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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 39. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Theater und Schule.
Von L. R.
(Schluß.)

Der Schauspieldirector kannte Rauschenbach’s Wohnung. Sie eilten dahin. Rauschenbach war nicht zu Hause, sein Zimmer verschlossen, Niemand wußte, wohin er gegangen oder wann er wiederkommen werde. Verstimmt stiegen Beide die Treppe herab.

„Warten Sie, warten Sie,“ rief plötzlich der Director, als sie eben aus der Hausthür treten wollten, „dort läuft sein Stiefelwichser, ein lumpiger Bursche, der aber Rauschenbach’s ganzes Vertrauen besitzt, – mit dem will ich sprechen!“

„Bringen Sie den Burschen hierher,“ bestimmte Theodor, indem der Director auf die Straße trat und dem Stiefelwichser nacheilte.

Der Director brachte den Burschen. Theodor fragte und forschte. In den ersten Augenblicken schon merkte er, daß der Bursche mehr wußte, als derselbe sagen wollte. Ein Zweithalerstück, welches Theodor ihm in die Hand drückte, machte die Zunge des Burschen flotter.

„Nun ja,“ fuhr derselbe leise und verschmitzt fort, „wenn es durchaus nothwendig ist, daß Sie ihn sprechen, – ich denke mir freilich, daß er erst gegen Abend oder des Nachts zurückkehren wird – zu Ihnen gesagt, er ist verreist.“

„Er kann aber doch,“ entgegnete Theodor, „da er auf Handgelöbniß entlassen ist und noch in Untersuchung steht, die Stadt nicht verlassen! Hat er Erlaubniß vom Gericht dazu erhalten?“

„Bewahre, bewahre!“ versicherte heimlich der Bursche, „er war zwar gestern vor Gericht, aber da stand er nur im Verhör. Und gerade das gestrige Verhör muß ihn zu dieser Reise veranlaßt haben. Er kam unruhig zurück, sehr unruhig und äußerte, er müsse verreisen.“

„Auch Sie, Herr Director, erwähnten schon gegen mich, daß er gestern im Verhör gewesen,“ sprach Theodor, „und wissen Sie nicht, um was sich’s da etwa gehandelt hat?“

Der Director verneinte es. Theodor fragte nun den Burschen, ob Rauschenbach gar keine Aeußerung über das Verhör gethan.

„Nein,“ antwortete der Stiefelwichser, „da kann ich mich durchaus nicht erinnern, er war nur unruhig, stieß einmal einen Fluch aus und sagte so halblaut, aber wild vor sich hin: „das verdammte Buch könnte mir doch noch einen Streich spielen – ich war sehr dumm – ich muß vorbeugen – jedenfalls lebt sie bei dem Oheim – ist das Zeug vernichtet, gut – hat sie’s noch, desto besser, dann will ich mir es schon verschaffen.““

„Und? – und weiter?“ fragte Theodor erregt.

„Weiter nichts – weiter hat er durchaus nichts geäußert – ich würde es Ihnen gern mittheilen,“ versicherte der Bursche.

„Und auf welchen Bahnhof begab sich Herr Rauschenbach?“ versetzte Theodor, „und wann ungefähr?“

„Ich habe ihn vor Abgang des Abendzuges auf den Magdeburger Bahnhof begleitet,“ antwortete der Stiefelwichser.

„Kommen Sie, Herr Director!“ rief Theodor gepreßt, und nahm den Director an die Hand, „wir müssen fort.“

„Nun,“ fragte dieser verwundert, indem sie den Stiefelwichser verließen und in das Straßengewühl traten, „was wissen Sie?“

„Ich weiß, wo Rauschenbach ist!“ entgegnete Theodor ruhig. „O, ich weiß nun auch, daß – daß,“ setzte er schmerzlich hinzu, „daß Rosa jedenfalls Mitwisserin ist!“

„Nein, nein, und tausend Mal nein,“ versicherte ruhig Jener, „ich glaube das nicht! Ich kann mir das nicht denken! Behalten Sie aber Recht, dann weiß ich, daß auch die Engel im Himmel lügen!“

Theodor trank Trost aus diesen ruhig gesprochenen Worten. Er schwieg eine Weile. So schritten Beide eine Strecke auf der belebten Straße fort.

„Erwähntem Sie nicht, daß Rosa in der Lotterie gewonnen habe?“ hob Theodor dann sinnend an.

„So ging das Gerücht,“ antwortete der Director, „ich weiß nicht, ob es auf Wahrheit beruhte.“

„Gegen Schnurr hat Rosa das doch ebenfalls geäußert,“ fuhr Theodor langsam fort. „Als sie ihm das Geld gab, und er sie fragte, ob sie vielleicht Pharo – – ganz recht, ich besinne mich, Schnurr hatte noch den Ausdruck das „heillose Pharo“ gebraucht, worauf sie dann lächelnd geantwortet: „nein, nur Lotterie,“ – – Ja, ja,“ sprach er combinirend und langsam weiter, „das wäre ein entwirrender Gedanke, – hätte sie wirklich in der Lotterie gewonnen, hätte Rauschenbach das Geld verthan – hätte sie es bei dem Bruche mit ihm wieder verlangt – hätte er dann gestohlen – von dem Gestohlenen die Rückzahlung geleistet – – Gott, Gott!“ brach er in Wärme aus, und faßte im schnellen Weiterschreiten des Directors Arm, „über die Unbesonnenheit, daß er das Geld gerade in die zwei mitgestohlenen Blätter packte, wäre schon wegzukommen! Derartige Unbesonnenheiten zeigen die Criminalfälle sehr oft, und gerade durch sie kommt gewöhnlich das Verbrechen an den Tag, während der ganze übrige Thatbestand weder zur Ueberzeugung des Richters, noch zum Geständnisse des Angeklagten führt. – O, wenn Sie wüßten, Herr Director, daß Rosa wirklich in der Lotterie gewann! Wenn wir das wenigstens erfahren könnten!“

„Dazu würde viel Zeit gehören, und unsere Bemühung dürfte noch immer vergeblich bleiben,“ bemerkte der Director.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 549. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_549.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)