“ forschte sie. -

„Ja, der Alte ist unwirsch. Sein Blut muß gesänftigt werden. Ich habe Senfteig dazu besorgt, Felix schickte zu mir auf’s Hospital –“

Elisabeth hob in voller Ueberraschung ihren Kopf.

„Dorthin? Sonderbar! Du wirst mir wahrscheinlich eine Verlobungserklärung des jungen Herrn mit Lenchen zu überbringen haben. Ich bin darauf gefaßt!“

„Ihr Frauen seid doch wahre Phantastinnen!“ rief Matthias heiter. „Eure Folgerungen streifen an Irrsinn. Höre, Du weise Philosophin – weil also Lord Felix zu mir nicht in’s Haus, sondern in das Hospital gesendet hat, um mich nach Wolfenberg zu citiren, so muß er sich mit Lenchen, unserer ehemaligen Hausmamsell, verlobt haben! Eine prächtige Logik, die Deinem Verstande alle Ehre macht!“

Er stellte sich mit dem besten Willen zu einer gründlichen Neckerei vor ihr auf, und wartete ihrer Antwort. Diese blieb aus. Nicht Elisabeth’s Verstand, sondern ihr Herz hatte gefolgert, und das Herz eines Mädchens zeigt sich bisweilen unglaublich schlau.

„Oder hast Du noch andere Gründe für Deine Vermuthung?“ fragte der Doctor etwas betroffen über die Schatten, die wie Wolken über das reizende Gesicht seiner Schwester flogen, jedoch muthig von ihr bekämpft wurden.

„Nein, Matthias! Aber wenn Du aus eigener Erfahrung weißt, daß wir den gewöhnlichen Weg zu vermeiden pflegen, wenn er uns beschämende Erinnerungen bietet, so wirst Du meinen Ausspruch nicht ganz verwerfen können,“ entgegnete das junge Mädchen sehr ernst.

Der Doctor bewegte spottlächelnd seinen Kopf hin und her, schritt mit einem „Adieu“ zur Thür, und verließ unter der Ermahnung, um Gottes Willen Mama’s Putz- und Scheuertücher nicht einzulassen, sein Zimmer.

Der Regen hatte bis auf ein leichtes, kaum bemerkbares Sprühen aufgehört. Doctor Strodtmann schlenderte sacht und gemüthlich den Weg nach Wolfenberg dahin, der durch Gebüsch neben einem sprudelnden Gebirgsbache entlang lief. Er selbst hielt keine Equipage, und er hatte die des Herrn Mettling bestimmt abgelehnt, weil der Fußweg nach Wolfenberg ein sehr anmuthiger Spaziergang war, während der Chausseeweg unendlich lang und schattenlos sich ausdehnte. Einem Eingeborenen des Gebirges sind aber glatte Wege das langweiligste Vergnügen, daher zog Herr Doctor Matthias Strodtmann den auf und ab gewundenen, durch Baumwurzeln und Felsstückchen vielfach uneben gemachten Fußsteig, zwischen Haselstauden und uralten Buchenstämmen fortlaufend, bei weitem der bequemen Landstraße vor, und wenn er sie auch zu Wagen passiren konnte.

Seine Gedanken irrten unter seiner einsamen Wanderung zu den letzten Worten seiner Schwester zurück, und ein blendender Lichtstrahl erhellte ihm plötzlich den Theil ihres innersten Wesens, woraus ihm eine Erklärung dieser Worte erwachsen konnte.

Der junge Herr Mettling, welchen der Witz des Publicums sehr bezeichnend mit dem Titel „Lord Felix“ beehrt hatte, gehörte zu seinen liebsten Bekannten, obwohl er nicht umhin konnte, manches an ihm wegzuwünschen, was seine wirklich edle Natur verunstaltete. Es waren dies nur Auswüchse eines männlichen, ungezügelten Uebermuthes, die ganz gewöhnlich in einem soliden Eheleben von selbst verschwinden und sich unter der sorgsamen Obhut einer vernünftigen Frau zu Liebenswürdigkeiten gestalten können.

