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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Lächeln auf die Wange lockt. – — „Zwei Jahre bleibt er fort! Wird er mir treu bleiben? Wird er erreichen, wonach er strebt? Und wird mein Vater, wenn das Ziel errungen, seine Einwilligung geben? Wird er mir oft durch seine Mutter schreiben?“ So fragt die Maid sich selbst. Träumend geht sie weiter – und malt in Gedanken die Zukunft sich aus.

Plötzlich aber schreckt sie auf. Leute nahen.

„Gute Nacht, Herr Förster!“ rufen die Holzschläger, und eilen den Fußsteig dahin; indeß der Förster die Tochter freundlich empfängt und mit derselben am Arm querein durch den Wald nach Hause geht. –

Und Abend wird es mehr und mehr. Die Krähen kehren in Schaaren vom Felde heim und lassen, laut mit den Flügeln schlagend, im Walde sich nieder. Jetzt lassen die Sänger des Waldes ihr Abendlied erschallen. Die Spitzen der Bäume röthen sich im Sonnenabendgold. Rehe und Hirsche eilen zum Waldsee hin. – Es ist so eigenthümlich laut ringsum, als suchten alle Geschöpfe noch dem Herrn ein Abendlied, ein Dankgebet darzubringen.

Doch die Sonne verschwindet; die Waldblumen schließen ihre Kelche; der Abendwind rauscht durch die Wipfel der Bäume – dann dunkelt es mehr und mehr; stiller, stiller wird es. – Der Abend vergeht – es wird Nacht. Alles scheint zu schlafen. Doch plötzlich regt, bewegt es sich im Walde; ein eigenthümliches Summen geht durch die Bäume; seltsame Stimmen werden laut; eigenthümliche Schatten huschen vorüber. Eine Eule schreit, ein Fuchs läuft dahin, der Ruf des Uhu tönt, ein Rudel Hirsche jagt vorüber, ein Marder schleicht vom Baume. Jetzt wachen die Glühwürmchen auf und erhellen das Moos; am Moor tanzen die Irrlichter. Jetzt schwebt auf dunklem Wolkensaum herauf das Mondenlicht.

Immer märchengrausiger wird es im Walde!

Gewiß! im Thalgrund tanzen die Wichtelmännchen schon; der Waldgeist jagt vorüber; auf dem dunklen See, wo bei Tage schon so geheimnißvoll die weißen Wasserlilien prangten, wird’s lebendig. Die Wassernixen steigen aus den Lilien auf, wiegen sich auf den breiten, dunklen Blättern – und rudern zum Strand. Jetzt scheint der Mond so hell; man sieht die Nixen deutlich auf dem Wiedengrund tanzen. Drüben aber im Tannenwald rauscht und dröhnt es, als zöge die wilde Jagd daselbst.

Horch! horch! jetzt hastiger Beilschlag. Holzdiebe fällen einen Stamm. Ein Schuß fällt. War es der Jäger oder der Wildschütz? – Nun aber ist Alles still. Mitternacht ist nahe. Ein Uhu rauscht geheimnißvoll durch die Lüfte dahin. – Wie märchengrausig ist’s im Walde! Langsam, still, gleich einer Friedensfahne schwebt der Mond auf dunklem Wolkenboot am Himmel entlang.

Doch welch ein Ton schallt Plötzlich durch die Luft, die geheimnißvolle Stille durchbrechend? Es ist ein Horn, es naht die Post. – Weit, weit hin durch den Wald erklingt das Lied des Postillons. Wie zauberisch wunderbar! – Die Passagiere denken, es sei Station; sie blicken verschlafen zum Wagenfenster hinaus. Sie sind im Walde. Ueberall dichter, dunkler Wald.

Jetzt aber macht der Weg eine Wendung, er wird breiter. Ein Giebel wird sichtbar. Es ist das Försterhaus. Lauter, schöner bläst der Postillon. Und droben im Giebelstübchen des Hauses fährt aus süßem Traum eine Jungfrau auf.

Schlaftrunken reibt sie sich die Augen. Sie horcht, sie lauscht. Schrieb der Geliebte schon? – Weiter, weiter fährt die Post, das Horn verstummt. Alles still. Die Maid schlummert ein –

Doch zieh’n durch ihre Träume
Posthorn und Mondenschein.



II.

Monden sind vergangen, Herbstnebel lagern im Gebüsch auf Flur und Heide. Kein Vogelsang erschallt, kein Sonnenstrahl glitzert durch die Zweige; tiefstill ist es im Wald, Hin und wieder fällt ein welkes Blatt von den Eichen und Buchen nieder; Sommerfäden, von dem Wiesenrain herübergeweht, hängen schlaff, feucht von den Wachholderbüschen herab; ein fallender Tannenzapfen durchbricht auf einen Augenblick die melancholische Stille, eine Mandelkrähe huscht von Ast zu Ast, indeß ein Dohlenschwarm, auf schiefer, vom Blitz gespaltener Weide hockend, wie aus dumpfem Schlaf erwachend, träge aufblickt; dann ist es wieder still, nebelstill – Herbst lagert auf Flur und Wald.

