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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Mimosa sensitiva (Sinnpflanze) den Einwirkungen des Chloroform auszusetzen. Alsbald verlor sie das Vermögen, ihre Blätter aufzurollen; man berührte, man irritirte sie, – sie blieben unbeweglich. Das Chloroform hatte sie für den Augenblick unempfindlich gemacht, wie es den Kranken gegen die Handhabungen des Operateurs unempfindlich macht. Dr. Baillon wiederholte diesen Versuch an den Staubfäden der Sparrmannia. Diese Staubfäden wenden sich, so wie man sie berührt, vom Mittelpunkt der Blume ab, um jedoch bald wieder in ihre frühere Stellung zurückzukehren, und entfernen sich bei fortgesetzter Störung stets von Neuem. Ein blühender Zweig dieser Pflanze wurde den Einwirkungen der Chloroformdämpfe ausgesetzt und in weniger als einer Minute verloren die Staubfäden ihre Beweglichkeit. Man berührte sie, und sie zeigten nicht das geringste Leben mehr. Hierauf brachte man den Zweig vier Minuten lang in freie Luft, die anästhesischen Dämpfe verflüchtigten sich, und die Blume erhielt ihre frühere Erregbarkeit wieder. Wenn die Pflanzen nun auch nicht mit wirklichem Empfindungsvermögen begabt sind, so muß man doch zugestehen, daß sie es zu haben scheinen. So behauptet wenigstens Dr. Ernst Faivre im vorjährigen Februarheft der Pariser „Revue contemporaine“, in welchem er die Fortschritte der Naturwissenschaften in der jüngsten Zeit bespricht.

E. B.




Der große Drache China’s. Einmal vor Alters war ein großer Drache. Der lebte in einem blumigen Lande. Er kam aus der bodenlosen Tiefe und war so groß, daß sein Körper sich ausdehnte von dem ewig gefrornen Norden bis zu den brennenden Tropen. Seine Klauen krallten sich über tausend Meilen weit aus, und sein Schweif lag an hundert Flüssen entlang. Jeden Tag fraß er so viele neugeborne Kinder, als ihm Mütter zum Opfer boten. Ueber dreißigtausend Kinder verzehrte der Drache jedes Jahr; aber Niemand wehklagte über sie, so lange er mit seinen Klauen Erwachsene schonte. Sie brachten ihm ihre Kinder und überließen sie ihm ohne eine Thräne. Und der Drache wurde alle Tage fetter, stärker und hungriger.

Und die Mütter? Sie weinten nicht, sie wehklagten nicht – nicht sie. Ihre Kinder, besonders Töchter, wären besser aufgehoben in des Drachen Wanste, sagten sie, statt zu leben das Leben, das sie, die Mütter, leben müßten. Besser, sagten sie, nicht zu sein, statt sich zu plagen und zu hungern, wie wir.

So lag der große Drache des Kindermordes überall in der Breite und in der Länge im Lande, und die zarten Neugebornen wurden auf öffentliche Wege und Straßen geworfen für die Fänge des scheußlichen Drachen oder in die schweigenden Betten der Flüsse, so in die Tiefe führen.

Lange sträubten sich die Herzen liebender Mütter im Abendlande, an diesen riesigen Fluch, der über einem Drittel der Menschheit im fernen Osten lagert, zu glauben. Hier ist das Zeugniß eines Mannes, der hoch im Leben und in der Wissenschaft stand und, nach Tausenden überstandener Gefahren zu Wasser und zu Lande auf seinen Reisen um die Erde, ein Opfer des Eisenbahn-Unglücks zwischen Paris und Versailles ward. „In China“, sagt Dumont d’Urville in seinen Malerischen Reisen um die Welt, „in China hat der Vater das Recht, sein Kind als Sclaven zu verkaufen, und aus Noth oder Verwahrlosung machen sich viele Väter dieses Recht zu Nutze. Am meisten wird mit Töchtern Handel getrieben. Humanität und Elternliebe sind den meisten Chinesen unbekannt. Die Dichtigkeit der Bevölkerung und die Kärglichkeit der Lebensmittel tödten Alles, mit Ausnahme des Selbsterhaltungstriebes. So erklärt sich auf eine einfache, aber entsprechende Weise die höchste Spitze des brutalsten Egoismus, der sich im Kindermorde, im „ländlich-sittlichen“, gebräuchlichen Kindermorde ausspricht.“

