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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

III.

Mittlerweile hatte sich Doctor Strodtmann der Mettling’schen Villa in Wolfenberg so weit genähert, daß er von dem Felsenabhange, an dessen Rande der Fußweg entlang lief, abwärts steigen mußte, um das Thal zu gewinnen.

Bekannt mit allen Schleichwegen im Gehölz wählte der junge, rüstige Mann den schmalsten und dabei steilsten Pfad, der kaum bemerkbar im Moosgrunde, endlich an dem gewöhnlichen breiten Fußsteige unweit des Waldbaches ausmündete.

Schon im Begriffe aus dem Dickicht in die freiere Lichtung zu treten, stutzte der Doctor plötzlich beim Anblicke einer weiblichen Gestalt, die sich dicht an dem Bache, der hier eine Cascade bildete und, vom Regen angeschwollen, mit betäubendem Rauschen über Steingeröll hinwegbrausete, auf einen bemoosten Stein niedergelassen und den Stamm eines jungen Tannenbaumes, wie des Haltes bedürftig, fest umschlungen hatte.

Es war Adeline von Dahlhorst, die arme, unglückliche junge Frau, die, unter einem fürchterlichen Kampfe mit ihren Gefühlen, hier allein mit Gott, dem sie sich gläubig und vertrauend unterwarf, „die Achtung für ihren Gatten begrub“.

Was ahnungsschwer seit kurzer Zeit in ihr aufgetaucht war, was, von dem Siegel eines unbedingten Zutrauens gelöst, schleichend in ihre Träume verpflanzt und von dort vernichtend in die Wirklichkeit gedrungen war, das hatte Bestätigung in der schonungslosen Behandlung durch den jungen Kaufherrn Mettling erlangt. Ja – das Leben und Dasein ihres Gatten war Lug und Trug! Sie erkannte es und sie fühlte, daß es eine Wohlthat sei, mit seinen unverschuldeten Leiden, mit seinen Demüthigungen, mit seinen Kränkungen und mit dem ganzen Trübsal eines verfehlten Lebens zu dem höchsten Wesen fliehen zu können, dem man Alles in vollster Hingebung klagen konnte.

Sie begrub in diesem schweren Momente das ganze Glück ihres Daseins, aber ihr Blick suchte dennoch nicht in grimmiger Verzweiflung, gefüllt von bittern, anklagenden Thränen, den Himmel, von dem sie Trost und Beruhigung erwartete, sondern mit jener geduldigen Trauer, die stets der Gewohnheit einen Scepter in die Hand drückt und sich freiwillig den Gesetzen der Nothwendigkeit beugt.

Sie wußte jetzt, daß ihr Lebensschiff nicht blos leck sei, sondern daß es an der Inconsequenz ihres Mannes gescheitert war. Zahlungen, die restirten, Wechsel, die fällig waren, wurden bis dahin leichtfertig von ihm gehandhabt – ein dunkles Schicksal war schon vor Jahresfrist drohend an sie herangetreten, aber seine fix fertigen Lügen, seine abweichenden Antworten, die sich bis zu heftigen Befehlen verstiegen hatten, scheuchten das Gespenst der Cassation, wie sie die plötzliche Verabschiedung ihres Gatten nennen zu müssen glaubte, wieder in den Winkel zurück, woraus es entstanden war. Die Besorgniß ihres Gemüthes stieg immer wieder von Neuem auf, als er, fast zu hastig für eine gewöhnliche Abreise, den Ort zu verlassen eilte, wo er bis dahin gelebt. Allein von der ganzen tiefen Verkettung seiner Schuld mit einem bösen Verhängnisse hatte sie keinen Begriff, weil Niemand auf der weiten Welt lebte, der es für angemessen fand, den Schleier zu lüften, welchen ihre Unerfahrenheit um sie wob.

Sie begrub die „Achtung“ vor dem Manne, den sie geliebt hatte, den sie trotz seiner Mängel noch liebte. Als sie gegangen war, eine Summe aufzunehmen, die als Wechselschuld seine Freiheit gefährdete, da hatte sie seiner Versicherung geglaubt, daß es eine zufällige Schuld sei, weder durch Leichtsinn verschuldet, noch einen Schatten auf ihn werfend.

Sie hatte geglaubt, was er betheuerte, daß nur dieses Geld nöthig sei, um ihn ganz zu retten. Jetzt wußte sie, daß er dennoch verloren war. Die Verurtheilung der Welt war zu ihr gedrungen in den wenigen Worten Mettling’s: „so würde er mich dennoch nie bezahlen, denn das ist seine Mode nicht!“

Sie unterschrieb mit vollem Bewußtsein dies Urtheil, aber die Liebe zu ihm senkte trotzdem die Flügel nicht. Ein himmlisches Lächeln verscheuchte nach und nach den Schatten des Grames, der auf ihrem zarten Gesichte lagerte – sie faltete ihre Finger in einander und hob mit der Kraft der Ergebung ihr Herz zu dem Lenker ihres Geschickes auf. Der Weg, den sie zu betreten beschloß, führte ab von dem, welchen sie bis dahin an der Seite ihres Gatten gewandelt hatte. Selbstständig erwerben und selbstständig bestehen, hieß die Losung ihrer Zukunft, und sie wußte schon, was zu thun sei, um dies in’s Werk zu setzen.

