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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

In wenigen Tagen war ich an die Grenzen der Civilisation geschleudert, das erkannte ich an Fort Gibson. Diese kleine Festung liegt am Arkansas auf einer kleinen Halbinsel, die auf der andern Seite von einem Zuflusse des Arkansas bespült wird. Sie liegt im Gebiete der Criks, schon im Lande der Indianer. Erdwälle und Pallisaden sind ihre Befestigungen; nur wenige Gebäude im Innern sind von Stein. Ich sah hier die ersten Indianer. Criks, Choctaws, Panis und Osagen waren hier erschienen und hatten ihre gesonderten Lager vor dem Fort aufgeschlagen. Unterhändler der Indian-Company waren im Fort versammelt, und auch eine Anzahl Pioniere hatten die Besatzung des Forts verstärkt. Aber auch diese durften nur unbewaffnet, wie die Indianer, das Fort betreten. Sie hatten nur den Vorzug, daß sie ihr Lager unmittelbar am Thore aufschlagen durften.

Auch in dieser Einöde galt Harry’s Namen, und die Indianer betrachteten uns als zwei große Häuptlinge, als sie sahen, daß die Besatzung des Forts, noch mehr die Agenten der Compagnie, die sie höher schätzten, als den Befehlshaber der Soldaten, und deren Untergebene – das waren die wilden Pioniere – uns mit Respect behandelten. Die stolzen Häuptlinge der Osagen kamen zu uns und luden uns ein, sie zu besuchen.

Es war eine gefährliche Zeit. Die Comanches hatten ihre Streifereien bis über den Red-River ausgedehnt und die Panis überfallen. Der Commandant des Forts wollte die Indianer vereinigen, den gemeinsamen Feind zu bestrafen; er hatte die vorzüglichsten Jäger versammelt, um auch sie zu einem gemeinsamen Handeln zu vermögen. Drohend standen sich aber die Stämme, feindlich ihnen die Pioniere gegenüber. Alle alten Unbilden waren wieder aufgetaucht. Nur darin waren die Indianer einig, daß die Weißen aus ihren Jagdgründen vertrieben werden sollten; nur darin die Jäger, daß sie die Indianer verachteten. Harry nahm die Unterhandlungen in die Hand. Zuerst hörte der schändliche Zwischenhandel der Agenten auf. Diese hatten sich nicht gescheut, ihre Sonderinteressen durch heimliche Spendung des Feuerwassers zu unterstützen, und dadurch alle Leidenschaften entflammt. Diesem Unfuge ward durch Harry gesteuert. Nun ward bestimmt, daß die Panis voran gehen sollten, weil es die Vertheidigung ihres Landes galt, eine Abtheilung der Criks sollte ihnen zur Unterstützung dienen, Choctaws und Osagen wurden auf den rechten und linken Flügel gestellt, und ein Theil der Besatzung mit den Jägern bildete die Mitte. Man hoffte, den Comanches schon am Colorado zu begegnen, d. h. nicht dem texanischen, sondern dem Nebenflusse des Arkansas, der auch Canadian genannt wird.

Was sind die Prairien?

Prairien nennt man die großen Ebenen, die sich vom Red-River bis zu den Höhenzügen in Wisconsin und Iowa erstrecken. Nach den Felsengebirgen zu werden sie durch eine wüste Hochebene begrenzt, das Ozark-Gebirge trennt sie von dem Thale des Missisippi im Osten, während sie im Norden über den Missouri und Mississippi hinausgehen und nur von den unbedeutenden Höhen der Wasserscheide dieser beiden Ströme verhindert sind, sich in dem fernen Norden zu verlieren. Von unzähligen Flüssen und Flüßchen in tiefen Flußbetten durchströmt. hat die Ebene nur an deren Ufern Wald; sonst ist sie eine ungeheure Wiese – die Prairie! Sie läßt sich mit nichts vergleichen. Ueber 200 Meilen lang und an einigen Stellen ebenso breit, mit einem Flächenraume von 50,000 Quadratmeilen, von denen kaum die Hälfte erst zum Anbau in Angriff genommen ist, bietet sie einen Jagdgrund, wie kein zweiter existirt, hat sie eine Zukunft für Viehzucht, wie kein anderes Land auf der Welt. Am Kansas dringt die Civilisation schon in ihr Herz hinein.

Unsere Vorbereitungen waren bald beendet. Schon auf dem Dampfschiffe hatten wir zwei Hunde gekauft und bald an uns gewöhnt. Zwei prächtige Pferde erwarteten uns schon im Fort, und bis an die Zähne bewaffnet, zwei sechsläufige Revolver in den Satteltaschen, die Doppelbüchse auf der Schulter und das Bowiemesser an der Seite, nicht zu vergessen den Lasso am Sattelknopf, so ritten wir an einem trüben und regnerischen Morgen in die Prairie. Ein wettergebräunter Pionier war unser Begleiter. Ihn hatte Harry sich ausgesucht.