„Weit entfernt, diesen Cannibalismus zu bestrafen“, fährt Dumont d’Urville fort, „scheint die Regierung ihn nicht nur zu dulden, sondern beinahe zu autorisiren. Es gehört zu den Pflichten der Polizei in Peking, die über Nacht weggeworfenen Kinder jeden Morgen zu sammeln. Sie packen die unglücklichen Opfer, lebende und todte, unterschiedslos in einen gemeinen Schuttkarren und karren sie hinweg an die Oeffnung einer großen Cloake vor die Stadt, in welche sie wie ein Haufen Schutt abgeladen werden. Man hat die Zahl dieser Kindermorde auf jährlich 30,000 abgeschätzt. Die Chinesen, welche tausendweise auf schwimmenden Städten, auf Flüssen leben, binden einen hohlen Kürbis an den Nacken ihrer Neugebornen, ehe sie sie in den Fluß werfen, um den Kopf über Wasser zu halten. Es war ein alltäglicher Anblick, solche Kinderleichen den Fluß hinuntertreiben zu sehen. Die Fischer und Schiffer fahren so gleichgültig vorbei, wie vor todten Hunden. Die dunkeln Plätze der Erde sind voller Wohnungen für die Grausamkeit. Gibt es dieser entsetzlichsten aller Thatsachen gegenüber keinen mildernden Umstand? O ja, die Religion. Die Kindesmörderinnen sind nicht blos arm und verwahrlost, sondern auch sehr religiös. Sie glauben fest an Buddha’s Lehre von der Metempsychose oder Seelenwanderung, so daß sie in diesem Glauben ihre Kinder nicht tödten, sondern ihren Seelen blos Gelegenheit geben, sich eine andere, bessere Verkörperung zu suchen, als die eines chinesischen Mädchens, dessen Leben eine Schmach und Qual ist. Dies giebt der sonst unerklärlichen, unmenschlichen Grausamkeit wenigstens einen Platz in der Geschichte menschlicher Verirrungen und religiöser Dogmen – die in den verschiedensten Formen alter und neuer Zeit die höchsten Aufopferungen eigenen oder des Lebens unserer Lieben forderten oder heiligten.“

Die chinesischen Gesetze verbieten zwar den Kindermord, wie englische das Prügeln der Weiber, die dessenungeachtet alle Sonnabende dutzendweise zer- oder erschlagen werden. Ein Mandarinen-Edict lautet nach langer Vorrede so: „Wir bedauern, daß in unserer blumigen Provinz das Leben der Kinder nichts weniger als lang ist. Dies ist nicht gut. Man muß künftig darauf achten, daß das anders werde.“ (Wie fein und weich einem solchen Uebel gegenüber!)

Auch der Kaiser selbst erließ vor mehreren Jahren eine Cabinetsordre gegen den Kindermord. Er bittet die Eltern, ihre Kinder lieber in Asyle zu schicken, statt sie wilden Thieren vorzuwerfen oder in die Flüsse, und droht denen, die seinem Wunsche nicht genügen (in einem Lande, wo auf die kleinsten Vergehen oft Todesstrafe steht!) mit 60 Hieben für jedes weggeworfene Kind.

„So fraß der große Drache die kleinen Kinder und Niemand hinderte ihn.“

Erst Forbey Janson, Bischof von Nancy in Frankreich, ward zum heiligen Georg gegen dieses Ungethüm.

Der Preis eines neugebornen Kindes ist durchschnittlich in China 200 Sapecs, d. h. 10 Silbergroschen, nicht mehr und nicht weniger. Der Preis steigt jährlich um etwa denselben Betrag. So beschloß er, die Kinder am wohlfeilsten, d. h. neugeborne, zu kaufen und sie zu Menschen zu erziehen. Das war ein kühner Gedanke für einen einzigen Mann, der in Nancy wohnt und den Tausende von Meilen aufgeschwollenen Drachen im fernen China erlegen will. Aber er that’s. Es gelang ihm, wie dem schwachen Menschen mit Muth, Menschenliebe und edlem Herzen Unglaubliches, fast Alles gelingt. Er bat um Taschen- und Naschgeld kleiner und größerer Kinder in Frankreich. Der Gedanke war schon gut, nein, rührend Mutter- und Kinderherzen, wenn sie hörten, daß damit kleine Kinderchen dem großen Drachen abgekauft werden sollten. Außerdem ließ er mit Hülfe anderer Geistlichen Reden für den Zweck halten, Processionen anstellen, Messen lesen u. s. w. – beste Mittel, um in die Herzen der großen Massen einzudringen, die etwas für’s Auge, etwas Rührendes für’s Herz brauchen, um den Weg in die Tasche zu finden. Er selbst pilgerte nach Belgien und klopfte an die Palastthore und Kinderstubenthüren König Leopold’s. Diese und Andere gaben ihm 50,000 Francs, Andere auch ihre Scherflein, so daß er schon eine große Masse Civilisations-Truppen mit klingendem Spiel beisammen hatte, als er, Opfer seines Eifers, erkrankte und starb.

