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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

etwa ein halbes Dutzend Bauern, welche, ehe sie in die Heuernte gingen, hier ihren Frühschnaps tranken.

Sobald der Schulrath mit seinem Sohne an der Schwelle erschien, erhoben sich die Bauern, Der Schulrath bat, sich nicht stören zu lassen.

„Entschuldigen Sie nur unser Lachen, Herr Doctor, und auch Sie, Herr Assessor!“ ergriff der Dorfrichter das Wort.

„Warum sollten die Landleute bei so schönem Heuerntewetter nicht fröhlich sein?“ erwiderte der Schulrath.

„Das denken wir auch, und noch dazu galt unser Lachen einem Zeitungswitze,“ sprach der Dorfrichter weiter.

„Ich hörte es so halb und halb,“ antwortete Jener.

„Aber Sie haben Recht, Herr Doctor, wäre schlechtes Wetter für unsere Heuernte, wer weiß ob wir dann so lachen könnten. Bei den Komödianten ist das freilich etwas Anderes, die machen ihren Spaß bei gutem und schlechtem Wetter, im Glück und Unglück, und darüber lachten wir eigentlich.“

„Wollen wir uns nicht lieber hinaus in die Laube setzen?“ fragte heimlich, aber drängend der Assessor seinen Vater. Der Schulrath wendete sich, that einige Schritte und flüsterte dann dem Sohne zu: „Das würde man uns übel nehmen.“ Zugleich setzte er zwei Stühle zurecht und bestellte zwei Tassen Kaffee. „Bitte, bitte, keine Umstände,“ mahnte er dann die Bauern, „niedergesetzt und fortgelesen!“

„Wir waren fertig,“ erklärte der Dorfrichter, während er das Zeitungsblatt oder vielmehr den Dorfanzeiger auf den Tisch legte und sich mit den Anderen nun niedersetzte. „Vorn stand nicht viel Neues und hinten nicht viel Erbauliches – nichts als Einbruch, Raub, Diebstahl. Da haben sie eben auch einem Theaterdirector zweihundert Louisd’or gestohlen, und in dem Geldkästel hat zugleich ein zerrissenes ABC-Buch gelegen – und das war’s, worüber wir lachten.“

„Das eigentlich nicht,“ verbesserte der Nachbar des Dorfrichtern, „sondern das war’s, daß der Theaterdirector noch etwas Lustiges unter die ernste gerichtliche Anzeige setzte,“

„Wird weder durch Ernst noch durch Spaß sein Geld wiederkriegen, obgleich er zwanzig Louisd’or für denjenigen ausgesetzt, der ihm dazu verhilft,“ bemerkte ein Dritter.

„Aber lustige, hübsche Leute sind und bleiben sie doch immer, diese Schauspieler, das muß man sagen!“ nahm der Richter wieder das Wort.

„Hübsch, hübsch, wahrhaftig – das sieht man jetzt in unserer – –“

Der Richter stieß seinen Nachbar, und dieser verstand den Stoß. Er schwieg, aber die Ellenbogenbewegung ging ringsum, von Mann zu Mann.

„Nichts, nichts,“ raunte der Wirth ihnen zu, der einige frische Gläser auf den Tisch stellte, „dachte es auch, aber glücklicher Weise ist’s anders; er geht heute gar nicht in unsere Schule, reist gleich weiter.“

So leise der Wirth auch diese Mitteilung machte, so wurde sie doch vom Schulrathe und seinem Sohne vernommen. Und so sehr die Mitteilung auch die Gesichter der Bauern mit einem frohen Lächeln überzog, so rückte doch der Assessor seinen Stuhl, stand in sichtbarer Unruhe auf und fragte, während er rasch hin und her schritt: „Wird die Heuernte besser ausfallen, als im vorigen Jahre?“ Er unterhielt sich weiter mit den Bauern, er stellte allerhand Fragen, er sah zuweilen sich um nach dem Vater, der den Wirth auf die Seite gezogen und mit diesem sich in ein Gespräch eingelassen hatte, – er vernahm, daß das Gespräch aus Fragen und Antworten bestand, die sich auf die vorige Ellenbogenbewegung – auf Schule und Schulhaus erstreckten – – und mit einem tiefen, schmerzlichen Blicke, den er auf seinen Vater richtete, verließ er plötzlich die Bauern, die Stube und das Haus.

Dem Schulrathe war die innere Bewegung seines Sohnes nicht entgangen. Er hatte ihn beobachtet, seit er mit ihn, eingetreten war in die Wirthsstube. Was konnte die Unruhe des jungen Mannes bedeuten? Schon während der Fahrt hatte derselbe ein anderes Wesen gezeigt, als sonst. Der Vater schrieb das freilich auf Rechnung des Gespräches, welches er mit dem Sohne wegen dessen Verheirathung in dem Wagen geführt. Aber das Gespräch war doch längst vorbei, und fort und fort hatte sich Theodor’s Erregtheit gesteigert. Der Schulrath brachte keinen Zusammenhang hinein. Denn aus dem, was er jetzt vom Wirthe sowohl, als von dem Dorfrichter über Schule und Schulmeister hörte, ließ sich kein Motiv über Theodor’s Benehmen ziehen.