Lord Felix liebte Wein, Weib und Gesang gleich dem besten Jünger des respectablen Doctor Martin Luther, der sich einen ewigen Ruhm durch den Ausspruch erworben hat: „Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang!“

Aber den Gesang, welchem der Lord Felix seine Huldigungen darbrachte, den trennte er, als ein höchst unmusikalischer Mann, gänzlich vom Weibe und fand, gelinde gesagt, „singende Damen unerträglich“.

Von diesem Gesichtspunkte aus erkannte der lustwandelnde, über Baumwurzeln und Felsblöcke dahin schreitende Doctor Strodtmann plötzlich den Theil in Elisabeth’s Brust, welcher ihm ein weites Feld theils beglückender, theils beängstigender Vermuthungen darlegte. Er erinnerte sich mit Schrecken, daß seine Schwester seit einiger Zeit die Eitelkeit auf ihre hübsche Stimme verloren habe, und zwar, wie er ganz genau berechnete, seit dem Tage, wo er ihr die offenherzige, harte Kritik seines übermüthigen Freundes Felix Mettling mitgetheilt hatte.

Er erkannte gründlich, wie die Sachen standen, und es begann ihn zu ärgern, daß besagtes Lenchen – ci-devant Hausmamsell seiner Mama und von Geburt einer Waschfrau Kind, das Madam Strodtmann sich herangebildet und zur Hand gezogen – das Glück seiner Schwester zu beeinträchtigen drohe.

Fiel der heißblütige, leichtsinnige Lord Felix in die Garne dieses hübschen, etwas dreisten, keck der Welt trotzenden Mädchens, das es vollkommen auf eine Heirath in höheren Kreisen abgesehen zu haben schien, so war er mit allen seinen Anlagen zum Guten für diese Welt verloren. Nur einer Frau von gewiegtem Wesen konnte es gelingen, den jungen Lebemann aus seinem Wuste von Irrthümern heraus zu arbeiten und seiner Seele den nöthigen Firniß zu verleihen. Bei besagtem Lenchen war ein gänzliches Versinken in gemeine Alltäglichkeit vorauszusehen, und das wäre in allen Fällen Schade gewesen, gereichte aber speciell in diesem Augenblicke dem lustwandelnden Doctor Strodtmann zur wahren Betrübniß.

Der junge Herr übersah nämlich, praktisch genugsam geübt, keineswegs, was für eine glänzende Lage des Lebens Lord Felix seiner künftigen Gattin darzubieten habe, und er war schon zu sehr im Lebensgenuß gereift, um dies nicht, im Hinblick auf Elisabeth, so hoch anzuschlagen, wie es verdiente.

Die Meinung der Welt hatte wenigstens darin Recht, daß sie dem seinen, comfortabeln Leben im Hause der Madam Strodtmann eine gewisse Einwirkung bei allen Lebensplänen des jungen Arztes zuschrieb, wenn sie auch darin irrte, daß er Gesetze danach entwerfen solle, die seine Heirathsgedanken zu regeln vermochten. Eine befriedigende Häuslichkeit war das Ideal seiner Zukunft, und er machte dies nicht von einer reichen Mitgift, sondern von einer erprobten Herzensgüte und überwältigenden Liebenswürdigkeit abhängig.

Während er im stillen Nachsinnen über die sonderbare Herzensregung Elisabeth’s sich Wolfenberg nach und nach näherte, erheiterte sich auch sein Mienenspiel nachgerade, und er beschloß, im Einklange mit seinen Principien, die schöne Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen, um ein kaltes Sturzbad über die lodernde Gluth seines Freundes, von der ihm der alte Bediente Friedrich kopfschüttelnd erzählt hatte, zu schütten. Er mußte versuchen, die Macht der kleinen, verführerischen und dabei muthvollen Hausmamsell seiner Mama dadurch zu beschränken.

Daß dies zu spät kommen könnte, fiel ihm gar nicht ein. Es hätte in seinen Augen die Thorheit eines Mannes auf die höchste Spitze gehoben, wenn er innerhalb vierzehn Tage sein ganzes zeitliches Wohl einer Circe von so unbedenklich ordinärem Werthe geopfert. Denn wie weit verlockende Blicke das Blut, diesen Urquell

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_451.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)