Die Gewitterwolken an ihrem Lebenshimmel verzogen sich vor ihren innern Blicken, Eine Seelenfreudigkeit neuer Art beherrschte sie plötzlich. Sie blickte in die leise bewegten Wipfel der Bäume, blickte auf das schäumend dahinfließende Wasser, lehnte ihr Haupt gegen den wankenden Stamm des jungen, zarten Bäumchens und stand dann rasch und muthig auf. Ehe sie fortging, tauchte sie, wie in einer schwärmerischen Eingebung, den Zipfel ihres Taschentuches in’s Wasser und netzte sich nach katholischem Ritus die Stirn damit. Dann mochte sie fühlen, wie erschöpft und durstig sie sei. Graziös kniete sie am Bache nieder, schöpfte mit der kleinen Hand das klare Wasser und trank es.

In allen bissen Bewegungen lag eine so bezaubernde Anmuth, daß dem unberufenen Lauscher das Herz immer mächtiger schlug und er endlich froh war, sie verschwinden zu sehen.

Es war wohl nur Zufall, daß der Doctor Strodtmann plötzlich eine gewaltige Müdigkeit verspürte und ganz genau denselben Stamm zum Ruheorte wählte, der dieser lieblichen Frau dazu gedient hatte. Er ließ sich nieder, lehnte sein schweres Haupt ebenfalls an den schlankgewachsenen Tannenbaum, der sich unwillig gegen diese neue Last zu bäumen begann, und träumte eine volle Minute einen hübschen Traum, der aber, das sah er beim jähen Erwachen sogleich ein, niemals im Leben in Erfüllung gehen konnte.

Gleich darauf sprang Herr Doctor Matthias Strodtmann auf und kam dann noch gerade zur rechten Zeit, um „seiner Mama Hausmamsell“ mit stolzer Würde in die schaukelnde Equipage steigen zu sehen.

Laut lachend eilte er in die Veranda, wo Lord Felix in behaglicher Stellung höchst unbehagliche Rückerinnerungen pflegte, und rief in ungebundener Laune:

„Bei Ihnen fährt das Frauenzimmer, das bei mir zu „repräsentiren“ sich anmaßen wollte, sogar schon im Triumphwagen? – das ist doch eine köstliche Personnage –!“

Felix, der nichts so tief haßte, als lächerlich zu erscheinen, fuhr wie von einem Natterbisse getroffen in die Höhe. Er zwang sich auch zum Lachen, weil es dem Doctor beliebte fortzulachen, und fragte dann abweichend, ob er naß geworden sei.

So leichten Kaufes gedachte ihn aber der Doctor nicht loszulassen. Er setzte sich vielmehr ganz ordentlich zurecht und erzählte ihm von den Antecedentien des albernen sich weit überschätzenden Lenchens das, was ihm zu wissen sehr noth that, allein vollkommen mit dem Anscheine, als begegne er auf dem Wege seiner bittern Persiflage nur Lenchen und Niemand anders, der sich damit betheiligt haben könne.

Er säete seine Saat ganz gehörig. Ob sie auf guten Boden fiel, konnte er nicht wissen, und ob sie zum Glücke der Menschen im Allgemeinen aufgehen würde, mußte abgewartet werden.

Der Doctor wußte jedoch ganz genau, wie viel spröder Stoff in der Natur des jungen Kaufherrn lag, und er berechnete, daß der Trotz, welcher biegen oder brechen liebte, nicht geweckt werden durfte. „Lenchen ist übrigens ein außerordentlich hübsches Mädchen,“ fügte er deshalb sehr freundlich und anerkennend hinzu, als er genug persiflirt hatte.

„Passabel – Doctor – passabel,“ kritisirte Felix etwas gleichgültiger, als er vor einer Stunde gethan haben würde.

„Und dabei brauchbar,“ fuhr der Doctor mit schlauen Seitenblicken fort. „Meine Schwester lobt sogar ihre Herzensgüte und meint, daß der alte Herr Mettling eine prächtige Pflegerin an ihr gewonnen haben würde.“

Das helle Roth, das bei diesen Worten den jungen Kaufherrn überstürzte, wußte er sich nicht recht zu deuten. Deshalb übersah er es und griff nach dem Glase Wein, welches ihm gerade vom alten Friedrich servirt wurde.

In natürlicher Gedankenverbindung flogen die Minuten, welche er lauschend am Bache verlebt hatte, jetzt an seiner Seele vorüber, als er seine durstigen Lippen in das köstlich duftende Naß des Rheinweinglases senkte. „Wenn sie doch einen Tropfen davon gehabt hätte, als ihr diese Stärkung so nöthig zu sein schien –“ dachte er. Dieser Gedanke löschte die Heiterkeit von seinen Mienen und machte, daß er tiefsinnig in die goldreine Flüssigkeit hineinschauete.

„Was haben Sie, Doctor?“ fragte Felix. „Ist der Wein nicht klar?“

Strodtmann schüttelte wehmüthig den Kopf. „Klar, wie Gold, Felix – aber ich dachte darüber nach, daß von diesem wunderbaren

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