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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 35. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Tage im Walde.
I.

Wie ist es so schön, so herrlich frisch im Wald! im Laubwald, wenn das Frühroth in der Ferne dämmert, der Morgenwind die Blätter rührt und die verschlafenen Bäume zum Erwachen zwingt; ein Specht zu hämmern anhebt, Goldhähnchen vorüber hüpfen, ein Eichhörnchen aus dem Neste guckt, ein Finke zu schlagen beginnt, der Pirol pfeift, die Drossel den Schnabel wetzt – und nun plötzlich sich die Spitzen der Bäume röthen, Thautropfen wie Diamanten glitzern, – einen Augenblick heilige Stille wird, als schritte der Herr durch den Wald – und dann die Sonne aufgeht! –

Es wird Tag. – Nun hebt Alles zu singen an; auf allen Zweigen regt es sich; überall lassen Vogelstimmen sich hören; ein allgemeiner Chor ist es geworden, und die Rehlein lauschen im Thalgrund altklugen Auges, bis ein Beilschlag in der Ferne laut wird, die Geschäftigkeit des Tages des Waldes Morgenfeier unterbricht, die Sonne höher und höher strebt, des Tages Last und Hitze des Waldes Morgenfeier vorüberrauschen macht. – Wie schön ist es im Walde! –

Das junge Mädchen aber, welches den Hügel hinaufstieg, war noch schöner; so jugendlich frisch, so lieblich anzusehen. – Von der entgegengesetzten Seite kam ein Bursch daher. Fröhlich sang er in den Wald hinein:

Und muß ich auch zum Wald hinaus,
Mein Herz bleibt doch bei Dir.

„Wenn’s nur wahr ist!“ unterbrach in diesem Augenblick das Mädchen den Sänger. – Und der, nun, der jodelte auf und lachte. Was er aber sagte, ich weiß es nicht. Verständlich aber war es gewiß, denn die Maid lächelte bei seinen Worten so selig glücklich, und ihr Auge leuchtete so wunderbar.

Sie ließen auf den Rasen sich nieder und saßen dort Hand in Hand. Droben im Laubdach saß ein Fink und schaute listig altklugen Aug’s auf die Beiden nieder. Er schien gar aufmerksam zuzuhören, hat auch gewiß alles verstanden, was die Beiden sich erzählt – will aber nichts sagen, nichts gestehen. Wenn ich ihn frage, singt er mir in’s Gesicht, und mir ist’s, als wolle er mir sagen:

Im Wald, im Wald, da ist’s gar still;
Was ich gehört, nie sagen will –
Du möchtest sonst es plaudern.
Der Wald, der Wald so manches sieht,
Was innig freut Herz und Gemüth –
Doch thät er nie es plaudern.

Der Schelm! als ob ich nicht verschwiegen wäre! Doch halt, wo sind die beiden jungen Leutchen geblieben? – Ei, sieh, das junge Mädchen geht dort, der Bursche dort – und keines thut, als ob es den andern kenne. – Macht das der Herr Förster, der soeben den Berg hinansteigt und dem die Maid so freudig entgegen eilt? Es ist ihr Vater.

Sie ging im Wald so vor sich hin
Und suchte in der Blätter Grün
Der Erdbeer’ rothe Früchte

Jetzt aber wirft sie einen Blick verstohlen zur Seite. Soeben steht der Bursch auf der Kuppe des Berges. Noch einen Schritt abwärts – und er ist verschwunden. Singt er nicht laut?

Ade, Du Maid, mein süßes Lieb,
Geschieden muß es sein! –

Der Förster hat mit den eben ankommenden Holzschlägern zu schaffen; er reicht der Tochter die Hand zum Abschiede und schreitet fürbaß.

Die Maid aber geht langsam, langsam nach Haus. Alle Freudigkeit scheint hin. Sie preßt die Hand auf das wogende Herz; eine Thräne stiehlt sich aus dem Auge – und leise spricht sie: „Werd’ ich ihn wiedersehen? Ach!“

Kein Feuer, keine Kehle kann brennen so heiß,
Als heimliche Liebe, von der Niemand nichts weiß.

Und die Sonne steigt höher und höher empor. Der frische Morgenwaldduft ist längst verschwunden. Laut dröhnt der Beilschlag, der Holzfäller. Ein Baum nach dem andern schlägt nieder. Ein eigenthümliches Aechzen wird beim Fallen vernehmbar, gleichsam als ob der Baum, der Jahrhunderte lang so frisch im Wald gegrünt, seinen letzten Todesseufzer aushauche, als nähme er Abschied von den Genossen, die mit ihm jung gewesen, mit denen er Sturm, Wetter und Sonnenschein gemeinsam getragen. Ein eigenthümliches Wehe durchzittert die Luft, wenn solch’ ein majestätischer Baum donnernd zur Erde fällt.

Die Menschen sind geschäftig im Wald, nur die Mittagsruhe derselben unterbricht den Lärmen. Die Thiere sind zumeist ruhig und still geworden, als pflegten auch sie auf kurze Zeit der Ruhe nach stundenlanger Arbeit. Der Gesang der Vögel wird nur noch in einzelnen Stimmen vernommen. Die Krähen sind in Schaaren nach den Feldern gezogen, die Blätter der Bäume hängen nieder. Alles athmet Ermattung. Doch nicht lange dauert diese Schwüle – die Sonne geht zur Rüste. Es will Abend werden.

Die Förstermaid ist wieder im Wald. Sie geht dem bald heimkommenden Vater entgegen. Oftmals aber bückt sie sich nieder, pflückt eine Waldblume ab, um sie als ein Orakel der Liebe zu benutzen. Sie zerpflückt dieselbe, und das Herz fragt bei jedem niederfallenden Blatt: liebt er mich? liebt er mich nicht? bis das letzte der Blätter, als ein glückliches Zeichen, ihr ein schmerzlich-freudiges

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_493.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)