Seite:Die Gartenlaube (1859) 521.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 37. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Theater und Schule.
Von L. R.
(Fortsetzung.)

Sie ging zum Schulrathe hin, und bot ihm ihre schöne Hand. Dieser that, als sehe er es nicht, und verblieb in seiner Stellung.

„Also wirklich bös?“ fuhr sie langsam und lächelnd fort, und legte ihr Händlein, das sie ihm dargeboten, auf seine in der Brustöffnung des Fracks versteckte Hand.

Der Schulrath wich einen Schritt zurück.

„Als reuevolle Sünderin folge ich Ihnen nach,“ erklärte Rosa, während sie ihre kleine Hand ein Stück tiefer herabgleiten und dann wieder festruhen ließ. „Hier schlägt das Herz,“ fuhr sie fort, „ich fühle es schlagen. Gewiß ein gutes Herz, das unter diesem Frack schlägt. Für mich schlägt es nicht, für wen mag es schlagen, so recht in Liebe schlagen? Für Amt und Beruf? für Weib und Kind? O gewiß, für wen und was es auch schlägt, es schlägt gut.“

Sie sprach das mit so innigen, mit einem so tiefen Ausdrucke des Gefühls, daß man deutlich sah, wie es nicht etwas Gemachtes, sondern die reinste Natur war. Dabei blickte sie ihm tief in die Augen, musterte scharf den ganzen Kopf, es war, als steige eine Erinnerung in ihr auf.

„Ich glaube, auch die Hand ist gut, die sich da in der Herzgegend verstecken will,“ sprach sie dann langsam weiter, „Nur hübsch heraus damit, Herz und Hand machen ja eigentlich den ganzen Menschen!“

Und sie zupfte leise an dem Frackaufschlage, sie zupfte leise wieder, und langsam und leise glitt des Schulrathes Hand aus der Brustöffnung. Rosa aber ergriff die Hand und drückte ihre Lippen auf dieselbe.

Das Alles war sehr still und schweigend geschehen. Durch das Herz des Schulrathes waren tausend Gedanken und Empfindungen gegangen. Er blickte jetzt um sich. Rosa hatte sich schnell entfernt, stand beim Oheim Schnurr und gab diesem das Pistol.

„Hier nimm!“ rief sie, jetzt wieder in den heitern Ton fallend, „Dein Herr Oberst mit dem guten Herzen dort machte mir den Vorwurf, mein ganzes Betragen scheine wenig Rücksicht zu nehmen auf dieses Haus! Jetzt wird er sehen, daß ich ja doch wohl Rücksicht nehme auf dieses Haus, eine Rücksicht, die er nicht und die Du nicht nimmst. Vielleicht sieht er noch mehr dabei.“

„Was soll denn wieder losgehen? ich bitte Dich, Rosa! so eben warst Du so friedlich, so gut, ich bitte Dich doch!“ warnte halblaut Schnurr.

„Ist es nicht Schade um die Zeit?“ fragte sie, „und die zwei Herren stehen so müßig im Weinberge? Bitte, mir auf einige Augenblicke!“ wendete sie sich schnell an den Schulrath und nahm ihm die ABC-Buchblätter aus der Hand.

„Was wollen Sie, Fräulein?“ rief dieser ihr nach und schien wieder ausbessern zu wollen, was er vorhin an amtlichem Takt sich vergeben zu haben glaubte.

Aber Rosa öffnete eiligst die Schulstube, trat hinein, grüßte die Kinder, und von den Kindern zurück schallte fröhlich der Gruß heraus: „Schönguten Morgen, Fräulein Rosa!“

„Mein Gott! was soll das werden?“ hob der Schulrath an, „das ist denn doch zu arg!“

„Wegen des Pistols können der Herr Doctor ruhig sein!“ antwortete Schnurr und hielt mit sichtbarer Befriedigung die Waffe empor.

„Aber Ihr dummes Zeug! den Wolf, das Winkelmaß! Mein Gott, ich kann es nicht verantworten!“

„Belieben der Herr Doctor sich zu erinnern, daß Dieselben die traurigen Blätter in der Hand hatten,“ rechtfertigte sich Schnurr halblaut und mit einer Verbeugung; „diesmal bin ich nicht Schuld.“

„Und hat sie schon öfter Schule gehalten?“ fragte Jener, und trat aus dem Hinterraume des Hauses näher heran an die Stubenthüre,

„Noch niemals! Heute die erste derartige Ausschreitung! Aber hören Sie, wie gewandt, wie geschickt!“

Rosa, nachdem sie den Kindern eröffnet hatte, daß, da ihr Oheim Abhaltung habe, sie selbst jetzt ein Weilchen Unterricht ertheilen werde, war von dem vorhin abgebrochenen Tafelrechnen zum Kopfrechnen übergegangen. Die Kinder liebten sie ja. So gehorchten sie ihr auf’s Wort. Alles ging in bester Ordnung. Dem ermunternden Scherze fehlte der nöthige Ernst nicht, und sie stellte die Aufgaben so geschickt, half corrigirend so faßlich nach, als habe sie schon Jahre lang als Lehrerin fungirt.

Der Schulrath wurde aufmerksamer. Er hörte mit Schnurr dem Unterrichte zu. Das Rechnen war ein beruhigendes Oel in die Wogen der Gefühle, die kurz vorher noch stürmisch ihn bewegten. Er vergaß auf Augenblicke seinen Sohn und dessen Brief und alle die wichtigen Lebensfragen, welche sich daran knüpften.

Plötzlich trat er einige Schritte seitwärts und sann. Dann sagte er: „Schnurr, ich habe einen Plan.“

„Mit mir?“

„Auch mit. Hören Sie. Sie wissen doch, wie mein Sohn heißt?“

„Zu dienen, der Herr Assessor Theodor Werner.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_521.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)