Sein Werk nicht mit ihm. Erzbischof Bonamie nahm es auf und gründete 1846 die Gesellschaft der ‚Sainte Enfance‘, welche bald „Truppen“ nach Macao und andern chinesischen Außenposten sandte und in kurzer Zeit für 190,000 Francs kleine Chinesen gekauft hatte, eine gute Zahl bei der Spottwohlfeilheit (in Dutzenden wahrscheinlich noch billiger).

Jetzt steht ein grandioses Kinder-Asyl am Gestade mit langen, langen, vielen Reihen von Wiegen und Krippen, aus denen es so lustig herausschreit, lacht und lallt, daß die 12 Pflegemütter, jungfräuliche barmherzige Schwestern, mehr Mutterfreuden genießen, als jemals die „zahlreichste Familienmutter“ mit einem Dutzend lebendigen Orgelpfeifen. Eine dieser barmherzigen Schwestern ist blos deshalb dort Pflegemutter geworden, um ihren als Missionär von Chinesen ermordeten Bruder zu rächen. Sie rettet dafür so und so viel kleine Chinesinnen für’s Leben.

Ein anderer Vater, père Werner, ein Deutscher von Geburt, hat neben einer schwimmenden und Uferstadt, Lut-kug, eine neue Anstalt gegründet, für welche er an manchem einzelnen Tage 50 Kinder à 3–10 Silbergroschen oder für ein kleines Crucifix oder sonst eine Kleinigkeit kaufte.

Im Jahre 1848 hatte die Gesellschaft schon 68,477 Kinder gekauft, getauft und in Erziehung und unterhielt nicht weniger als 62 Knaben- und 134 Mädchenschulen für lauter so gekaufte chinesische Kinder. Seitdem sind keine Specialberichte erschienen. Man weiß nur, daß dieser eigenthümliche Handel und dieser siegreiche Krieg gegen den großen Drachen sich fortwährend ausdehnt und viele Mütter und Eltern ihre Kleinen im Auge behalten und nicht selten als neue, civilisirte Menschen endlich lieben lernen. Die, welche dann in das chinesische Leben zurückkehren, werden endlich den Drachen gründlich todt machen.

In Frankreich stellt man alle Jahre Processionen an, um Taschengelder der Kinder für ihre kleinen chinesischen Brüder und Schwestern zu sammeln. In der Bretagne bei Quimper sieht man eine gute Menge blühender chinesischer Kinder dickbäckig und schlitzäugig umherspielen, Zöglinge einer reichen Dame.

Das Hauptquartier der europäischen Truppen gegen den großen chinesischen Drachen ist Rue Chanoinesse Nr. 4 in Paris, wo man die Kriegsmaterialien in großer Menge und Varietät beisammen sehen kann. Wenn einmal China geöffnet, civilisirt, für die Interessen und Segnungen des Westens und Abendlandes gewonnen werden soll, ist dieser Krieg gegen den großen Drachen, was man auch daran aussetzen mag, mindestens ein neunundneunzigtausend Mal besseres und kräftigeres Mittel, als englische Bombardements und Opiumkriege.




Im Interesse einer Familie, deren Glück von dem Resultate dieser Anfrage abhängt, werden wir um Aufnahme des nachfolgenden Inserats ersucht.

D. Red.
Hundert Speciesthaler

sichert eine Familie in Norwegen dem Geistlichen zu, welcher dem Unterzeichneten amtlich nachweist, an welchem Orte im Jahre 1777 Bent Seiferts Sohn, Johann Ludwig, geboren worden ist.

Waltersdorf bei Gera.

Karl Giebner, Pfarrer das.

Bei Ernst Keil in Leipzig ist erschienen:

Schulze (-Delitzsch), Vorschuß- und Kreditvereine als Volksbanken.
Praktische Anweisung zu deren Gründung und Einrichtung.
Zweite vermehrte und ganz umgearbeitete Auflage. – Preis 18 Ngr.

Verlag von Ernst Keil In Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_548.jpg&oldid=- (Version vom 25.9.2023)