Ich hatte seit Jahren auf keinem Pferde gesessen, deshalb hatte ich alle Mühe, mich auf meinem feurigen Fuchs zu erhalten. Harry hatte mich mißtrauisch angesehen. Er selbst saß auf dem Pferde wie angewachsen, eine schöne, ritterliche Gestalt. „Hilf dir selbst!“ ist der amerikanische Wahlspruch; und so hatte er mich auch mir selbst überlassen. Es ging auch bald besser. Auf unseren Weg hatte ich nicht geachtet. Wir hatten schon einen kleinen Fluß durchschwommen, da hielten wir gegen Mittag an einem großen Strome. Die Sonne schien uns entgegen, wenn sie auf Augenblicke die Wolken durchbrach, und ich hätte daraus schließen können, daß wir gen Süden uns gewandt hatten, aber ich war nur immer mit meinem Pferde beschäftigt.

„Wir müssen hinüber!“ sagte Harry zu mir.

„Was? – Hier hinüber?“ rief ich erstaunt.

Harry verstand meinen Schreck und sagte lächelnd: „Nun, Willy, es wird schon gehen!“ Zum ersten Male nannte er mich beim Vornamen. „Wird’s gehen?“ wandte er sich zu dem Jäger.

„Hm, sollt’s meinen,“ erwiderte dieser, „aber so nicht.“ Er sprang vom Pferde; wir thaten dasselbe und banden die Pferde an. Ben, so hieß unser Führer, abgekürzt für Benjamin, ging am Ufer entlang und kam bald mit einem kleinen Kanoe angerudert. Wir legten unseren Pulvervorrath und die Waffen hinein, und ich erbot mich, hinüberzurudern, konnte aber froh sein, daß mein Anerbieten von dem vorsichtigen Ben nicht angenommen wurde, denn diese Art zu rudern wäre mir gewiß nicht gelungen, der ich höchstens einen Kahn über die Elbe oder den Rhein gerudert hatte.

Ben setzte mich an das andere Ufer, dann fuhr er wieder hinüber.

Ein furchtbares Gefühl der Verlassenheit überkam mich, als ich so allein am Ufer stand. Noch fiel der Regen. Ich konnte kaum das andere Ufer sehen – nichts von Harry. Wenn ihnen ein Unglück zustieße – ich konnte ihnen nicht helfen – was sollte aus mir werden? So ganz allein in dieser lautlosen, wilden Einöde – zwar nur auf Minuten, aber die Minuten dehnten sich zu einer halben Stunde, einer Stunde. Ich wollte rufen und konnte nicht – mit meinen Augen suchte ich den Nebelschleier zu durchbohren. Endlich, endlich sah ich einen Pferdekopf – ein leeres Pferd kämpfte mit den Flusse. Mein Gott, was war das? Ich sah nichts, ich hörte nichts, nur das Pferd sah ich ringen und kämpfen, bis es meinen Augen entschwand, Ob ich besinnungslos niedergefallen, weiß ich nicht; aus meiner Betäubung riß mich Harry’s Stimme. Rücksichtslos drang ich durch das Gebüsch auf ihn zu, fiel ihm um den Hals, weinte wie ein Kind und konnte vor Schluchzen nur rufen: „Harry, Harry!“

Er mußte ganz überrascht sein.

„Was ist Dir?“ fragte er deutsch. „Beruhige Dich doch! Was ist Dir begegnet? Sprich, Willy!“

Nun erst fand ich Worte, ihm meine Gefühle zu schildern, die Angst und Sorge um ihn und mich vorher – dieses Gefühl der Einsamkeit, dann der Anblick des kämpfenden Pferdes.

Harry hörte mich ruhig an und sagte dann milde: „Das ist der erste Gruß der Prairie. Danke ihr, sie hat Dein Herz geöffnet!“

Ich hatte mein Pferd gesehen, das, am Lasso befestigt, zuerst in das Wasser getrieben und instinctmäßig dem Ufer zugeschwommen war. Harry und Ben waren nebeneinander durch den Fluß geschwommen, sich gegenseitig unterstützend. Wir setzten uns wieder zu Pferde und waren bald im hohen Grase. Erst gegen Abend machten wir in einem kleinen Thale Rast. Ich war so angegriffen, daß ich kaum etwas aß, und mich dann in meine Decke wickelte und einschlief.

In der Regel stürzt hier der Regen nur in Strömen herab, oft gepeitscht vom wüthenden Orkan, der sich bis zum Hurikan steigert, dieser furchtbare Sturm, der über die Prairie rast, und vor dessen Toben die Wälder wie Halme zerknicken. Wir kamen an Stellen, wo der Hurikan die Bäume umgeworfen hatte, daß es aussah, als sei ein Weg durch den Wald gehauen. Wir hatten nur einen leichtem sanften Regen auszuhalten, der uns aber doch ganz durchnäßt hatte.

Ich erwachte am Morgen, als schon das Frühstück bereit war. Mir war durchaus nicht behaglich zu Muthe. Wir saßen bald wieder zu Pferde, und als wir die Höhe des Thales erreicht hatten, lag vor uns die Prairie in ihrer ganzen Schöne. Im Thale wogte noch der Nebel; auf der Prairie lag die Gluth der Sonne. Tausend und aber tausend Thautropfen spiegelten uns das Bild der Sonne; der Nebel war hier gefallen, sie waren die Siegeszeichen. Bis an den Bug des Pferdes reichte das Gras und netzte uns bis an die Hüften, als wir im Galopp darüber hinsprengten. In der Ferne sahen wir Pferde weiden, bald darauf zeigte sich auch ein Trupp Büffel. Völker von Prairiehühnern jagten wir auf,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_479.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)