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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)


„Das fragt sich noch sehr, möglich, daß Sie es sogar durch mich ersetzt bekommen,“ antwortete nicht ohne Bewegung Theodor.

„Wie, mein Herr? ersetzt? durch Sie?“ rief der Director erfreut und staunend, „o, wenn Sie wahr redeten!“

„Ich rede wahr. Eine wunderbare Verkettung der Umstände erwähnte ich schon. Diese liegt hier vor. Es gibt zuweilen Verhältnisse, wo man Ersatz leistet, um die Schande eines Andern zuzudecken.“

„O wenn das wäre! wenn ich mein Geld wieder bekäme, Alles möchte dann zugedeckt werden!“ erklärte heiter der Director. „Ich würde die Anzeige machen, mein Geld habe sich wiedergefunden, es sei ein Irrthum gewesen, ich ließe die Sache niederschlagen! Wollen Sie wirklich Ersatz leisten?“

„Ruhig, Herr Director, es wird vielleicht nöthig werden,“ entgegnete Theodor. „Vor allen Dingen, auf wem ruhte Verdacht? wer wurde verhaftet und dann wieder entlassen auf Handgelöbniß?“

„Der Schauspieler Rauschenbach.“

„Rauschenbach?“ rief erschrocken Theodor.

„Sie kennen ihn?“

„Lassen wir das jetzt. Geben Sie mir –“

„Mein Herr, wenn Sie ihn kennen, wenn er es ist, der Ihnen nahe steht, dann, ja dann – ich muß gestehen, der Ersatz dürfte reif werden – nach meiner moralischen Ueberzeugung hat er das Geld!“

„Rauschenbach steht mir nicht nahe. Geben Sie mir nur ruhig Antwort, wie ich ruhig Sie frage. Wie war es mit dem ABC-Buch, das mit in dem Geldkasten lag, hat sich dasselbe wiedergefunden?“

„Der Theaterdiener wollte es am Tage nach dem verübten Diebstahle bei Rauschenbach gesehen haben, wußte es aber nicht gewiß, konnte es nicht beschwören.“

„Und die Haussuchung bei Rauschenbach?“

„Ergab nichts. Ueberdies lag das ABC-Buch einige Zeit später in einem finstern Winkel des Hauses, das ich bewohne. Hier fand es die Magd. Mit ihr legte ich es nieder vor Gericht.“

„Es war ein Buch aus früherer Zeit? mit Bildern und Versen, die sich immer auf einen Initialbuchstaben bezogen?“

„Ganz recht.“

„Und das Buch war vollständig, als die Magd es wiederfand im Winkel? Es fehlte nichts darin?“

„Ich weiß nicht, ob es vor den, Diebstahle vollständig war. Nach diesem Umstände fragte mich der Untersuchungsrichter sofort, als ich mit der Magd das Buch deponirte.“

„Und warum fragte der Untersuchungsrichter nach diesem Umstände?“

„Weil in dem Buche zwei Blätter fehlen.“

Theodor stand auf. Er trat schweigend an’s Fenster. Er nahm alle seine Kräfte zusammen, um ruhig zu erscheinen im Aeußern, so unruhig er auch war in seinem Innern. Nur dadurch, daß er selbst angehender Criminalbeamter war, wurde es ihm möglich, den Kampf, der in ihm tobte, zu beherrschen. Sprach er sie auch noch frei von der Hauptschuld, Rosa stand doch als Mitwisserin vor ihm. Allem Anschein nach mußte sie in das Vergehen verflochten sein.

„Leicht möglich, daß die zwei Blätter schon vor dem Diebstahl gefehlt haben,“ fuhr der Schauspieldirector fort, „wer will das wissen? Darauf kommt auch am Ende nichts an. Anders freilich wäre es, hätte man die zwei Blätter bei Rauschenbach gefunden, da würde der Umstand einen bedeutenden Beweis abgeben. Und dennoch – mag es sein mit diesen Blättern wie es wolle – Rauschenbach, Rauschenbach!“ schloß er kopfschüttelnd, „ich glaube steif und fest, daß er das Geld hat!“

„Und gegen eine andere Person brauchten Sie keinen Verdacht zu fassen? durchaus gegen keine andere Person?“

„Anfangs that ich’s, wie das so geht, aber dann und bis heute durchaus nicht mehr.“

„Und wer waren die Personen?“ fragte mit bebenden Lippen und mit weggewendetem Gesicht Theodor, „gegen welche Sie anfangs noch Verdacht hatten?“

Der Director nannte den Zettelträger, ein Dienstmädchen, einen Markthelfer, der mit in dem Hause gewohnt hatte.

Theodor athmete freier. Ein Schimmer der Hoffnung zuckte durch seine Seele.

„Und ist nicht Fräulein Rosa Schnurr, genannt Rosa Brandes, bei Ihnen engagirt?“ fragte er dann.

