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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

kranker Theile etc. Stein und Bein schwören. Noch in neuester Zeit wurde im vollen Ernste das Anhalten eines gerupften Taubensteißes an den nackten Hintern eines in Krämpfen liegenden Kindes als ein sicheres Mittel gegen die Krämpfe (die sich auf die Taube übertragen und diese dadurch tödten sollten) empfohlen. Und wie viel Dümmlinge glauben nicht jetzt noch an die Wunderheilmacht des Herrn Arthur Lutze in Cöthen, der mit seinem Lebensmagnetismus und seinen magnetisirten homöopathischen Hochpotenzen geradezu Alles zu heilen verspricht, wenn er nämlich „nicht schwach im Glauben oder Willen gewesen, oder empfunden hat, daß er in diesem Falle nicht helfen durfte“ (s. Gartenl. 1856, Nr. 12). Man begreift wirklich nicht, daß so viele Kranke, aber doch noch zurechnungsfähige Menschen, sich nicht schämen, bei jenem cöthenschen Heilkünstler Hülfe zu suchen, der die Frechheit hat, öffentlich bekannt zu machen, daß er einen Mann, der sich auf der Straße eben den Fuß verrenkt hatte und nicht gehen konnte, durch bloßen Zuruf geheilt habe, daß er einem Geistlichen, der an Taubheit litt, bei 40 Meilen Entfernung in der Stunde das Gehör wiedergab, als er die Kraft seines Willens dahin sandte, und daß er einen 41jährigen Webermeister, welcher noch nie im Stande gewesen war, die Farben zu unterscheiden, sofort befähigte, die Farbenpracht der vor dem Hause blühenden Georginen zu erkennen, nachdem er demselben in beide Augen gehaucht hatte. – Meinem gichtbrüchigen Freunde, den sein kalbsknöchernes Taschen-Amulet vor der Gicht nicht zu schützen vermochte, empfiehlt eine gichternde Freundin folgendes Sympathie-Mittel: er gehe 3 Tage hintereinander des Morgens vor Sonnenaufgang zu einem Fliederbaume, fasse ihn an und spreche: „Flieder! ich habe die Gicht und Du hast sie nicht, nimm mir sie ab, so hab’ ich sie auch nicht.“ Eine andere Dame rühmt dagegen: drei Freitage hintereinander nach Sonnenuntergang unter einen Tannenbaum zu gehen und zu sagen: „Tannenbaum, ich klage Dir, die Gicht plagt mich schier; die Tanne muß dörren, die Gicht aufhören.“

Wie nun die Köpfe des gebildeten und ungebildeten Volkes von Aberglauben vollgestopft sind, der zum größten Theile auf ganz unüberlegter Annahme von Wirkungen auf gewisse Ursachen beruht, ebenso hat das Post hoc, ergo propter hoc in der Heilkunst, aller Wissenschaft zum Hohne, zur Wundersucht und Charlatanerie geführt, und es wird wahrlich Zeit, daß sich diese endlich einmal von jedem Aberglauben und jeglicher Gaukelei reinige. Suchen wir in Etwas zu dieser Reinigung durch Aufklärung der Laien beizutragen.

Bock.
(Fortsetzung folgt.)




Ein eidgenössisches Schützenfest.
Von J. D. H. Temme.
(Schluß.)
Zürich, am 14. Juli 1859.

Erst heute kann ich wieder zum Schreiben kommen, um Ihnen den weiteren Verlauf unseres Schützenfestes zu schildern.

Aber werde ich es auch können? Um des Stoffes willen gewiß. Aber ich fürchte, die rechte Stimmung ist mir verloren gegangen. Da kam zuerst der Waffenstillstand in das Fest hinein, dann dieser faule Friede. Ich hatte ihn vorhergesagt, noch bevor der unglückliche Krieg begann. „Soll man das Gute nicht nehmen, weil es vom Teufel kommt?“ hatte ich von so Manchem hören müssen, die an eine Befreiung Italiens durch einen Louis Napoleon glaubten. „Der Teufel kann nur nichts Gutes bringen, darum ist er eben der Teufel!“ hatte ich ihnen geantwortet. Sie hatten mir nicht geglaubt. Nun kann auch dem blödesten Auge der egoistische Zweck dieses Krieges nicht mehr entgehen; aber auch nicht, was weiter daraus folgen wird für unser deutsches Vaterland. Wird? Was folgen soll, ist wohl gewiß. Aber wird es auch? Wenn es nicht besser im deutschen Lande, nicht einiger, nicht – ach, man darf das Wort nicht einmal aussprechen, und die Wirklichkeit sollte kommen? Und ohne diese Wirklichkeit, ohne ein einiges und freies Deutschland, ist Deutschland – verloren.