Als das Gespräch mit dem Wirthe und Dorfrichter völlig im Gange war, ließ der Schulrath plötzlich eine Pause entstehen, und ging eine Weile sinnend auf und ab. Dann trat er wieder zu den zwei Männern.

„Der Kutscher mag ausspannen!“ sagte er. „Meine beabsichtigte Reise läßt sich einige Tage verschieben. Besser, ich begebe mich in die Schule. Es könnten doch weitere Unzuträglichkeiten vorfallen – ich will mit dem unvorsichtigen Schnurr reden.“

„Aber es ist doch weiter nichts vorgefallen!“ bat der Wirth vereint mit dem Richter, während die übrigen Gäste von dannen gingen.

„Während des Unterrichts darf Niemand im Schulgarten schießen!“ antwortete der Schulrath, „das geht nicht! Im Uebrigen ist mir bekannt, daß Schnurr wirklich einen Bruder in Hamburg hatte, dessen Tochter sich auf’s Theater begab. Wollen also einige Böswillige behaupten, es sei bei dem Schulmeister ein wildfremdes Theatermädel zu Besuch, so könnt Ihr Euch dagegen auf mich berufen. – Und seit wann ist diese Schauspielerin im Schulhause?“ fragte er nach einer Pause,

„Seit acht Tagen, Herr Schulrath,“ antwortete der Richter. „Ich habe es auch dem Gensd’arm gemeldet, sie ist in die Liste eingetragen, und Alles in Ordnung,“

„Und seit den acht Tagen, das können Sie glauben, Herr Doctor,“ fügte der Wirth hinzu, „da hat sie gewiß schon zwanzig Thaler an arme Kinder ausgetheilt.“

„Und das nicht allein,“ fuhr der Dorfrichter fort, „sie besucht mit dem Schulmeister die Kranken und Armen in den Häusern, geht auch oft allein dahin, gibt Unterstützungen, redet mit den Leuten, heitert sie auf.“

„Und das kann sie aus dem Fundamente,“ fiel der Wirth ein. „Das müssen Sie sehen, Herr Doctor, wie lustig die ist; wie ein Fischlein im Wasser! Und wie schön dazu!“

„Ja wohl, lustig und schön!“ bestätigte der Richter, „man muß dem Fräulein gut sein! Und da ist es nun freilich kein Wunder, daß Abends viel Leute hinlaufen an’s Schulhaus, um sie zu sehen oder um sie zu hören, wenn sie mit dem Schulmeister vierhändig auf dem Clavier spielt. Zuweilen kommt sie da heraus, macht Spaß mit den Kindern, gibt dem Einen Geld, dem Andern eine Spitzrede, so daß die Leute lachen. Nun wissen Sie ja, Herr Schulrath, wie die Leute sind. Diejenigen Eltern, deren Kinder nichts bekamen, oder wohl gar nur eine Spitzrede gewannen, sind neidisch auf die Andern, machen ihre Bemerkungen, und dann verbreiten sich Gerüchte, und der Schulmeister wird natürlich auch mit hineingezogen.“

„Besonders, weil Herr Schnurr jetzt so fröhlich ist,“ ergänzte der Wirth. „Ich glaube aber, jeder Mensch würde fröhlich sein, wenn ein so hübsches Fräulein in seiner Nähe, in seinem Hause wäre.“

Der Schulrath nahm eine Prise und sagte lächelnd: „Lieben Freunde, wenn das Mädchen Allen so gefällt, wie Euch Beiden, dann ist’s freilich kein Wunder, daß das ganze Dorf in Aufruhr kommt.“

„Herr Doctor, Herr Doctor!“ entgegnete der Richter leise, und drohte scherzend mit dem Zeigefinger, „ich glaube, sie wird Ihnen auch gefallen!“

„Und was sagen denn Eure Weiber?“ fragte der Doctor.

„Die haben das Fräulein alle gern, die laufen Abends auch mit hin vor das Schulhaus. Nur unter den Jungfern und Burschen ist hier und da ein kleiner Krieg ausgebrochen.“

„Und ist am Sonntage das Fräulein auch mit hinüber in die Kirche gegangen?“ fragte der Schulrath.

„Das eben nicht,“ antwortete nach einigem Zögern der Richter, „aber der Herr Schulmeister ist drüben gewesen – das Fräulein hat zu Hause gesungen –“

„Erzähle es doch ehrlich, Gevatter,“ fiel der Wirth ein, „es ist ja nichts Böses. Sehen Sie, Herr Doctor, am letzten Sonntag sind blutwenig von uns hinübergegangen in’s Kirchdorf. Das ging so zu. Zu der Zeit, wo die Leute zu gehen pflegen, sang und spielte das Fräulein bei offenen Fenstern. Da blieben denn die Kirchgänger stehen, denn sie hatten doch gerade Zeit, und das Wetter war so schön. Da können Sie denken, Herr Schulrath, daß es dabei zur Kirche bald zu spät wurde. Ein ganzer Haufen stand mit den Gesangbüchern vor dem Schulhause, bis der Schulmeister aus der Kirche kam. Böse Mäuler haben darüber freilich auch gelärmt. Aber etwas Ungeschicktes ist sonst nicht dabei vorgefallen. Sie wissen ja, Herr Doctor, so etwas Neues –“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_506.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)