„Sie war es, ist jetzt abgegangen, hatte bedeutende Offerten vom Theater in Frankfurt und Breslau; ein großer Verlust für mich, daß sie von mir ging!“

„Und ist nun in einer jener Städte?“

„Weder da, noch dort, sie ging nach Hamburg, dann, soviel ich weiß, zu einem Oheim auf’s Land, um einige Wochen oder Monate sich selbst zu leben. Auch dieser Verlust kommt mir eigentlich durch Rauschenbach,“ sprach der Director aufgebracht weiter, „dieses Menschen wegen ging sie weg von hier.“

„Erzählen Sie mir,“ bat Theodor, der ja nur Weniges und nur das Hauptsächlichste darüber gestern von Rosa gehört hatte. Und that es seinem Herzen doch unendlich wohl, denken zu dürfen, der Hoffnungsschimmer, welcher seit einigen Minuten in ihm aufgestiegen war, werde sich dadurch vielleicht vermehren.

„Da Sie Herrn Rauschenbach zu kennen scheinen,“ fuhr Jener fort, „so werden Sie wissen, daß er ein geistreicher Mann, aber ein Glücksritter, ein Spieler, ein vollkommener Roné ist. Das wußte er freilich vor Fräulein Rosa, die in jeder Beziehung und bis auf die kleinsten Verhältnisse herab höchst nobel und ehrenwerth dasteht, geschickt zu verdecken. So wurde er mit ihr bekannt; ich muß bemerken, nicht im gewöhnlichen Sinne dieses Wortes – Rosa’s Ruf blieb unantastbar.“

„Und wie lange dauerte diese Bekanntschaft?“ fragte ermuthigt Theodor.

„Ein Vierteljahr vielleicht. Dann ist das Verhältniß gelockert worden. Fräulein Rosa hat gemerkt, hat tiefer geblickt. Man sagt auch, sie habe in der Lotterie gewonnen, das Geld in Rauschenbach’s Hände gegeben, um es zu verleihen oder Staatspapiere zu kaufen, und dieser habe das Geld verspielt. Ich weiß nicht, ob das gegründet sein dürfte. Aber gewiß soll es sein, daß Fräulein Rosa vor einigen Monaten die Bekanntschaft eines interessanten jungen Mannes machte. Das Verhältniß mit Rauschenbach war schon gelockert. Neue, schlimme Erfahrungen über ihn mochten hinzukommen, und so zog sich Rosa unter völligem Bruch mit Rauschenbach still zurück von mir und meiner Gesellschaft, sie kündigte, spielte nicht mehr.“

„Und Rauschenbach?“

„Wüstete nun offener, ungenirter.“

„Und wann reiste Rosa ab, vor oder nach dem Diebstahl?“

„Ich denke, einen oder zwei Tage nach dem Diebstahl.“

Zerstreut, verdunstet lag der aufgestiegene Schimmer von Freude und Hoffnung, finsterer wieder ward es in Theodor’s Seele. Er öffnete das Fenster, lehnte sich hinaus, Alles erwog und bedachte er.

„Wo hält sich Rauschenbach auf?“ fragte er dann schnell und schloß das Fenster.

„In Berlin, wo die That geschah und die Untersuchung geführt wird,“ antwortete der Director.

„Wir müssen zu ihm, Sie müssen mich begleiten!“

Der Director stand befremdet, machte Einwendungen, wies in höflicher, aber in ziemlich entschiedener Weise das Gesuch Theodor’s zurück.

„Wohl denn, so muß ich Ihnen Alles offenbaren. Sie werden sehen, warum ich nicht geradezu vor Gericht gehe, warum ich die schonenden Umwege betrete, warum ich gerade Ersatz leisten will, Alles werden Sie erkennen, Herr Director, und ich weiß es im Voraus, Sie begleiten mich dann zu Rauschenbach! – Was sagen Sie zu diesen zwei Blättern?“ fragte er und zog die uns bekannten Fragmente jenes ABC-Buches hervor.

Der Director stand wie versteinert.

„Nun hören Sie den Zusammenhang,“ fuhr Theodor fort und erzählte.

Verwundert folgte der Director jedem Worte, und öfters rief er am Schlusse der Erzählung aus: „Fräulein Rosa ist unschuldig, ist nicht einmal Mitwisserin! das werden wir ja sehen, wenn Alles sich enthüllt! Sie haben Recht, wir müssen zu Rauschenbach!“

Und höher und freudiger wieder schlug Theodor’s Herz unter den so zuversichtlichen Behauptungen von Rosa’s völliger Unschuld. Aber weder er, noch der Director vermochten die Einsprüche und Anzeichen umzustoßen, welche verdächtigend noch gegen Rosa sich aufrecht erhielten. Schlag acht Uhr waren sie in Berlin.


(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_536.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)