Ich kann Ihnen nicht sagen, mein lieber Keil, wie schwer es mir auf dem Herzen ist. – Aber ich muß beschreiben. –

Ich zeige Ihnen zunächst den Platz, auf dem das Schützenfest gefeiert wird. Er ist von der eigentlichen Stadt Zürich etwa zehn Minuten entfernt, in der Gemeinde Rießbach. Sie wissen, die Stadt Zürich ist von allen Seiten von einer Art von Vorstädten oder Vordörfern umgeben, die unmittelbar an der Stadt beginnen, so mit dieser fast ein einziges, großes Ganze bilden, aber jede als selbstständige Gemeinde für sich bestehen. Solch ein selbstständiges, freies, wenn auch mitunter kleines Gemeindeleben ist außerordentlich viel werth für ein freies Volksleben. Das politische Leben jedes Einzelnen erhält sich immer wach darin, und der Bureaukratismus, diese Wiege und zugleich Stütze des Absolutismus, kann nicht darin aufkommen.

Eine solche kleine Vorstadt Zürichs bildet die Gemeinde Rießbach. Eine lange, schnurgerade Straße, unmittelbar an der Stadt Zürich beginnend, zieht sich mitten durch sie. Sie gehört zu den schönsten Straßen um und bei Zürich. Schöne Häuser und Gärten fassen sie zu beiden Seiten ein, unter den Gebäuden die niedlichsten reizendsten Landhäuser der mit reizenden Landhäusern besäeten Gegend. Sie heißt die „Seefeldstraße“; sie erstreckt sich in ihrer ganzen Länge an dem See hinauf, an den man unmittelbar aus den Gärten hinter den Häusern ihrer rechten Seite gelangt. Fast an ihrem Ende ist ein weiter, freier, von der Straße bis an den See reichender Wiesen-Platz. Hier war das Schützenfest.

Zuerst tritt man von der Straße in die Festhalle oder „Festhütte“. Sie ist ein von Holz aufgeführtes Gebäude, mit ungeheuren, aber in Länge, Breite und Höhe einander entsprechenden Dimensionen, nach zwei Seiten hin offen. Ein breiter Kreuzgang durchschneidet sie in der Mitte; schmälere Gänge laufen nebenhin und nebenher. In der Mitte befindet sich ein großer künstlicher Springbrunnen. Alle andern Räume sind mit langen Tischen und Bänken von weißem Tannenholz besetzt. Sechstausend Menschen haben da bequemen Platz zum Essen und Trinken. Auch zum Zuhören, ob freilich Alle zum Verstehen, ist eine andere Frage. In der Mitte der Länge des Gebäudes ist, nach Art einer Kanzel, eine mit den eidgenössischen Farben geschmückte Rednerbühne errichtet, und manches Wort aus kräftiger Lunge ist seit dem Dritten dieses Monats dort erschallt. Aber sechstausend essenden und trinkenden fröhlichen Schützen sich verständlich zu machen, dazu möchten selbst die gewaltigen homerischen Heldenstimmen nicht immer ausgereicht haben.

Hinter der Rednerbühne ist auf einem Empor der Platz für die Festmusik. Gewaltige Chöre haben dort während des Festes gespielt; aber auch ihre Töne konnten nur die Näheren vernehmen. Nur wenn die Marseillaise gespielt wurde, und sie mußten sie täglich zum öftern spielen, an manchem Abende zwei-, dreimal unmittelbar hintereinander, nur dann wurde jeder Ton von jedem Menschen in der weiten Halle und noch weit hinaus über Straße und Feld gehört. Dem wirren und lauten Geräusche, dem ungestümen Verlangen nach Wiederholung der Melodie machte dann auf einmal, sowie der erste Ton erklungen war, ein fast feierliches, stilles, gespanntes Zuhören Platz, bis bei der letzten Strophe Tausende von menschlichen Stimmen die Töne der Instrumente begleiteten.

Mitten vor der Front der Festhalle steht der hübsche Gabentempel, den ich Ihnen schon früher beschrieben habe. Auf seinen reichen und glänzenden Inhalt komme ich gleich. Ich muß Sie vorher weiter zu den Schießständen führen. Sie befinden sich zu Ende der Festhalle. Man tritt dort in ein langes, nicht zu schmales offenes Gebäude, ähnlich wie die Festhütte von Holz aufgeführt. Sechsundneunzig Schießstände sind darin, Stand an Stand nebeneinander. Sie führen zu sechsundneunzig Scheiben. Vor jedem Stande ist ein Raum zum Laden der Gewehre. Nebenan liegen kleinere Gebäude zum sofortigen Repariren, wenn Gewehr oder Ladezeug beschädigt werden sollten.

Hier lassen Sie mich zugleich erwähnen, wie auch für Hülfe bei etwaiger Verletzung oder Erkrankung von Menschen gesorgt war. Ein besonderer Raum war da für einen Arzt und eine Feldapotheke. Ich glaube sogar, zwei Aerzte waren Tag und Nacht anwesend. Die Aerzte Zürichs hatten sich freiwillig zu diesem menschenfreundlichen Dienste erboten. Sie wechselten täglich ab. An einem meiner Freunde war zweimal während des Festes die Reihe.

Die Scheiben sind nach dem See hin errichtet, so, daß eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_473.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2023)