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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 34. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Lord Felix.
Eine Lebensskizze von Ernst Fritze.
(Schluß.)

Der Doctor sah ihn immer verwunderter an. Er begriff, daß im alten Papa Mettling mehr Verstand zurückgeblieben war, als man anzunehmen sich bewogen gefühlt hatte. Gespannt hing sein prüfender, scharfer Blick immerfort an den Augen und an dem Mienenspiele des alten Herrn.

„Zuerst eine Frage. Was halten Sie von der Person, die jetzt hier im Hause ist?“

„Von Lenchen?“ fragte der Doctor ahnungsvoll.

Der alte Mann lächelte wieder. „Ja, von der Helene!“ sprach er bedeutungsvoll.

Blitzschnell durchfuhr den jungen Mann der Gedanke, daß das Frauenzimmer den alten Herrn auch gekirrt habe, und zwar dem Anscheine nach mit äußerst günstigem Erfolge.

„Ein vortreffliches Mädchen!“ erklärte er diplomatisch verfahrend. „Wie ich höre, sind Sie sehr zufrieden mit ihr!“

„Wer hat Ihnen das gesagt? Felix etwa?“

„Mit Felix habe ich darüber zufällig noch nicht gesprochen. Ihr Bedienter sagte es mir.“

„Der Dummkopf!“ murmelte Herr Mettling. „Fräulein Helene – die ich beiläufig in Holzpantoffeln und zerrissenen Strümpfen sehr gut gekannt habe – scheint meinem Sohne mehr zu gefallen, als mir. Es hat heute beim Sonnenaufgänge darüber ein Unwetter gesetzt, und ich werde mich in Folge dessen von Felix trennen, weil er mir erklärt hat, meinem verrückten Eigensinne nicht die Behaglichkeit seines häuslichen Lebens opfern zu wollen.“

„O, Papachen – das hat er so böse nicht gemeint!“ warf der Doctor beschwichtigend ein.

Wieder flog das helle Lächeln eines ungetrübten Erkenntnißvermögens über die würdevollen Züge des alten Herrn.

„Ich meine es auch nicht böse mit ihm, liebster Doctor. Er ist ja mein einziges Kind! Aber ich weiß nicht, Doctor, ob Sie schon einmal im Leben mitten in einem dumpfen Dasein einen Lichtstrahl erblickt haben –“

Der Doctor erröthete und dachte an Adeline von Dahlhorst.

„Wo von diesem Lichtstrahle ein weiches Wohlgefühl, eine warme Freude am übrig gebliebenen Leben in Sie hineinströmte.“

Der Doctor lächelte resignirt.

„Ja? Haben Sie so etwas erlebt?“ fragte der alte Kaufherr lebhaft. „Nun, so wissen Sie, wie mir neulich zu Muthe wurde, als ein junges, schönes Mädchen mit liebreicher Herablassung, weil sie mich, wie alle meine Bekannten, kindisch glaubte, meine Unterhaltung suchte und mich liebevoll anzuregen strebte. Natürlich fand sie bald, daß ihre Bemühungen anerkannt wurden und daß sie es keineswegs mit einem geistesschwach gewordenen, sondern nur mit einem verdrießlichen und vernachlässigten Greise zu thun hatte. Sie goß Balsam in mein Herz, Doctor! Sie gab mir andere Medicamente, wie Ihr. Sie erkannte, daß Essen und Trinken nicht allein hinreichten, meine allerdings schwächer gewordene Geisteskraft zu befriedigen. Das lebhafte Plaudern dieses lieben, schönen Wesens tönte noch tagelang in meinem Kopfe nach, und ich bauete einen Plan auf die froh verlebte Stunde. Felix sollte dies Mädchen zur Gattin wählen! Ich ging zaghaft daran, seine Meinung über sie zu erforschen. Siehe da! Er war nichts weniger, als gleichgültig gegen diese Dame. Weiter dehnte ich meine Operationen nicht aus, denn sein Widerspruchsgeist darf nie geweckt werden.“

Der Doctor nickte bestätigend mit dem Kopfe. Er war ganz Ohr bei der zusammenhängenden Darstellung Mettling’s, dem er wahrhaftig solche Fassungskraft auch nicht zugetraut hätte. Aber hier hatten belebende Elemente gewaltet und den Nebel verscheucht, der sich successiv um einen sonst sehr hellen Verstand zu legen Miene machte. Wer mochte das schöne Mädchen sein, welches so erfrischend auf ihn gewirkt hatte?

Der Doctor hätte gern gefragt, allein er wollte aus Gründen den Ideenfluß des alten Herrn nickt unterbrechen. Tiefer fuhr fort:

„Bis vor vierzehn Tagen ging Alles vortrefflich, liebster Doctor. Da engagirte Felix, auf ihr dringendes Bitten, die Person, die jetzt im Hause regiert, und mein Traum zerfloß. Gut! Ich habe ihm meine Meinung gesagt. Will er in die Reihe mit einem „Sellner“, einem „Gutenburg“, einem „Ballhorn“ u. s. w. treten, lauter Männer, wie Sie wissen, die Weiber genommen haben, deren Dasein in ihren wohlgeordneten Häuslichkeiten ein ewiger Schandfleck bleibt, welcher edle Naturen daraus fern hält und sie vor sich selbst erniedrigt – gut, will Felix sich zu solchen erbärmlichen Cirkeln gesellen, so mag er es thun. Ich habe ihm freie Hand gelassen. Aber ich werde nie in dem Hause des Sohnes leben, wo eine Schwiegertochter waltet, die mit gemeiner Koketterie den Platz einer Hausfrau erobert hat. Wir trennen uns!“

„Aber, bester Papa – sind Sie nicht zu voreilig?“ fiel der Doctor wieder begütigend ein. „Sie schütten das Kind mit dem Bade aus!“

„Die Sache ist zwischen mir und Felix abgemacht!“ erklärte der alte Herr. „Ich werde, im Falle Sie mir ein Gesundheitsattest nicht versagen, meine Verfügungen treffen und mich anders situiren. Dazu sollen Sie mir die Hand bieten.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_481.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)