Jetzt aber erschallt aus hoher Luft die Stimme wandernder Kraniche, ein Volk Rebhühner schrillt auf am Waldessaum, um gleich darauf nicht fern im Thalgrund wieder nieder zu fallen; der Krammetsvogel[1] läßt sich hören, die Rohrdommel schreit, das Heer der wilden Enten schnattert im säuselnden Schilf – und fern im Hochwald ertönt die dumpfe, weitdröhnende Stimme eines majestätischen Hirsches.

Wie so anders ist es in den Tagen des Herbstes im Wald! Jeder Blick sagt, daß der Winter naht. Alles bereitet sich auf den Winterschlaf: Baum und Strauch, der ganze Wald mit seinem Grün, mit seinen lebendigen, frohen, heiteren Bewohnern. Nur die dunkelgrünen Tannen wollen von Hoffnung sprechen und sich ihrer Nadeln nicht entkleiden. Die Vögel aber, die den Winter scheuen, zogen zumeist bereits dem schöneren Süden zu.

Hastig durchschreiten Männer den Forst; im Herbst ist nicht gut weilen im Walde. Die Jägermaid aber, die sonst so frisch, so keck den Wald durcheilte, schleicht heut so langsam, traurig dahin. Sie schaut nicht um, sie blickt zur Erde nieder. Waldmann, der treue Hund, das alte gute Thier, wedelt ihr zur Seite und blickt sie mit seinen klugen Augen so fragend an, so verständig, als wollte er sagen: „Laß gut sein, Herz! Sei nicht betrübt! es wird einst wieder Frühling werden!“ – Sie aber, als müsse sie auf diese Gedanken antworten, schüttelt das Haupt – und zerdrückt eine Thräne im Auge. Eine Eidechse rasselt durch das welke Laub, das den Boden rings bedeckt, eine Feldmaus schlüpft in ihr Loch – und ein Hase läuft über den Weg. Der Hund bellt, er will dem Wild nach, doch die Maid hält ihn zurück und sagt, begütigend ihm die Seite klopfend: „Kusch Dich! Mir bedeutet sein Ueber-den-Weg-laufen kein Unglück mehr. In der Brust steht es geschrieben, die Ahnung hat es mir längst gesagt: Er blieb nicht treu! Zwei Jahre gab er Frist, dann wollte er wiederkehren treu und bieder. Der erste Herbst schon machte seine Liebe welken.“

Busch und Wald mag sich entlauben,
Aber treue Liebe nicht;
Kenntest wohl das Glück mir rauben;
Daß ich lieb’ Dich, mußt Du glauben –
Lieb’ Dich, bis das Herz mir bricht.

Weiter eilt sie. Im jungen Birkenausschlag, mit Fichten untermischt, ist der Dohnenstrich. Schon glänzen ihr die rothen Ebereschenbeeren aus den Dohnen entgegen. Hin und wieder hängt in den Schleifen ein Vogel schlaff und todt. Dort, in jener Dohne am alten Fichtenstamm, hat sich soeben eine Schwarzdrossel gefangen; noch flattert das Thier.

Die Maid schreitet hastig hinzu, löst die Schleife und läßt den Gefangenen fliegen.

„Nimm Deine Freiheit, Dein Leben wieder!“ ruft sie laut. Und auf die übrigen todten, bereits ausgelösten Vögel in ihrer Hand blickend, sagt sie: „Wie hat euer Fang mich sonst erfreut! – Und nun?“

In diesem Augenblicke trottelte ein alt Mütterchen an der Seite eines jungen Mädchens vorüber. Beide haben Reisig auf dem Nacken. Sie grüßen die Maid. Die alte Frau aber sagte, als sie vorüber war und sicher, daß ihre Worte nicht mehr gehört werden konnten: „Die hört auch im nächsten Jahr den Kuckuk nicht mehr schreien! – Wohnt das Mädel so schön im Wald, hat so schmucke Jägersleut’ oft im Haus – und muß ihr Herz an den Einen hängen, der sie nun sitzen läßt! – Ja, ja! Der Wind hat die Blüthen der Heckenrosen längst verweht; aber ein Paar derselben hat er auf die Wangen der Jägermaid gezaubert – und da blühen sie fort, Allen sichtbar – als Grabesrosen. – Siehst Kind! So geht’s! Sah’ die Lieb entstehen – und vergehen. Der Nachbarin Bursch lief so emsig zum Wald, der Dirne nach; bis er das Herz der Maid gefangen, wie einen Vogel in der Schleife. Seine Augen und sein rother Mund das waren die rothen Ebereschenbeeren, die den Vogel kirrten; und seine Worte waren die Locktöne, die ihn bezauberten, bis er gefangen saß. Wie oft trafen sie sich im Wald! Hab’s oft gesehen. Mich alte, arme Frau haben Beide freilich nicht beachtet. – Was sich liebt, das sucht und findet sich. Auch bei der Mutter des Burschen kamen sie zusammen. Und als er Abschied nahm, in Hoffnung nach wenigen Jahren als Mann zurückkehren zu können, der im Stande sei, den eigenen Heerd zu gründen: da machte die Hoffnung auf ein glückliches Wiedersehen den Abschied ertragen. – Es sollt’ anders kommen! Noch ist kein Jahr in’s Land gelaufen, und schon hat der Bursch, der so treu und bieder schien, das Mädel vergessen und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_494.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)
  1. w:de:Wacholderdrossel